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Zurück in den Schoß der Kommune

Nach dem erfolgreichen Volksentscheid in Hamburg Ende September entscheiden nun die Berliner über ihr Stromnetz. Die Befürworter des Entscheids wollen so dafür sorgen, dass mehr erneuerbare Energien produziert werden. Die Gegner fürchten hohe Kosten.

Von Claudia van Laak und Axel Schröder | 02.11.2013
    "Ich bin der Michael vom Berliner Energietisch, herzlich willkommen. Hört Ihr mich? Ah, okay."

    Eine Minidemonstration vor der Zentrale des Energiekonzerns Vattenfall in der Hauptstadt. Michael Efler und seine Mitstreiter vom Berliner Energietisch haben einen gelben Postbriefkasten aus dem Theaterfundus auf den Bürgersteig gestellt.

    "Dafür wollen wir heute Werbung machen. Dass möglichst viele Menschen Briefabstimmung machen."

    "Deswegen präsentieren wir heute feierlich Berlins bürgerfreundlichstes Abstimmungslokal, den Briefkasten."

    Michael Efler:

    "Vattenfall ist der große Platzhirsch in Berlin, sie haben die meisten Stromkunden in Berlin, sie betreiben das Berliner Verteilnetz für Strom. Wir wollen, dass die Gelder hier in Berlin bleiben für den Landeshaushalt, für soziale Zwecke eingesetzt werden, deshalb werden wir Vattenfall den Stecker ziehen. Wenn wir alle gemeinsam weiterkämpfen, schaffen wir das. Vielen Dank."

    Am Sonntag - morgen - könnte es so weit sein: Da werden die Berliner darüber abstimmen, ob das Land künftig stärker zum Energieunternehmer wird.

    "Strom ist ein Grundrecht und das gehört einfach in Bürgerhand. Außerdem wollen wir entscheiden, aus welchen Produkten der Strom hergestellt wird."

    "Ich bin der Ansicht, dass Strom durchaus zur Stadt gehört, genau wie Wasser und alles Mögliche und dass das nicht immer weiter privatisiert werden soll."

    "Energie ist lebensnotwenig, Wasser, Strom, das sind alles ganz lebensnotwendige Sachen, da muss die Bevölkerung mit drinhängen."

    Stromnetz soll wieder unter öffentliche Kontrolle
    Insgesamt 60 Initiativen haben sich zum Bündnis "Berliner Energietisch" zusammengeschlossen, darunter das globalisierungskritische Netzwerk Attac, die Gewerkschaft "Erziehung und Wissenschaft", die Umweltorganisation Robin Wood und der Naturschutzbund. Auch Linke, Grüne und Piraten - also die Opposition im Abgeordnetenhaus - unterstützen den Energietisch. Sprecher Michael Efler erklärt die Ziele:

    "Wir wollen zum einen ein Stadtwerk gründen, das erneuerbare Energien produziert in Berlin. Zum Zweiten wollen wir, dass das Stromnetz, was jetzt Vattenfall gehört, wieder unter öffentliche Kontrolle kommt. Es ist Anfang der 90er-Jahre verkauft worden. Wir wollen es wieder zurückholen, weil die Gewinne aus diesem Netz, es sind 150 Millionen Euro allein im letzten Jahr gewesen, jetzt in die Taschen eines schwedischen Atom- und Kohlekonzerns fließen."

    Morgen Abend wird also klar sein, ob die Berlinerinnen und Berliner den Gesetzentwurf des Energietisches wollen. Doch die Hürde ist hoch: Denn der Volksentscheid ist nur gültig, wenn mindestens 25 Prozent aller Wahlberechtigten ein "Ja" ankreuzen. Das entspricht etwa 623.000 Stimmen. Michael Efler:

    "Es wird ein bisschen versucht, uns jetzt totzuschweigen in der Hoffnung, dass zu wenige Menschen hingehen, wir arbeiten aber dagegen und hoffen, dass genügend Menschen sich davon nicht beirren lassen."

