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Zwischen Freiheit und Pflicht
Wie Menschen auf Corona-Maßnahmen reagieren

Wo Freiheiten für Geimpfte locken, lassen sich immer mehr Menschen impfen. Zahlreiche Studien haben sich mit den bisherigen Erfahrungen infolge der Pandemie beschäftigt. Im Fokus stehen die Akzeptanz von Anti-Corona-Maßnahmen und die Impfbereitschaft. Wie hängt das eine mit dem anderen zusammen?

Von Barbara Weber | 27.05.2021
Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen laufen auf der Leipziger Straße.
Bei der Bereitschaft zu einzelnen Corona-Maßnahmen spielen unterschiedliche Faktoren eine Rolle (picture alliance/dpa / Christoph Soeder)
Die Impfkampagne in Deutschland läuft: Nicht nur in den Impfzentren, auch bei niedergelassenen Ärzten und bald bei Betriebsärzten können sich Menschen gegen das Coronavirus impfen lassen. Das Angebot wird genutzt – die Inzidenzzahlen sinken.
Aus den bisherigen Erfahrungen mit der Pandemie kann man auch Aussagen wagen, wann Menschen bereit sind, sich an Corona-Maßnahmen zu halten.
Symbolbild eines möglichen digitalen Impfpasses mit einem analogen gelben Impfpass
Corona-Impfpass für Reisen und Öffnungen - Mehr Freiheiten für Geimpfte und Genesene
Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren und strenge Quarantäneregeln: Diese Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie gelten in Deutschland für Geimpfte und Genesene nicht mehr. Ein Überblick.
Wann halten sich Menschen an die Anti-Corona-Maßnahmen?
Während der drei bisherigen Lockdowns befragte Katrin Schmelz, Verhaltensökonomin und Psychologin an der Universität Konstanz, mehrere Tausend Menschen zu den Corona-Maßnahmen wie Kontakt- und Reisebeschränkungen, Maskentragen sowie die Nutzung der Corona-Warn-App. Dabei wurde auch untersucht, welchen Einfluss Freiwilligkeit oder Verpflichtung dabei spielen.
"Wir haben gesehen, dass insgesamt die freiwillige Bereitschaft, sich an die Maßnahmen zu halten, relativ hoch ist. Sie lag bei 60 bis 70 Prozent", berichtet die Forscherin. "Wir haben auch gesehen, dass Pflicht bei manchen Maßnahmen keinen Effekt auf die Bereitwilligkeit hat, sich daran zu halten, und sie bei anderen sogar untergraben kann. Es hängt einfach davon ab, ob die freiwillige Bereitschaft ausreicht, damit eine Maßnahme greift und Wirkung zeigt."
Brautkleider sind in einem Schaufenster eines Brautmoden-Geschäfts zu sehen. Im Vordergrund steht ein Schild, das auf die Maskenpflicht während der Corona-Pandemie verweist.
Hinweis auf Maskenpflicht im Einzelhandel und in den Fußgängerzonen (picture alliance/dpa | Ole Spata)
Konkret heißt das: Eine Bereitschaft von 60 bis 70 Prozent fürs Tragen einer Maske wäre nicht ausreichend. Deshalb ist es hier sinnvoll, die Maskenpflicht zu haben. Bei der Frage ist, ob eine Verpflichtung die Eigenmotivation untergräbt oder zerstört, hängt die Antwort stark von der Maßnahme ab. Kaum Einfluss hat das bei der Maskenpflicht, ganz anders sieht es aber bei der App aus. Freiwillig sind viele Leute bereit, die App herunterzuladen und zu nutzen. Im Falle einer Verpflichtung würde die Bereitschaft deutlich sinken.
Während der ersten beiden Lockdowns war laut Studien-Ergebnis das Einverständnis mit den Maßnahmen sehr stabil. Dazu beigetragen hat sicherlich auch, dass beim zweiten Lockdown die Fallzahlen 15-mal höher waren als beim ersten Lockdown. Im dritten Lockdown allerdings ging das Einverständnis sowohl für freiwillige als auch verpflichtende Maßnahmen leicht zurück.
Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland
Menschen, die in der DDR sozialisiert wurden, zeigten laut Schmelz weniger Widerstand gegen verpflichtende Maßnahmen als gleichaltrige Westdeutsche. Dieser Effekt ist umso stärker, je mehr Jahre man die DDR erlebt hat. Und das gilt für alle Maßnahmen, die Parallelen mit der DDR-Erfahrung aufweisen, also zum Beispiel Reisebeschränkungen und Überwachung im Sinne der App. Aber es gilt nicht für das Maskentragen, da weder Ost- noch Westdeutsche Vorerfahrungen damit haben.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist die Beobachtung: Je mehr Vertrauen jemand in die Regierung hat, desto mehr ist der- oder diejenige damit einverstanden, sich an die Maßnahmen zu halten.
