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Über das Geld
Die Kunst kritisiert ihre privaten Geldgeber

Waffenhändler, Oligarchen, Ex-Banker, Konzerne mit dubiosen Geschäftsmodellen: In der zeitgenössischen Kunst gibt es immer mehr Fälle, bei denen die zweifelhafte Herkunft von Geldern zur Finanzierung von Kunst zu Protesten und Rücktritten führt. In den USA spitzt sich die Lage zu.

Von Jörg Heiser |
Nan Goldin im Rahmen einer "End Overdose Crisis" vor dem Büro des New Yorker Gouverneurs Cuomo.
Die Fotografin Nan Goldin wehrt sich hartnäckig gegen den Einfluss der Mäzenatenfamilie Sackler (imago stock)
Über das Geld, Teil 3
Die Fotografin Nan Goldin wehrt sich hartnäckig gegen den Einfluss der Mäzenatenfamilie Sackler. Diese verdiente Milliarden durch den Verkauf des Schmerzmittels Oxycontin. Es gilt als Hauptursache für die Opioid-Krise in den USA, der pro Jahr Tausende Süchtige zum Opfer fallen.
Ein Blick in die Kunstgeschichte zeigt, dass Künstler seit jeher der Verführung durch Macht und Geld aus oft dubiosen Quellen ausgesetzt waren. Was lässt sich daraus lernen? Wie soll man mit dem Geld privater Mäzene und Sponsoren umgehen? Wo verläuft die rote Linie? Und was tun die Künstler, um sich zu positionieren? Beißen sie die Hand, die sie füttert?
Jörg Heiser ist Direktor des Instituts für Kunst im Kontext an der Universität der Künste in Berlin. Zuvor war er fast zwei Jahrzehnte Redakteur der britischen Kunstzeitschrift "frieze" und schreibt unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung". 2018 war er Ko-Kurator der Busan-Biennale in Südkorea. 2007 erschien sein Buch "Plötzlich diese Übersicht. Was gute zeitgenössische Kunst ausmacht", zuletzt 2016 der Band "Doppelleben. Kunst und Popmusik".

Aktuelle Fälle von dirty money in der Kunst
Die Kunstgeschichte kennt Sammler und Mäzene, ohne deren Zuwendungen bedeutende Künstler, ja ganze Künstlermilieus nicht hätten überleben können. Aber sie ist auch voller Beispiele von Reichen und Mächtigen, die versuchen, ihren rücksichtslosen Umgang mit Geld und Macht durch Kunst zu adeln, zu übertünchen und reinzuwaschen. Gegenwärtig erleben wir in dieser Hinsicht einen besonders zugespitzten Moment. In jüngster Zeit häufen sich Skandale um Geldgeber und Museumspatrone, die in zwielichtige oder zumindest ethisch fragwürdige Geschäfte verwickelt sind.
Im vergangenen Juni etwa berichtete die britische Tageszeitung The Guardian, eine ehemalige Goldman-Sachs-Bankerin namens Yana Peel habe ihr Geld in einen Investmentfond gesteckt. Dieser habe wiederum die israelische Softwarefirma NSO erworben. Sie sei nun also Miteigentümerin jener Firma, die die Cyberüberwachungs-Software "Pegasus" herstellt, mit der Smartphones infiltriert werden können. Und genau damit ist mutmaßlich der Journalist Jamal Kashoggi vor seiner bestialischen Ermordung im saudischen Konsulat in Istanbul ausgespäht worden. Auch die mexikanische Regierung soll die Pegasus-Software eingesetzt haben, unter anderem gegen Journalisten, die eine unaufgeklärte Bus-Entführung von 2014 untersuchten, in deren Folge 43 Studenten ermordet wurden.
Diese Yana Peel also, deren Geld nun in jener auf Cyberkriegsführung spezialisierten Firma steckte, war zugleich geschäftsführende Direktorin der Serpentine Gallery, einer renommierten Kunsthalle in London. Sie hatte zudem 2018 als Jury-Mitglied den "Freedom of Expression Award" an eine Menschrechtsorganisation mitverliehen, die in Ägypten von Geheimdiensten mittels Cyber-Attacken aufs Korn genommen wurde.