    Nach dem erfolgreichen Volksentscheid in Hamburg Ende September nun also eine Abstimmung in Berlin. Überall in Deutschland bilden sich momentan Initiativen, die Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge wie Strom, Wasser und Gas wieder in den Schoss der Kommune zurückholen wollen. Die Menschen wollen mitentscheiden, was mit ihren Netzen geschieht. Und die Zeit dafür ist günstig, denn in den nächsten Jahren laufen viele Konzessionen für Strom und Gas aus, werden derzeit von der öffentlichen Hand neu ausgeschrieben.

    Die Kommunen und ihre Bürger denken also um. Nach einem Privatisierungstrend in den 1980er-Jahren schlägt das Pendel jetzt zurück, beobachtet Jens Libbe vom Deutschen Institut für Urbanistik:

    "Das hat auch etwas zu tun mit einer generellen Renaissance des Staates im Zuge der globalen Finanzkrise. Ein weiterer Treiber ist sicherlich auch die Energiewende. Die Städte merken, dass sie mit einem eigenen Stadtwerk einen größeren Gestaltungsspielraum bei der lokalen Energiewende besitzen, sprich, sie können mit einem eigenen Stadtwerk gezielter gestalten als ohne."

    Berlin verkaufte Stromnetz nach der Wende
    In den letzten Jahren sind deutschlandweit 70 neue Stadtwerke entstanden, außerdem haben die Kommunen unzählige Unternehmensanteile von privaten Versorgern zurückgekauft. Auch das Land Berlin. Nach der Wende hatte die Hauptstadt wegen finanzieller Nöte das Stromnetz an den schwedischen Energiekonzern Vattenfall verkaufen müssen und die Hälfte der Wasserbetriebe privatisiert. Ein Fehler, wie SPD-Stadtentwicklungssenator Michael Müller im Nachhinein feststellt:

    "Wir sind mit Sicherheit auch über das Ziel hinausgeschossen und haben auch Bereiche der Daseinsvorsorge – wenn man nur an das Thema wohnen denkt – es wurden ja auch Wohnungsbaugesellschaften privatisiert oder eben auch Strom und Wasser, und wir haben gesehen, dass Private doch nicht alles besser können, dass die Kosten steigen, der staatliche Einfluss schwindet und genau das muss jetzt korrigiert werden."

    Die Verhandlungen des Landes über den Rückkauf der Wasserbetriebe stehen kurz vor dem Abschluss. Insgesamt 1,2 Milliarden Euro muss Berlin dafür zahlen. Bei dem Volksentscheid am Sonntag aber geht es um Strom. Die Konzession für die Gasversorgung läuft Ende diesen, die für die Stromversorgung Ende nächsten Jahres aus.

    In Hamburg sieht es ähnlich aus: Dort beginnt das Konzessionsverfahren für das städtische Stromnetz bereits Mitte Januar, für die Gasnetze frühestens 2016. Wie in Berlin ist auch in Hamburg der Energiekonzern Vattenfall der wichtigste Akteur beim Betrieb des Strom- und Fernwärmenetzes. E.on betreibt über eine Tochtergesellschaft das Gasnetz. Ende September hatten die Hamburger per Volksentscheid dafür gestimmt, alle drei Netze zurückzukaufen. Das Ergebnis war denkbar knapp: 50,9 Prozent der Bürger stimmten für, 49,1 Prozent gegen den Komplettrückkauf. Ein Vorsprung von gerade mal 15.000 Stimmen. Der Erste Bürgermeister Olaf Scholz von der SPD nahm die Niederlage sportlich:

    "Ich sage noch mal: Volksgesetzgebung ist in Ordnung. Und wenn das Volk eine Entscheidung getroffen hat, dann ist sie auch zu beachten!"

