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Zur Sicherheitslage in Afghanistan

Breker: Herr Gertz, grundsätzlich tragen Sie, trägt Ihr Verband die Entscheidung für Auslandseinsätze der Bundeswehr mit.

    Gertz: Das haben wir schon immer getan. Das tun wir auch heute, und wir halten auch die in den verteidigungspolitischen Richtlinien herangezogene Begründung für diese Einsätze für richtig und vernünftig.

    Breker: Wenn Deutschland eine Rolle in der Außenpolitik spielen will, dann sind Bundeswehreinsätze im Ausland unabdingbar. Sehen Sie das auch so?

    Gertz: Ich denke, es geht nicht unbedingt darum, dass man eine Rolle in der Außenpolitik spielt, sondern es geht darum, dass wir dazu beitragen, gemeinsam mit anderen die Risiken zu bekämpfen, die Gefährdungen unserer eigenen Sicherheit nach sich ziehen können.

    Breker: Nur, wenn man zu Bundeswehreinsätzen im Ausland steht, dann muss die Bundeswehr auch entsprechend ausgerüstet sein. Ist sie das denn schon?

    Gertz: Also wir sind sicher auf dem Weg, aber wie mühsam dieser Weg ist, haben wir in den vergangenen Jahren sehr deutlich beobachten können. Beispielsweise als wir das erste Kontingent nach Kabul verlegt haben, mussten wir von der Kampftruppenschule, von der Infanterieschule in Hammelburg sechs von sieben Dingos abziehen, die dort für Ausbildungszwecke vorhanden gewesen waren, damit wir überhaupt welche in Kabul haben. Später ist das dann weiter verstärkt worden, aber wir haben immer wieder das Problem, dass wir mit dem Tempo der Beschaffung von Ausrüstung hinter der Realität her hinken. Das gilt in weiten Bereichen auch für Kommunikationselektronik. Das gilt, wie Sie wissen, auch für Transportflugzeuge. Wir müssen eben beispielsweise Antonows anmieten, um eine zerlegte CH-53 nach Kabul transportieren zu können. Übrigens der Gedanke, Leopard-Panzer nach Kabul zu bringen, ist ohnehin Unfug, weil man gegen Terroristen mit Panzern nichts ausrichten kann - das ist kein konventioneller Gegner, mit dem man sich auf dem Schlachtfeld trifft - und weil zweitens die Verschiffung eines Panzers zunächst mal nach Pakistan zu gehen hätte, von dort irgendwie in Richtung Afghanistan und von dort nach Kabul. Bis der Panzer ankäme, wären wahrscheinlich alle Risiken erledigt.

    Breker: Sie haben die Dingos angesprochen. Wir sollten das unseren Hörern sagen, das sind gepanzerte Truppenfahrzeuge. Braucht es davon mehr in Kabul?

    Gertz: Also es wäre sicherlich nicht schädlich. Bis dahin haben wir allerdings, was die Präsenz der deutschen Truppen in Kabul angeht, durchaus das Ziel verfolgt, uns den Menschen zu zeigen und auf die Menschen zuzugehen. Deswegen ist von den gepanzerten Fahrzeugen, abgesehen von nächtlichen Patrouillen, relativ sparsam Gebrauch gemacht worden. Wir sind mit zum Teil offenen LKWs präsent gewesen, mit Unimobs, um auch das Vertrauen in die Stabilisierung, in die Abwesenheit vom Bürgerkrieg zu erreichen. Das war immer eine Gratwanderung, was die Risikoabwägung anging, auf der einen Seite des Risikos für die deutschen Soldaten, denn beim offenen LKW reicht ja eine einzige Handgranate, um möglicherweise mehrere Soldaten zu töten, und auf der anderen Seite die Mission, auch Vertrauen bei der Bevölkerung in die Abwesenheit vom Bürgerkrieg zu erwecken. Ich glaube, es gibt nicht einen objektiven Mangel an gepanzerten Fahrzeugen, sondern wir müssten auch mental wahrscheinlich anders denken als bisher, wenn sich zeigen sollte, dass die Risiken, die uns dort treffen können, nicht mehr kalkulierbar sind.

    Breker: Risiken durch Selbstmordanschläge, sind sie überhaupt ausschaltbar?