Vier Tage nach Erscheinen des Berichts im Guardian trat Peel von ihrem Posten zurück. Aber nicht reuige Einsicht hatte sie zu ihrem Schritt bewogen. Vielmehr hatten zwei Künstler, die gerade mit der Serpentine zusammenarbeiteten, Unterschriften zahlreicher Künstler und Intellektueller für einen Protestbrief gesammelt. Zum einen der britische Designer James Bridle, Autor des vielbeachteten Buches "New Dark Age", einer hellsichtige Dystopie der digitalisierten Welt. Zum anderen die deutsche Künstlerin Hito Steyerl, deren essayistische Videoinstallationen an allen bedeutenden Kunstorten gezeigt wurden, von der Kasseler Documenta bis hin zum Museum of Modern Art in New York. Der Widerspruch zwischen Peels Rhetorik und ihrem Geschäftsgebaren war allzu deutlich geworden. Doch als sie zurücktrat, schickte sie jenen, die ihre Demission gefordert hatten, noch eine Drohung hinterher. In einer Erklärung bezeichnete sie die Proteste nämlich als "toxische persönliche Angriffe" und schrieb weiter:
"Wenn Kampagnen dieser Art sich fortsetzen, riskieren die wertvollen Institutionen der Kunstwelt – welche so wichtig für unsere Gesellschaft sind – eine Erosion privater Unterstützung. Dies wird ein großer Verlust für alle werden."
Selten hat jemand öffentlich so unumwunden mit dem Liebes-, sprich: Geldentzug durch die Elite der Superreichen gedroht.
"Die Kunstwelt ist ein wunderbarer Ort, um Waffenhändler im Ruhestand kennenzulernen." Das hat der britische Künstler Jeremy Deller einmal gesagt. Nur, möchte man anfügen, dass die Waffenhändler, die man dort trifft, erstens gar nicht im Ruhestand sind und zweitens erheblichen politischen Einfluss haben. Da ist etwa Warren Kanders, bis vor kurzem Vize-Vorstand im Beirat des New Yorker Whitney-Museums. Das Unternehmen "Sierra Bullets", an dem er Anteile besitzt, produziert Hochgeschwindigkeitsgeschosse, die mutmaßlich von der israelischen Armee an der Grenze zu Gaza auch gegen Unbewaffnete eingesetzt wurden. Und seine Firma "Safariland" stellt unter anderem Tränengaspatronen her, mit denen an der US-Mexikanischen Grenze Asylsuchende beschossen wurden.
Als dies im November 2018 bekannt wird, beginnt eine monatelange Protestwelle, an der sich auch viele Mitarbeiter des Museums beteiligen. Im Februar schreibt der Documenta-Künstler Michael Rakowitz eine Solidaritätsnote und zieht seine Arbeit von der renommierten Whitney-Biennale zurück. Eine Aktivisten-Gruppe namens "Decolonize This Place" demonstriert immer wieder vor Ort. Doch erst im Juli, nachdem sich acht weitere Künstler aus der Biennale zurückziehen, wird der Druck zu groß: Kanders gibt seinen Sitz im Museumsbeirat auf. Es dauerte also deutlich länger als bei Yana Peel. Doch ähnlich wie sie veröffentlichte Warren Kanders ein Statement, in dem er sich als Opfer einer Schmutzkampagne darstellte. Unterton: "Ihr werdet schon sehen, wo eure Undankbarkeit hinführt!"
Wie kommt es, dass sich – dessen ungeachtet – die Kunstszene immer weniger mit der Sammlertätigkeit oder scheinbarer Philanthropie von Leuten abfinden mag, deren Vermögen auf dubiose Weise zustande kam oder sich solcherart weiter vermehrt? Denn dieses Unbehagen ist nicht selbstverständlich. Historisch betrachtet waren Künstler nicht nur abhängig von den Aufträgen der Kirche, der Königshäuser, der Adelsgeschlechter oder bürgerlicher Dynastien wie den Medicis – ihre größten Werke entstanden überhaupt erst im Glanze deren Reichtums! Mit der sukzessiven Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert öffnete sich das Spektrum, an denen Kunst stattfand. Neue Orte und Milieus kamen hinzu. Zugleich erweiterte sich auch das Spektrum des Darstellbaren. Im 19. und 20. Jahrhundert kam der moderne Nationalstaat als Großauftraggeber für riesige Denkmäler und Monumentalgemälde hinzu. Im realexistierenden Sozialismus bestimmte beinahe ausschließlich der Staat, welche Künstler Aufträge erhielten und welche nicht.