    Seit dem Volksentscheid setzt sich Scholz für den Rückkauf der Netze ein. Und bekommt dabei in der Bürgerschaft Rückendeckung von Grünen und Linken. Dabei hatte er bis zum Tag der Entscheidung vehement vor einem Rückkauf gewarnt: Viel zu teuer sei das Ganze. Rund zwei Milliarden Euro, eher mehr, hatte er vorgerechnet und gemahnt, dass dann an anderer Stelle gespart werden müsse – etwa bei der Bildung und den Kitas.

    Zurzeit sondiert Hamburg, ob die beiden Energiekonzerne ihre Anteile am Stromnetz freiwillig verkaufen wollen. Anders als in Berlin, wo das Stromnetz komplett privatisiert ist, hält Hamburg an diesem eine Beteiligung von 25,1 Prozent.

    Streit um Preis für Rückkauf
    Dass Vattenfall und E.on die restlichen Anteile an den Netzen freiwillig verkaufen, ist wenig wahrscheinlich. Denn dadurch könnten die Chancen bei der anstehenden Ausschreibung sinken. Pieter Wasmuth, Generalbevollmächtigter von Vattenfall für Hamburg und Norddeutschland dämpft die Hoffnungen auf eine schnelle und einvernehmliche Lösung:

    "Wir hören uns gerne alles an, mit dem die Stadt auf uns zukommt. Aber ob das dann sozusagen automatisch auch der sinnvolle Weg ist, das müssen wir uns dann angucken, wenn wir Vorschläge genau kennen und auch einschätzen können!"

    Ein erstes Gesprächsangebot über den Rückkauf hat der Erste Bürgermeister den beiden Energiekonzernen schon gemacht. Gleichzeitig berechnen externe Wirtschaftsprüfer für die Stadt, was die Netze überhaupt wert sind. Denn klar ist: Es wird Streit über deren Preis geben. Finanziert werden soll der Rückkauf über eine stadteigene Vermögens-Verwaltungs-GmbH.

    Falls die Konzerne nicht freiwillig ihre Netzanteile verkaufen, tritt Plan B in Kraft: Alle Verträge zwischen Hamburg und den Unternehmen werden dann rückabgewickelt. Gleichzeitig wird dann eine eigene städtische Netzgesellschaft gegründet, die sich Anfang kommenden Jahres um die Konzession bewerben soll. Gewinnt sie die Ausschreibung, darf sie das Stromnetz übernehmen. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz gibt sich optimistisch, dass der Plan aufgeht:

    "Wir werden dafür Sorge tragen, dass wir in der Lage sind, eine Bewerbung abzugeben, die so gut ist, dass keine Behörde irgendwo in Deutschland sie ablehnen könnte."

    Die beste Bewerbung muss es tatsächlich auch sein. Eingereicht wird sie spätestens am 15. Januar bei Hamburgs Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt. Und Senatorin Jutta Blankau muss – so schreibt es das Gesetz vor – "diskriminierungsfrei" über alle Bewerbungen entscheiden. In Berlin läuft dieses Verfahren bereits im Haus von Finanzsenator Ulrich Nußbaum.

    Sowohl in Hamburg als auch Berlin haben die Energiekonzerne bereits klar gemacht, dass sie sich um die neue Konzession wieder bewerben wollen. Sie rechnen sich gute Chancen aus, mit ihren jahrelangen Erfahrungen mit den großstädtischen Netzen.

    Rosenkrieg zwischen Stromkonzernen und Hamburger Senat
    Ganz ohne Prozesse, ohne Gutachten und Gegengutachten wird der Netzrückkauf in Hamburg nicht funktionieren. Viel zu umstritten ist, wie viel die Energienetze wert sind und wem – im Falle der Fernwärme – sie überhaupt gehören. Auch das müssen Gerichte klären. Klar ist schon heute: Vattenfall und E.on werden versuchen, aus dem Netzverkauf maximalen Profit zu ziehen. Die Ehe mit dem Hamburger Senat ist zerrüttet, der Rosenkrieg kann beginnen.

