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Zwickmühle der Alzheimerforschung

Medizin.- Wenn ein Alzheimerpatient in Behandlung geht, ist die Krankheit meist schon lange zu Werke. Das liegt auch daran, dass sich schädliche Ablagerungen im Gehirn über Jahrzehnte ansammeln, bevor es zu Beschwerden kommt. Eigentlich müsste also viel früher behandelt werden. Doch das stellt Medizin und Pharmazie vor große Herausforderungen.

Von Volkart Wildermuth | 25.10.2011
    Die öffentlichen Geldgeber und die Pharmaindustrie haben Millionen investiert, aber die bislang zugelassenen Medikamente können den Krankheitsverlauf von Alzheimer nur um vielleicht ein Jahr verzögern. Dabei gab es so viele Substanzen, die das Gedächtnis von Mäusen oder Ratten schützen konnten.

    "Die Tatsache, dass bisher alle im Tier erfolgreichen Substanzen beim Menschen nicht erfolgreich waren, liegt vermutlich daran, dass man Menschen einfach erst behandeln darf, wenn sie ganz klar alzheimerdiagnostiziert sind. Und in diesem Zustand ist die Krankheit sehr, sehr fortgeschritten, ich will nicht sagen, dass es da keine Hoffnung mehr gibt, aber dann ist man sehr spät im Entwicklungsstadium der Krankheit und wie bei jeder andren Krankheit ist es dann so, dass die Erfolgsaussichten einer Behandlung in einem sehr späten Stadium entsprechend schlecht sind."

    Professor Dieter Willbold vom Forschungszentrum Jülich spricht aus, was wohl alle Alzheimerforscher denken: Fortschritte kann es nur geben, wenn eine Behandlung einsetzt, bevor zu viele Nerven absterben, bevor das Gedächtnis schwindet. Letztlich müssen die Ärzte also spätere Alzheimerpatienten erkennen, bevor sie überhaupt Symptome entwickeln.

    "Ein ganz wichtiges Ziel der gegenwärtigen Forschung, auch unserer Forschung, ist, sogenannte Biomarker zu entdecken. Biomarker sind messbare Substanzen im Körper, im Blut, im Liquor, die damit zusammenhängen, mit dem Krankheitsfortschritt und auf diese Weise indirekt über den Krankheitsfortschritt uns Auskunft geben können."

    Vorbild sind Blutdruck oder Cholesterinwert, die der Arzt regelmäßig prüft, um einen erhöhtes Herzinfarktrisiko zu erkennen und rechtzeitig einzugreifen. Ein Test für die Frühphase von Alzheimer ist viel aufwendiger. Nur winzigste Mengen der krankhaft verklumpten Eiweiße finden sich außerhalb des Gehirns. Am Forschungszentrum Jülich ist es gelungen, sie zumindest schon im Nervenwasser des Rückenmarks nachzuweisen. Im nächsten Schritt soll der Test auch in Blut erprobt werden. So ein Biomarker macht aber nur Sinn, wenn es auch eine vorbeugende Therapie gibt. Sie müsste von heute noch gesunden Menschen über Jahre, vielleicht Jahrzehnte eingenommen werden. Solche Medikamente müssen extrem nebenwirkungsfrei sein.

    So gesund wie Zucker, meint Dr. Manuela Lopez de la Paz von dem Frankfurter Unternehmen Merz Pharmazeuticals, die selbst an innovativen Alzheimertherapien arbeitet. Sicher muss das Medikament sein, aber auch effektiv. Gerade die Wirksamkeit von vorbeugenden Medikamenten ist aber schwer in Studien zu belegen, schließlich kann ihr Effekt erst nach vielen Jahren sichtbar werden. Das ist die Zwickmühle der Alzheimerforschung. Professor Mark Pepys vom University College London schlägt deshalb vor, neue Substanzen an Patienten mit einer erblichen Form von Alzheimer zu erproben.

    "Bei diesen seltenen Familien kann man den Ausbruch mithilfe von verschiedenen Hirnscannern vorhersagen, drei bis fünf Jahre, bevor sie Gedächtnisstörungen bekommen. Dann weiß man, der Krankheitsprozess hat begonnen. Idealerweise sollte die Therapie beginnen, wenn die Menschen noch nicht dement sind. Dann könnte man sehen, ob man den Gedächtnisverfall verhindern kann."

    Mark Pepys selbst versucht gerade eine solche Studie zu organisieren, für ein Medikament, das den Abbau der Alzheimerablagerungen erleichtern soll. Noch fehlt aber ein finanzkräftiger Investor. Familien mit erblichen Formen von Alzheimer können klinische Studien beschleunigen. Aber diese Familien sind selten. Dieter Willbold setzt deshalb darauf, zuerst einen Biomarker für die Frühphase der viel häufigeren altersbedingten Alzheimerform zu entwickeln und Medikamente dann gezielt an Menschen mit hohem Risiko zu erproben.

    "Ich denke, das ist der erfolgversprechendste Weg, um endlich Substanzen für mögliche Therapien oder Prävention auf dem Markt zuzulassen, was dann hilfreich für alle wäre."