Die Befreiungsidee dank öffentlicher Zuwendungen währte kurz
Der Wohlfahrtstaat westlicher Prägung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nährte hingegen die Vorstellung, dass sich die Künstler dank öffentlicher Zuwendungen aus der Abhängigkeit von den Reichen und Mächtigen würden befreien können und dabei zugleich an künstlerischer Freiheit gewännen. Hinzu kamen die utopischen Befreiungs- und Kollektivierungsvorstellungen der 68er-Generation. Doch in den 2000er- und frühen 2010er Jahren freundete sich die Kunst wieder regelrecht damit an, refeudalisiert zu werden.
Die Kunst spiegelte damit exakt die gesellschaftliche Entwicklung in Sachen Reichtum: In vielen Ländern sanken und sanken die Steuersätze für Topverdiener. Zugleich trat eine neue globale Elite von Sammlern aus Lateinamerika oder China hervor. Auch die Finanzkrise von 2008 stoppte diese Entwicklung nicht. Im Gegenteil: Sie befeuerte sie noch, denn in Zeiten extrem niedriger Zinsen wächst die Attraktivität von Kunst als Investitions- und Spekulationsobjekt. Davon profitieren vor allem mächtige Großgaleristen wie Gagosian oder Hauser&Wirth und die von ihnen vertretenen Künstler, denn deren Status ist bereits durch museale Weihen abgesegnet. Das macht die Investition in ihre Werke weniger riskant und erhöht den Prestigegewinn für den Sammler.
Die französischen Soziologen Luc Boltanski und Arnaud Esquerre bezeichnen diese Veredelung des kulturell Abgesicherten als Bereicherungsökonomie. Denn die Veredelung bringt ja nicht nur Renommee, sondern potentiell auch Profit. In ihrem 2018 erschienenen Buch "Bereicherung – eine Kritik der Ware" widmen die beiden Autoren einen längeren Abschnitt der Entwicklung der südfranzösischen Stadt Arles.
Mit der Bereicherungsökonomie kam der Trend zur Veredelung
Dort, wo einst Lokomotiven hergestellt wurden, ist nun Tourismus die wichtigste Einnahmequelle. Nicht das antike und mittelalterliche Erbe der Stadt alleine hat diese Entwicklung möglich gemacht, sondern auch die Großinvestition einer Schweizer Milliardärin. Maja Hoffmann ist Erbin des Pharmariesen Hoffmann-Laroche und sitzt in zahlreichen Museumsbeiräten, vom New Museum in New York über die Londoner Serpentine bis zur Zürcher Kunsthalle. Hoffmann hat im großen Stil Geld in die Stadt Arles gesteckt, kurioserweise während der Amtszeit eines kommunistischen Bürgermeisters, der die Investorin mit offenen Armen begrüßte. Für 10 Millionen Euro kaufte sie das ehemalige Reparaturwerk der französischen Eisenbahn und baute es für ihre LUMA-Foundation um. Diese zeigt zeitgenössische Kunst im großen Stil. Rund 150 Millionen Euro hat sie alleine für einen vom Stararchitekt Frank Gehry erbauten 57-Meter-Turm mit schimmernder Aluminiumhaut bezahlt – die größte private Kulturinvestition in Europa. Das zielt auf den Bilbao-Effekt, denn das dortige, 1997 eröffnete Guggenheim-Museum, ebenfalls von Gehry erbaut, machte die nordspanische Stadt im Handumdrehen zum Tourismus-Magneten.