    Am Ende könnte – falls Vattenfall und E.on mit ihrer Bewerbung im Konzessionsverfahren Erfolg haben - das Ziel des Hamburger Volksentscheids konterkariert werden. Denn die Stadt hat – trotz Volksentscheid - keinen Rechtsanspruch darauf, die Netze zurückzukaufen. Entscheidend ist und bleibt ausschließlich das Konzessionsverfahren. Die Pointe dabei: Die Stadt würde dann auch ihre jetzige Beteiligung von 25 Prozent verlieren und damit auch den – wenn auch bescheidenen – Einfluss auf die Unternehmensführung.

    Auch wenn die Volksentscheide in Hamburg und Berlin dieselbe Stoßrichtung haben: Die Voraussetzungen entscheiden sich in beiden Städten stark voneinander. Nicht nur, dass Hamburg – anders als Berlin - seit einem Jahr am Energienetz beteiligt ist. Die Stadt an der Elbe hat – auch anders als Berlin – außerdem seit vier Jahren auch einen eigenen städtischen Energieversorger, die "Hamburg Energie".

    Wie in Hamburg bewirbt sich auch in Berlin eine landeseigene Gesellschaft um die Strom- und Gas-Konzessionen, die "Berlin-Energie". Der Berliner Stadtentwicklungssenator Michael Müller erklärt den Grund:

    "In diesen Bereichen, die zu den Grundlagen der Menschen gehören in unserer Stadt, müsste es zumindest immer auch ein staatliches Angebot geben. Wir müssen nicht alles machen, aber wir sollten mit dabei sein."

    So steht es auch im rot-schwarzen Koalitionsvertrag. Doch während die Berliner SPD forsch voranschreitet in puncto Re-Kommunalisierung, tritt die CDU auf die Bremse, wie etwa die Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer:

    "Die Kosten, die jetzt aufgewendet werden, das sind Steuergelder. Bürgerinnen und Bürger müssen dafür haften, dass diese Schritte funktionieren, und deshalb haben wir eine besondere Verantwortung."

    Interne Differenzen im Senat also, aber ein einheitliches Auftreten gegenüber dem Berliner Energietisch.

    "Ich halte den Volksentscheid in Teilen für überflüssig, in anderen Teilen für falsch."

    "Wir sind sehr engagiert dabei, dass, was das Volksbegehren fordert, umzusetzen und in einigen Bereichen sind wir schon viel weiter, insofern brauche ich da keinen Nachhilfeunterricht."

    Erfolgreich beim Volksentscheid: Logo der Volksinitiative "Unser Hamburg - unser Netz"
    Erfolgreich beim Volksentscheid: Logo der Volksinitiative "Unser Hamburg - unser Netz" (picture alliance / dpa / Bodo Marks)
    Grüne: Stadtwerk ist Mogelpackung
    Die Regierungsmehrheit aus SPD und CDU im Berliner Abgeordnetenhaus hat vor wenigen Tagen nun die Gründung eines Stadtwerkes beschlossen – auch, um den Initiatoren des Volksentscheids den Wind aus den Segeln zu nehmen. In den nächsten zwei Jahren stehen für den Aufbau dieser Gesellschaft drei Millionen Euro zur Verfügung. "Eine Mogelpackung" nennt das im Abgeordnetenhaus Michael Schäfer von den Grünen:

    "Ihr Stadtwerk produziert weniger Energie als mancher Bauernhof in Bayern. Die Leute, die ein starkes Stadtwerk wollen in der Stadt, die müssen am 3. November Ja sagen zum Volksentscheid."