Vertrauen in die Regierung ist wichtig
Welche Rolle das Vertrauen in die eigene Regierung spielt und was Polarisierung in sozialen Medien bewirkt – darum ging es bei einer aktuellen Studie des MPI für Bildungsforschung, durchgeführt von Inho Hong und seinem Team. Ziel der Untersuchung war es, herauszufinden, wann Menschen in den USA Corona-Maßnahmen ablehnen.
Die wichtigsten Resultate:
  • Die Polarisierung in den Netzwerken kann zu unterschiedlichen Verhalten führen und den Abstand zwischen den Bundesstaaten in Bezug auf die Anti-Covid-Maßnahmen vergrößern.
  • Ähnliche politische Einstellungen zwischen politischer Führung und der Bevölkerung sind wichtig für den Erfolg der Anti-Corona-Maßnahmen.
  • Kampagnen können sich positiv auf die Bekämpfung der Pandemie auswirken, wenn Menschen in sozialen Netzwerken diese unterstützen.
Studienleiter Inho Hong erläutert: "Während der Pandemie konnten wir beobachten, dass einige Maßnahmen gegen die Ansteckung politisiert wurden. Zum Beispiel kann das Tragen von Masken die Infektion verringern, aber keine Maske zu tragen, wurde zu einem politischen Statement. Das Tragen von Masken hat zu Unterschieden geführt zwischen demokratisch und republikanisch regierten Staaten, was wiederum ein großes Risiko beinhaltet, die Pandemie zu kontrollieren."
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass ein Fünftel der Amerikaner sich nicht impfen lassen will, ein Fünftel nur "vielleicht". Besonders ausgeprägt ist die Impfskepsis bei den unter 45-jährigen Republikanern.
Mehrere Plakate, Grablichter und Kerzen stehen auf dem Podest des Stierbrunnens in Prenzlauer Berg und erinnern an die die aktuelle Zahl der Toten durch Corona in Deutschland. (Januar 2021)
Ökonom über Corona und Ethik: "Niemand weiß, wie hoch der Preis des Lebens wirklich ist"
Die Corona-Pandemie kostet viele Menschenleben. Sie hat auch weitreichende ökonomische, soziale und psychologische Kosten. Politiker müssten entscheiden, wie viel Geld sie für die Rettung von Leben bereitstellten, sagte der Ökonom Armin Falk im Dlf – das sei ethisch oft schwer auszuhalten.
Impfbereitschaft in Deutschland
Zwar gibt es auch hierzulande Impfgegner – allerdings nicht in dem Ausmaß wie in den USA. Die Psychologin Katrin Schmelz hat ihre Studienteilnehmer auch danach gefragt, welche Faktoren bei der Impfbereitschaft eine Rolle spielen.
  • Freiwilligkeit: Es sind deutlich mehr Menschen bereit, sich impfen zu lassen, wenn die Impfungen freiwillig sind, als wenn sie verpflichtend eingeführt würden.
  • Vertrauen: Eine Person, die zwischen dem ersten und dem zweiten Lockdown Vertrauen in den Staat verloren hat, ist im zweiten Lockdown weniger impfbereit geworden.
  • Konformitätseffekt: Je mehr Personen bereits geimpft sind, desto mehr Ungeimpfte lassen sich von einer Impfung überzeugen.
  • Altruismus: Menschen, die grundsätzlich eher dazu neigen, anderen in Not zu helfen, sind auch eher freiwillig impfbereit.
Über 70 Prozent – so das Ergebnis der in der vergangenen Woche abgeschlossenen dritten Umfrage – sind demnach bereit, sich impfen zu lassen.
Niedersachsen, Hannover: Ein Kinderarzt impft ein Kind mit einem 6-fach-Kombinationsimpfstoff gegen Diphtherie, Tetanus (Wundstarrkrampf), Kinderlähmung (Polio), Keuchhusten (Pertussis), Haemophilus influenzae Typ b (Hib) und Hepatitis B.
Corona-Impfstoffe und ihre Nebenwirkungen im Überblick
Seit Dezember 2020 wird in Deutschland gegen das Coronavirus geimpft. Wie steht es um Nebenwirkungen der verschiedenen Impfstoffe? Was sollten Betroffene tun? Und wie überwacht die EMA den Impfprozess?
Wie lässt sich im Impfbereitschaft erhöhen?
Eine aktuelle Studie der Humboldt Universität Berlin beschäftigt sich mit der Frage, welche Strategien Politiker anwenden können, um die Impfbereitschaft zu erhöhen. Dazu befragten Heike Klüver und ihr Team im März rund 20.500 Personen in ganz Deutschland.