Boltanski und Esquerre wollen nicht Maja Hoffmann ihr Mäzenatentum ankreiden, sondern auf eine ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung hinweisen. Denn die einstige Industriestadt Arles wird nun wie Bilbao zwar zum Anziehungspunkt für wohlhabende Kultur-Pilger, und einige hundert Arbeitsplätze sind so auch entstanden. Zugleich aber liegt die Arbeitslosenquote nach wie vor mit 11,8 Prozent deutlich über dem Landesdurchschnitt von 8,7 Prozent. Bei der Europawahl holte Marie Le Pens Partei Rassemblement National in Arles über 32 Prozent. Und bei den Kommunalwahlen im Frühjahr 2020 könnte der Kandidat der Rechtsextremen ins Rathaus einziehen. Wie sich das mit dem neuen Kulturstolz der Stadt verträgt, bleibt abzuwarten.
In der Bereicherungsökonomie, im Trend zur Veredelung, hat sich die Kunst in den letzten Jahren gemütlich eingerichtet. Doch die Stimmung ist gekippt. Die Künstler sind aus dem Halbschlaf erwacht, in den sie diese für sie zunächst verlockende Entwicklung fallen ließ. Nun sind bereits vielerorts rechte bis rechtsextreme Populisten an die Macht gekommen. Die Kehrseite der Bereicherungsökonomie besteht nämlich aus einem weltumspannenden Desaster-Kapitalismus. So hat ihn bereits 2007 die kanadische Publizistin Naomi Klein benannt. Dieser Desaster-Kapitalismus funktioniert nach dem Prinzip der Disruption: Unterhöhle, ja zerrütte die staatlichen und zivilgesellschaftlichen Standards und ersetze sie durch unberechenbaren Irrsinn und falsche Behauptungen!
Dann profitierst du vom Chaos. Finanziere beispielsweise seltsame Institute, die den Klimawandel mit pseudowissenschaftlichen Argumenten leugnen. Oder unterstütze Politiker, die behaupten, dass sie für die kleinen Leuten eintreten, während sie tatsächlich deine Taschen füllen.
Also die Taschen jener Magnaten und Oligarchen, die mit Finanzprodukten, Waffen oder fossilen Brennstoffen handeln – und die in jeder sozialen Bewegung für Emanzipation und Ökologie eine Bedrohung ihrer Geschäftsmodelle sehen. Donald Trump, Boris Johnson, der ungarische Premier Victor Orban oder der brasilianische Präsident Bolsonaro sind diejenigen, die mit täglichen Grenzüberschreitungen und Ablenkungsmanövern diese Disruption ausagieren. Diese Killer-Clowns des Desaster-Kapitalismus werden von Künstlern – und zwar zurecht! – schon allein als Bedrohung gesehen, weil sie alles andere als kunstsinnig sind. Jair Bolsonaro etwa hat Kunst und Wissenschaft unverhohlen zu Feinden erklärt. Das Kulturministerium hat er abgeschafft und den staatlichen Universitäten das Budget um 30 Prozent gekürzt. Und Künstler, die öffentliche Förderungen erhalten, werden von seinen Anhängern als Schmarotzer beschimpft. Nun befinden sich unter jenen Superreichen, die dieses Spiel der Disruption betreiben oder sich durch fragwürdige Geschäfte bereichert haben, auch bedeutende Kunstsammler, Mäzene großer Museen und Mitglieder in Museumsbeiräten. Vor allem der Fall der Familie Sackler hat für Schlagzeilen gesorgt.
Millionenverdienst durch Opioid rief die Kunstaktivisten auf den Plan
Die Sacklers, nach denen zahlreiche Museumsneubauten und Museumsflügel benannt sind, haben am opioidhaltigen Schmerzmittel Oxycontin Milliarden verdient. Seit den 1990er Jahren wurden diese Tabletten massenweise verschrieben, wobei man deren stark süchtigmachende Wirkung mutmaßlich verschwiegen hat. Viele Menschen wurden abhängig, konnten sich die teuren Mittel auf Dauer nicht leisten und stiegen auf illegal verkauftes Heroin oder Fentanyl um. Auch die Fotografin Nan Goldin war lange von Oxycontin abhängig. In den 1980er Jahren ist sie berühmt geworden mit ihrer Fotoserie "Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit". Diese zeigt den Glanz künstlerischer Befreiung in der New Yorker Bohème ebenso wie das Elend von AIDS und Drogenabhängigkeit. Goldin hat aber auch die sogenannten Culture Wars der 80er-Jahre erlebt, als republikanische Senatoren gegen schwule Künstler wie Robert Mapplethorpe wüteten und die nationale Kunstförderung auf beinahe Null reduzierten.