    Das Land Berlin soll – ähnlich wie es Hamburg schon mit seinem Stadtwerk vorgemacht hat – in größerem Umfang Ökostrom erzeugen und damit handeln – so will es der Energietisch, so will es die Opposition. Außerdem wollten die Linke und die Piraten aber auch seine eigene Partei die Marktmacht von Vattenfall begrenzen, betont Michael Schäfer von den Grünen:

    "Vattenfall verklagt die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz in Millionenhöhe wegen des Atomausstiegs. Vattenfall hat den versprochenen Braunkohleausstieg hier in Deutschland gekippt. Vattenfall produziert und verkauft mehr Strom als jeder andere Wettbewerber hier in Berlin. Und diesem Konzern, diesem größten Marktbeherrscher, dem wollen sie das Stromnetz auch noch anvertrauen. Das ist doch ordnungspolitischer Irrsinn, was sie hier vorhaben."

    Die Strategie der Bürgerinitiative "Berliner Energietisch" ist klar: Nur wenn es ihr gelingt, das Thema emotional aufzuladen und zu einem Kampf "David gegen Goliath" hochzustilisieren, nur dann stimmen auch morgen genügend Berliner ab. So wird Vattenfall zum bösen Großkonzern, der nur eigene Profitinteressen verfolgt. Das Problem: Anders als in Hamburg spielt Vattenfall nicht mit.

    "Da geht es ja nicht um uns."

    Sagt Helmar Rendez, oberster Chef der Vattenfall-Stromnetze in Deutschland und Schweden.

    "Sondern es geht im Endeffekt darum, dass der Energietisch will, dass ein Stadtwerk aufgebaut werden soll, insofern ist das für uns kein Grund, dass wir uns in irgendeiner Form an dieser politischen Diskussion beteiligen."

    Konzession für Berliner Stromnetz läuft Ende 2014 aus
    In der Tat ist das Thema der künftigen Energieversorgung in Berlin komplizierter als es einige Politaktivisten vom Berliner Energietisch darstellen. Gewonnener Volksentscheid = Energieerzeugung und –versorgung in kommunaler Hand - diese Rechnung geht nicht auf. Denn das Stromnetz lässt sich nicht einfach kaufen wie ein Laib Brot, erläutert Berlins Stadtentwicklungssenator Michael Müller:

    "Da wird leider sehr viel miteinander vermischt und vermengt, eine grundsätzlich politische Haltung, man will mehr Einfluss haben, was völlig legitim ist, wird vermischt mit Verfahrensfragen, die man gar nicht durch einen Volksentscheid beeinflussen kann, wie zum Beispiel die Netze vergeben werden. Das ist ein reguliertes Verfahren, da achtet das Kartellamt drauf, die EU-Kommission, das kann auch kein Volksentscheid aushebeln, man muss sich schon an gesetzliche Vorgaben halten."

    Die Konzession für das Berliner Stromnetz läuft Ende 2014 aus. Vattenfall möchte es gerne behalten, aber auch die landeseigene Gesellschaft "Berlin-Energie" und der niederländische Netzbetreiber "Alliander" bieten mit.

    Konzentrierte Arbeitsatmosphäre in der rund um die Uhr besetzten Leitstelle der Berliner Stromnetz GmbH, einer 100-prozentigen Tochter von Vattenfall. Vier Männer sitzen vor jeweils vier Monitoren, auf der Wand im Hintergrund sind alle wichtigen Umspannwerke dargestellt. Rote und grüne Lämpchen blinken. Der Leiter der Abteilung Netzführung, Holger Schade, spricht leise, um die Kollegen nicht bei der Arbeit zu stören:

    "Rot bedeutet ein, Grün bedeutet aus, diese kleinen Lämpchen, die Sie da blinken sehen …"

    Eine hundertprozentig sichere Stromversorgung für die Hauptstadt – das ist die Aufgabe des Netzbetreibers. Wir machen einen guten Job, sagt Helmar Rendez. Der Geschäftsführer der Berliner Stromnetz GmbH weist nicht ohne Grund daraufhin, dass Vattenfall kräftig in das Netz investieren will:

    "Wir müssen die Stadt weiterdenken, wir müssen bereits jetzt schon überlegen, wie wir das Netz in den nächsten 10 Jahren weiterentwickeln, und wir haben gesehen, dass allein für das Berliner Netz ein Investitionsbedarf ist von circa 1,4 Milliarden in den nächsten 10 Jahren."