Drei Strategien standen im Mittelpunkt:
  • die Gewährung von Freiheiten für Geimpfte
  • finanzielle Anreize
  • die Möglichkeit der Impfung in einer hausärztlichen Praxis
"Im März, als wir unsere Studie durchgeführt haben, haben nur 67 Prozent der Befragten angegeben, dass sie sich auf jeden Fall gegen Covid-19 impfen lassen würden oder haben sich bereits impfen lassen", sagt Klüver. "Weiter hat unsere Studie gezeigt, dass jede der drei Strategien für sich in der Lage ist, den Anteil der Impfbereiten um circa fünf Prozentpunkte zu erhöhen und dass zusammengenommen dieser Anteil bis zu 13 Prozent steigen kann."
Laut aktueller Zahlen vom RKI aus einer Befragung, die zwischen dem 21.4. und 7.5.2021 erhoben wurden, liegt die Impfbereitschaft inzwischen bei 73 Prozent. Dazu Heike Klüver: "Die letzten Wochen haben sicherlich gezeigt, dass zwei der Strategien, die wir in unserer Studie diskutieren, die Möglichkeit der Hausarztimpfung und die Aussicht auf Freiheiten, die Impfbereitschaft erhöht hat."
Fazit: Auch wenn die Studien unterschiedliche Gruppen befragten – mal nur die Impfwilligen, mal die Impfwilligen und schon Geimpften – ergibt sich ein ähnliches Bild: Rund 70 Prozent und mehr der Befragten wollen sich inzwischen impfen lassen oder sind bereits geimpft.
Liam Klages, Leiter vom Impfzentrum Ebersberg, zeigt bei einem Pressetermin auf seinem Smartphone sein Covid-19 Impfzertifikat in der Oberfläche des digitalen Impfasskonzepts „aLive Digital Health Pass“. Im Rahmen des Besuchs informiert sich der Minister über die Erfahrungen des Impfzentrums mit dem digitalen Impfpasskonzept „aLive Digital Health Pass“.
Was über Wirksamkeit einer Kreuzimpfung bekannt ist
In Deutschland empfiehlt die STIKO unter 60-Jährigen, die mit Astrazeneca geimpft wurden, eine Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff. Zur Wirksamkeit der Kombinationen gibt es noch keine abgeschlossenen Studien. Erste Daten zeigen: Die Kombinationen sind sicher, führen aber häufiger zu Nebenwirkungen.
100 Prozent Herdenimmunität?
Wirkliche Entspannung könnte die Herdenimmunität bringen. Wie man dorthin kommt, betont Lothar Wieler, Präsident des RKI, in schöner Regelmäßigkeit. Demnach muss "der Anteil der immunen Personen in der Bevölkerung entweder durch eine vollständige Impfung oder durch eine durchgemachte Infektion und Impfung bei der vorherrschenden Virusvariante B.1.1.7 deutlich über 80 Prozent liegen."
Die Illustration zeigt die Kronenzacken (Spikes) des Coronavirus. Links die britische, in der Mitte die brasilianisch und rechts die südafrikanische Variante. In diesem Bild sind die Atome der Spikes zu erkennen
Wie gefährlich sind die Coronavirus-Mutationen?
Gleich mehrere Varianten des ursprünglichen Coronavirus sind in Deutschland angekommen. Dominierend ist immer noch die britische Variante B.1.1.7, aber auch B.1.617 aus Indien wird vermehrt nachgewiesen. Wie gefährlich sind die Coronavirus-Varianten, wie wirksam die Impfstoffe noch? Ein Überblick.
Einfach ist es nicht, zeitnah dieses Ziel zu erreichen. Im NDR-Podcast sieht Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité, die Situation in Bezug auf die Herdenimmunität gelassen:
"Patientenzentriert ist die Herdenimmunität ziemlich irrelevant, denn jeder wird immun werden, nicht 70 oder 80 Prozent, sondern 100 Prozent der Bevölkerung werden unweigerlich, ich würde mal sagen in einem Fenster, das von jetzt noch so anderthalb Jahre läuft, immun werden, und zwar entweder durch die Impfung oder durch eine natürliche Infektion. Und wer sich jetzt beispielsweise aktiv dagegen entscheidet, sich impfen zu lassen, der wird sich unweigerlich infizieren, da kann man nichts dagegen tun, denn die Maßnahmen werden natürlich auch dann immer weiter zurückgefahren, zum Glück, und dann zirkuliert das Virus in der Bevölkerung. Und dann trifft es auch immer auf Leute, die nicht immunisiert sind durch eine Impfung. Und diese Lücke, also diese 30 Prozent, wenn wir an 70 denken oder 20 Prozent, wenn wir an 80 Prozent Impfquote denken, das hat jetzt nichts mit politischen Debatten oder Impfpflicht oder irgendeiner Art von auch ethischer Debatte zu tun, das ist eine freie Entscheidung, die man letztendlich trifft. Nur ich glaube, diejenigen, die sich aktiv gegen die Impfung entscheiden, die müssen wissen, dass sie sich auch aktiv für die natürliche Infektion entscheiden."
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2