Und Goldin kann sich gut an die Aktionen der Kunstaktivisten von Act Up erinnern. Daran angelehnt organisiert sie nun ihrerseits den Protest gegen die Sacklers. So wie Act Up in den 1980er-Jahren mit Werbeplakaten und Videoclips operierten, um die Öffentlichkeit auf die AIDS-Krise aufmerksam zu machen, hantiert Goldin nun geschickt mit Sozialen Medien, um den Protest gegen jene Museen zu organisieren, die weiterhin den Stifternamen Sackler an ihren Fassaden tragen. Beim Louvre in Paris hat sie bereits erreicht, dass dieser Namenszug entfernt wurde. Und die Tate in London versicherte, sie werde von den Sacklers nichts mehr annehmen. Die Serpentine Sackler Gallery, der zweite Standort der Londoner Kunsthalle, heißt allerdings immer noch so – obwohl die deutsche Künstlerin Hito Steyerl bei der Eröffnung ihrer dortigen Ausstellung im April 2019 die Beseitigung des Namens gefordert hatte. Steyerl sprach zudem davon, dass sich die Kunstwelt über den Umgang mit solchen Sponsoren verständigen, ja legale und geordnete Wege finden müsse, um sich aus der Abhängigkeit zu befreien:
"Stellen sie sich vor, Sie seien mit einem Serienmörder verheiratet und wollten sich scheiden lassen; es sollte doch kein Problem sein, eine solche Scheidung herbeizuführen."
Der Vergleich hat einen konkreten Grund: An der Überdosierung von Opiaten und Opioiden wie Oxycontin sterben pro Jahr über 70.000 Menschen in den USA. Zu den prominenten Opfern gehören Popstars wie Prince und Tom Petty. Angesichts einer solchen Krise fragt man sich tatsächlich, wie lange die Kunstwelt das ignorieren kann? Zumal die Familie Sackler, deren Vermögen auf zirka 13 Milliarden US-Dollar geschätzt wird, jede Mitschuld an der Opioid-Krise von sich weist. Doch im September 2019 wurde bekannt, dass die Familie versucht hat, eine Milliarde Dollar in der Schweiz beiseite zu schaffen. Angesichts des Fehlverhaltens lässt sich bei den Sacklers von Art-Washing sprechen, vom Versuch, den eigenen Ruf durch den Prestigegewinn aus Kulturmäzenatentum reinzuwaschen. Dank Nan Goldin und anderen Aktivisten ist dieser Versuch gründlich gescheitert. Der Name "Sackler" auf Museumswänden ist zum Stigma geworden.
Doch es geht nicht darum, die bösen Geldgeber persönlich zu schmähen. Sondern um eine grundsätzlichere, eine systemische Frage. Die amerikanische Künstlerin Andrea Fraser hat dies zuletzt mustergültig vorgeführt. Frasers Name ist mit dem Begriff Institutional Critique verbunden – auf Deutsch Institutionskritik. Die Institutional Critique ist eine politische Spielart der Konzeptkunst, die sich mit den sozialen und ökonomischen Strukturen beschäftigt; im Ausstellungsraum bleiben diese zunächst unsichtbar. Das Ziel lautet, das Unsichtbare sichtbar zu machen.