    Sollte Vattenfall am Ende des Konzessionsverfahrens unterliegen, muss der schwedische Energiekonzern das Stromnetz verkaufen. Und wird - wie derzeit in Hamburg - versuchen, den Preis in die Höhe zu treiben. Helmar Rendez:

    "Wenn Sie das Berliner Stromnetz, so wie es heute steht und liegt, in dem jetzigen Zustand noch mal aufbauen müssten, würde das circa drei Milliarden kosten, das ist der sogenannte Sachzeitwert, der jetzige Wert dieses Netzes, die Frage ist dann, zu welchem Wertansatz das Netz verkauft werden muss."

    IHK sorgt sich um Verschuldung Berlins
    Es ist dieser Betrag, der die Gegner der Rekommunalisierung Sturm laufen lässt. Sollte die landeseigene Gesellschaft "Berlin-Energie" die Konzession erhalten und Vattenfall das Stromnetz abkaufen – die Entscheidung liegt in der Hand des Berliner Finanzsenators – würde dies die ohnehin hoch verschuldete Hauptstadt weiter belasten, argumentiert zum Beispiel Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der Berliner IHK:

    "Es geht um eine Menge Geld. Geld, das das Land Berlin nicht in einer Privat-, oder besser gesagt öffentlichen Schatulle irgendwo liegen hat. Völlig unklar, ob eine solche Investition sich überhaupt lohnt und welche Risiken eine weitere Verschuldung des Landes mit sich bringen würde. Natürlich können Sie mit einem Netz auskömmliche Rendite erwirtschaften, aber nicht, wenn Sie das Ganze komplett über Schulden finanzieren müssen und dann Zins und Tilgung am Hals haben."

    Wie auch in Hamburg hat sich die Industrie- und Handelskammer in Berlin gegen die Rekommunalisierung der Netze positioniert. Und sie hat sogar ein Gegenbündnis zum Berliner Energietisch gegründet, das dazu aufruft, beim Volksentscheid mit "Nein" zu stimmen. Dem Zusammenschluss gehören neben der IHK, der Handelsverband, die Gewerkschaft "Bergbau, Chemie und Energie", die Handwerkskammer, der Steuerzahlerbund und weitere Unternehmerverbände an. Jan Eder:

    "Betreibt Berlin das Netz und ein eigenes Stadtwerk, wird der Strom weder grüner noch billiger. Wer das behauptet, hält die Berlinerinnen und Berliner für dumm, und ich finde, die Berliner sind schlau genug, das zu erkennen."

    Wie die morgige Entscheidung ausgeht, lässt sich schwer vorhersagen. Klar ist: Bei einer hohen Wahlbeteiligung gewinnt die "Bürgerinitiative Energietisch", denn die meisten Nein-Sager dürften zu Hause bleiben.

    Je mehr Berliner also "Ja" ankreuzen, umso größer wird der politische Druck auf den rot-schwarzen Senat. Bei einem Sieg des Energietisches müsste die Große Koalition sowohl das Stadtwerk als auch den landeseigenen Bewerber um das Stromnetz finanziell und personell besser ausstatten – sonst ist die Chance, das Stromnetz zurück in den Schoß der Kommune zu holen, äußerst gering.

    Eines aber ist jetzt schon sicher - egal wie der Volksentscheid in Berlin morgen ausgehen wird. Die Bürger wollen ganz direkt mitreden, wenn es um wichtige Zukunftsentscheidungen ihrer Städte geht.


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