    Gertz: Sie sind im Prinzip nicht ausschaltbar, aber es gibt ein Problem, was bislang sich nicht als lösbar erwiesen hat. Sie wissen ja, dass ISAF bislang jedenfalls auf Kabul beschränkt ist. Außerhalb von Kabul operieren in Afghanistan Antiterror-Kräfte, insbesondere Amerikaner, zu einem kleinen Teil allerdings auch vom Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr. Diese Antiterror-Kräfte sind entschieden zu schwach, sind nicht in der Lage, den Zustrom von Terroristen in den Raum Kabul zu unterbinden. Das liegt unter anderem auch daran, dass die pakistanische Regierung offensichtlich kein besonderes Interesse hat, ihre eigene Grenze zu Afghanistan zu kontrollieren. Das Ergebnis ist, dass wir zum Beispiel derjenigen bislang nicht habhaft werden konnten, die immer wieder Flugkörper auf unsere Stellungen abschießen, sowohl auf das Camp Warehouse als auch auf das ISAF-Hauptquartier, und dass wir auch nicht ausschließen können, dass weitere Terroristen, darunter Selbstmordattentäter, in den Raum Kabul einsickern. Das ist eine ziemlich unangenehme Situation, denn damit sind wir auf passive Sicherheitsvorkehrungen reduziert.

    Breker: Nun gibt es ja eine neue Strategie, angeregt durch die Amerikaner, nämlich die der befriedeten Inseln. Unter anderem deshalb wird ja auch demnächst eine Bundeswehrabteilung nach Herat im Westen Afghanistans reisen, 800 Kilometer von Kabul entfernt, um dort zu prüfen, ob man einen Einsatz planen kann. Was halten Sie davon?

    Gertz: Politisch betrachtet, ist der Gedanke nicht unvernünftig, in die Region zu gehen und damit auch dort Präsenz zu zeigen und auch klarzumachen, dass die Bemühungen der Verbündeten sich nicht darauf reduzieren lassen, Herrn Karzai in Kabul zu unterstützen. Diese Wiederaufbauteams sind dazu als Nukleus sicher ein vernünftiger Gedanke. Dass man sie militärisch schützen muss, liegt für meine Begriffe auf der Hand. In diesem Fall handelt es sich um eine Größenordnung von etwa 70 Soldaten. Aber eine solche Stationierung in Herat, auch wenn das ein Raum von relativer Stabilität ist, verglichen mit Kabul, wirft natürlich eine ganze Reihe von Problemen auf. Es wirft logistische Probleme auf, mehrere Hundert Kilometer Entfernung. Das wirft das Problem auf, wie man ein solches Team und die schützende Truppe evakuiert, wenn es in der Tat zu einem worst-case-Szenario kommt. Das macht die ganze Sache und die Mission sicherlich nicht einfacher.

    Breker: Sie werden zitiert mit, verkürzt gesagt, ganz oder gar nicht, entweder mehr Soldaten in Afghanistan oder aussteigen. Mehr Soldaten, wie viele meinen Sie damit?

    Gertz: Also ich meinte insbesondere die Antiterror-Kräfte. Ich meinte nicht, dass wir ganz Afghanistan flächendeckend besetzen müssen oder besetzen sollten. Bislang haben das übrigens auch alle bereut, die das versucht haben. Ich meinte, wir müssen versuchen, den Zustrom von Terroristen in den Raum Kabul zu unterbinden, und das bedeutet insbesondere, dass die Antiterror-Kräfte, die um Kabul herum operieren, deutlich verstärkt werden müssen. Das ist eine Forderung insbesondere an unsere amerikanischen Verbündeten, die das bisher besorgt haben, die auch die Kontrolle, auch die geheimdienstliche Kontrolle bislang ausgeübt haben, und wenn unsere Verbündeten dazu nicht in der Lage sind, dann müssen wir uns eingestehen, dass wir dann in der Tat, was den Schutz der ISAF-Truppe angeht, nicht nur unserer Soldaten, auch der Soldaten unserer Verbündeten, auf passive Sicherheitsvorkehrungen reduziert sind, so dass uns jederzeit und überall ein solches Attentat wieder ereilen kann, wie es sich hier ereignet hat.

    Breker: Vielen Dank für das Gespräch.