Mehrere Jahre arbeitete Fraser mit einem kleinen Team an einer Publikation, die so groß und dick ist wie ein Telefonbuch. Darin sind nicht nur alle Mitglieder von Museumsbeiräten aller amerikanischen Kunstmuseen aufgelistet, sondern auch deren jeweiligen Wahlkampfspenden, ob diese nun an Donald Trump, Hillary Clinton oder ausnahmsweise auch einmal an den linken Kandidaten Bernie Sanders gingen. Alle verwendeten Daten sind öffentlich zugänglich, wurden allerdings noch nie so fein säuberlich zusammengeführt. Man erhält Einblick in ein System, in dem die Kernschmelze zwischen turbokapitalistischer Oligarchen-Herrschaft und Populismus längst stattgefunden hat. Dabei wird sichtbar, dass eine immer reicher werdende, winzige Oberschicht von zirka 350 superreichen Familien mitsamt ihrer Unternehmen über 50 Prozent der US-Wahlkampagnen des Jahres 2017 finanziert haben.
Black Rock, MoMA und Widersprüche von Kunst und ihren Gönnern
Einer dieser Superreichen ist Larry Fink; er hat sowohl an Republikaner als auch an Demokraten gespendet. Die von ihm geleitete Firma Black Rock ist größter Geldverwalter der Welt und hält Mehrheitsanteile an Firmen, die zum hochprofitablen Gefängnis-System der USA gehören. Die USA haben die höchste Pro-Kopf-Rate Eingesperrter weltweit. Das System richtet soziale Verwüstung an und schreibt den Rassismus gegenüber Afroamerikanern und lateinamerikanischen Einwanderern fort. Daneben ist Larry Fink allerdings Mitglied des Beirats im Museum of Modern Art in New York. Im Oktober richteten zahlreiche prominente Künstler, inklusive der erwähnten Andrea Fraser, einen offenen Brief an das MoMA: Sie fordern darin Larry Fink auf, sich vom Geschäftsbereich Gefängnisse zurückzuziehen.
"Gemach, gemach!", wird mancher aus der Kunstwelt nun sagen. Sind wir nicht alle in ethisch fragwürdige Dinge verwickelt? Wo fangen wir an, wo hören wir auf, wenn wir das Geschäftsgebaren der Mächtigen in den Museen unter die Lupe nehmen? Wie soll es überhaupt Kunst geben, wenn nicht auch dank derer, die in einer Art modernem Ablasshandel ihre schmutzigen Geschäfte mit sauberer, ehrenvoller Patronage in der Kunst kompensieren? Ist doch gut, wenn sie nicht nur Schlechtes mit ihrem Vermögen anstellen!
Ein Problem mit dieser affirmativen Argumentationsweise ist, dass sie oft gerade von jenen kommt, die besonders vehement ihre Abscheu über Donald Trump zum Ausdruck bringen – so als hätte das eine mit dem anderen gar nichts zu tun! Aber das hat es. Und nicht bloß deshalb, weil auch Trumps Tochter Ivanka fleißig aktuelle Kunst gesammelt hat und Werke von amerikanischen Starkünstlern wie Christopher Wool und Wade Guyton besitzt. Sondern aus den erwähnten strukturellen Gründen, die Andrea Fraser offengelegt hat. Eines der Argumente in dieser Angelegenheit wird beispielsweise vom New Yorker Kunstkritiker Jerry Saltz vorgebracht: Man wolle sich ja auch nicht wieder in die Obhut eines politischen Apparats staatlicher Kunstförderung begeben, in deren erzkonservativen Reihen so mancher grundsätzlicher Feind von Kunstsubventionen sitze.
Zeugt es aber nicht von politischer Mutlosigkeit, den Staat und die öffentliche Hand mit einer derzeit regierenden Gruppierung in Eins zu setzen? Allerdings steckt auch ein Kern Wahrheit in dem, was Jerry Saltz sagt. Denn in autoritär regierten Ländern, in denen der Staat die Kunst nicht nur kaum fördert, sondern sie auch mit Zensur überzieht, sind private Geldgeber und Museen die letzte Zuflucht. Auch das ist nicht unkompliziert.
Beispiel Türkei: Bei der aktuellen Istanbul-Biennale gibt es Proteste, weil deren inhaltliche Ausrichtung auf Ökologie genau von jenen Sponsoren finanziert ist, die selber massiv mit fossiler Energie und an der Zerstörung von Lebensräumen verdienen. Die Koç-Familie, die mit ihrer Kulturstiftung die Biennale hauptsächlich finanziert, besitzt beispielsweise ein Firmenkonglomerat, zu dem die Produktion von türkischen Militärfahrzeugen ebenso gehört wie Erdölraffinerien. Kürzlich erst haben die Koçs ein prächtiges neues Kunstmuseum in Istanbul eröffnet. Die Kunstszene ist auf Gönner wie sie angewiesen; vom Staat unter Präsident Erdogan hat sie nichts zu erwarten.
Doch daraus lässt sich nichts für Länder ableiten, in denen es noch ein halbwegs funktionierendes, unabhängiges Rechtssystem und zivilgesellschaftliche Standards gibt. Außer vielleicht, dass man fürs Schlimmste gewappnet sein muss und sich nicht vollends in die Öffentliche Hand begeben kann, sondern eine gesunde Balance zwischen öffentlicher und privater Förderung erreichen muss. Aber ist – anders als in den USA oder der Türkei – die Welt in Deutschland und angrenzenden Ländern wie Schweiz, Österreich oder den Niederlanden nicht sowieso noch in Ordnung? Hier sind doch die meisten Museen und Kunsthallen von der öffentlichen Hand finanziert. Was also haben wir damit zu tun? Mindestens zweierlei.
Hans Haacke als Schlüsselfigur der Institutionskritik
Erstens: Historisch betrachtet ist es so, dass eine absolute Schlüsselfigur der Institutionskritik aus Deutschland kommt, der Künstler Hans Haacke. 1970 fragte er die Besucher des MoMA, ob sie dem damaligen Gouverneur des Staates New York, Nelson Rockefeller, die Wiederwahl verweigern würden, weil er Nixons Vietnampolitik mittrage? Rund zwei Drittel bejahten die Frage. Rockefeller war damals ebenfalls Vorstandsmitglied und Gönner des Museums. Ein Jahr später wurde eine Haacke-Schau im Guggenheim Museum fünf Wochen vor Eröffnung abgesagt. Der Künstler hatte in Text und Bild die Immobiliengeschäfte eines gewissen Harry Shapolsky offengelegt, eines New Yorker slum landlord, der über ein Netz von Holdings und Immobilienfirmen ein Vermietermonopol in den armen, überwiegend von Afroamerikanern bewohnten Teilen der Stadt aufgebaut hatte. Einige der Vorstandsmitglieder des Museums waren wohl selbst in diese Machenschaften verwickelt.
Auch in Deutschland sorgte Haacke für Aufruhr. 1974 wurde ein vom Kölner Wallraf-Richardtz-Museum beauftragter Ausstellungsbeitrag zurückgewiesen. Hans Haacke hatte darin aufgezeigt, dass Hermann Josef Abs, der als Kuratoriums-Mitglied des Museums maßgeblich den Erwerb eines Spargel-Stillebens von Edouard Manet organisiert hatte, zu Nazi-Zeiten nicht nur Vorstandsmitglied der Deutschen Bank AG gewesen war, sondern selbst seit 1938 die Arisierung jüdischen Besitzes betrieben hatte. Auch das Manet-Bild hatte jüdischen Familien gehört, bevor es durch einen Auktionskauf in den Besitz des Museums gelangte. Das wollte man dort allerdings nicht hören. An Stelle des Museums präsentierte nun die Privatgalerie Paul Maenz Haackes Werk, zusammen mit einer Reproduktion des Manet-Bildes. Zahlreiche in der Wallraf-Richardtz-Ausstellung vertretene Künstler protestierten gegen Haackes Ausschluss.
Womit wir bei Punkt zwei wären: Natürlich gibt es auch in Deutschland und Europa zweifelhafte Unternehmenstätigkeit auf Seiten bedeutender Kunstsponsoren. Die Deutsche Bank hat in den letzten Jahren immer wieder ihren schlechten Ruf erneuert. Sie ist nicht nur letzter verbliebener Kreditgeber für die windigen Geschäfte Donald Trumps, sondern war zwischen 2010 und 2014 auch am sogenannten "Russischen Waschsalon" zentral beteiligt, mit dessen Hilfe zig Milliarden Schwarzgelder aus Russland reingewaschen und reinvestiert wurden. Die Bank betreibt in Berlin das Ausstellungshaus Palais Populaire und ist Hauptsponsor der Frieze-Kunstmessen in London, New York und Los Angeles. Das Schweizer Bankhaus UBS wiederum, Hauptsponsor der Art Basel Kunstmesse, hat eine ganze Reihe an Skandalen vorzuweisen: von jüdischem Raubgold, das die Nazis bei der UBS deponiert hatten, über Anteile an Firmen, die Streubomben herstellen, bis hin zur Rolle, die das Bankhaus bis zuletzt bei der Finanzierung der hoch umstrittenen Dakota Access Pipeline gespielt hat, welche durch Indianerstammesgebiete verläuft und dort das Trinkwasser gefährdet.
Fall Flick - Reinwaschung durch Kunst
Erinnert sei auch an den "Fall Flick". Friedrich Christian Flick wollte Anfang der 2000er-Jahre in Zürich ein Museum für seine Sammlung eröffnen. Die Stadt lehnte dankend ab, denn Flick hatte sich immer geweigert, in einen Entschädigungsfond für ehemalige Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge einzuzahlen, obwohl auf deren Ausbeutung als Zwangsarbeiter Teile des Flick’schen Vermögens beruhen. Zudem hatte er öffentlich bekannt, dass es ihm auch darum gehe, mit seiner Sammlung den Familiennamen "auf eine neue und dauerhaft positive Ebene zu stellen".
Naiver hatte sich kaum je ein Mäzen zur Reinwaschung durch Kunst bekannt.
Doch das Museum Hamburger Bahnhof in Berlin setzte sich über die schweizerischen Bedenken hinweg, trotz der Proteste aus der Kunstszene. Die Sammlung Flick ging nach Berlin. Dort ist sie bis heute.
Auch aus jüngster Zeit gibt es Beispiele für den problematischen Umgang von Wirtschaftsmacht mit Kunst. Zum Beispiel beim VW-Konzern in Bezug auf das ihm finanzierte Kunstmuseum Wolfsburg. Vielleicht liegen schlicht bei einigen der reichen und mächtigen Unternehmer die Nerven blank. Nur ist es an der Kunst und ihrer Öffentlichkeit, dies nicht unkommentiert hinzunehmen. Nicht immer muss es um Boykott gehen. Oft würde es genügen, die Zustände transparent zu machen, nichts unter den Teppich zu kehren. "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing", sagt zwar das Sprichwort – aber längst nicht mehr jeder in der Kunstwelt stimmt ein in dieses Lied. So lange die Superreichen ungehindert von steuerpolitischen Maßnahmen ihr Vermögen mehren, bleibt der Kunstwelt nichts anderes übrig, als rote Linien zu definieren und sich besser zu organisieren. Das Kunst-Prekariat der schlecht bezahlten Kuratoren und Künstler muss sich zusammentun. Und die Ausstellungshäuser müssen sich selbst regulieren, nach dem Vorbild etwa des Deutschen Presserats, der im Fall von Verstößen gegen den Pressekodex zumindest Missbilligungen und Rügen ausspricht. Ähnlich könnte beispielsweise der Museumsverband International Committee for Museums and Collections of Modern Art, kurz CIMAM agieren.
Doch auch die Mäzene und Sponsoren selbst stehen in der Pflicht: Wenn sie ihre Rolle kritisch reflektieren und dem gesellschaftlichen Wohl zuarbeiten wollen, dann müssen sie sich klar und deutlich von jenen neofeudalen Oligarchen distanzieren, die genau dies nicht tun. Dass die Kunstwelt nicht mehr bereit scheint, die Augen vor schmutzigen Machenschaften einiger ihrer Gönner zu verschließen, geschieht auch vor dem Hintergrund des Rechtsrucks weltweit. Er hat viele sensibilisiert und über die sozialen Medien zum Protest mobilisiert. Gewiss birgt es auch Gefahren, wenn Einzelne zu Sündenböcken für eine Gesamtentwicklung gemacht werden. Doch umso wichtiger wären für Museen und Kunsthallen geordnete Strukturen der Selbstregulierung – und eine innere Bereitschaft zur Selbstreflektion.