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Zypries lehnt Volltextdatei über Terrorverdächtige ab

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries will dem Informationsfluss zwischen Polizei und Nachrichtendiensten bei Einführung einer Anti-Terror-Datei Grenzen setzen. Die Daten dürften nicht im Volltext für alle Behörden zugänglich sein, sagte die SPD-Politikerin. Informationsaustausch setze eine Anfrage voraus, über deren Berechtigung im Zweifelsfall ein Gericht entscheiden müsse.

Moderation: Stefan Heinlein | 25.08.2006
    Stefan Heinlein: Trotz oder gerade wegen der raschen Fahndungserfolge, die Debatte über neue, schärfere Sicherheitsmaßnahmen wird lauter. Die Terrorgefahr vor der eigenen Haustür alarmiert die Politik. Viele Maßnahmen werden diskutiert. Der Fantasie sind offenbar kaum Grenzen gesetzt. Rail-Marshalls, Ausweitung der Videoüberwachung oder die schärfere Kontrolle des Internets, Maßnahmen, bei denen noch vor Monaten nicht nur den Datenschützern mulmig geworden wäre. Jetzt jedoch werden sie ernsthaft erwogen, und nur wenige warnen vor der Gefahr des totalen Überwachungsstaates. Schon in den nächsten Tagen wollen die zuständigen Innenminister von Bund und Ländern beraten. Ein Hauptthema: die viel diskutierte Anti-Terror-Datei. Sie scheint beschlossene Sache, doch über Art und Umfang wird noch gestritten. Und dazu begrüße ich jetzt am Telefon Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD). Guten Morgen!

    Brigitte Zypries: Guten Morgen, Herr Heinlein!

    Heinlein: Frau Zypries, die Anti-Terror-Datei ist seit Jahren ein Thema. Nun soll es offenbar ganz rasch gehen. Die Innenminister fordern sämtliche Daten unverschlüsselt auf einen Blick für alle Sicherheitsbehörden. Sie sind dagegen. Warum wollen Sie denn den Fahndern ihre Arbeit erschweren?

    Zypries: Nein, ich will nicht den Fahndern die Arbeit erschweren, sondern ich möchte gerne, dass wir die rechtsstaatlichen Sicherungen, auf die wir großen Wert legen, auf diese Errungenschaften, dass wir die auch beibehalten. Deswegen möchte ich gerne, dass wir das Trennungsgebot der Informationen zwischen Polizei und Nachrichtendiensten auch beibehalten und deshalb eben nicht alle Daten unverschlüsselt in eine Datei stellen, auf die jeder Zugriff hat, sondern dass wir sagen, jeder soll wissen, was da drin ist, er soll sich dann aber bei der zuständigen Behörde jeweils konkret erkundigen. Dann bekommt er das, was er nach der rechtlichen Zuschreibung seines Aufgabenfeldes auch bekommen darf.

    Heinlein: Also ist die Verfassung wichtiger als die Sicherheit?

    Zypries: So können Sie es natürlich nicht zuspitzen. Das wissen Sie so gut wie ich. Es geht immer um eine Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit, und wir müssen das in jedem Einzelfall tun, und wir müssen es auch immer im Blick auf die jeweilige Gefährdungslage tun.

    Heinlein: Aber ganz praktisch, Frau Zypries: Ist es nicht leichter für die Behörden, für die Fahnder, wenn alle Informationen in einer Datei auf einen Blick zu haben sind, als wenn sie umständlich dann einzelne Informationen von den anderen Behörden erfragen müssen?

    Zypries: Das müssen sie ja nicht umständlich tun. Sehen Sie, die Segnungen der Technik können wir ja nutzen. Wir haben beispielsweise auf europäischer Ebene die Strafregister jetzt vernetzt miteinander. Das geht jetzt. Was früher Wochen dauerte oder teilweise schriftlich gemacht wurde, geht jetzt eben per E-Mail im Minutentakt. Ich denke, so etwas ist den Sicherheitsbehörden hier im Zweifel auch zumutbar. Im Übrigen sieht ja der Vorschlag des Innenministers auch selber vor, dass es bei einem Ersuchen bleibt. Das heißt also, dass obwohl ein relativ ausführlicher Text eingestellt werden soll trotzdem bei der zuständigen Behörde angefragt werden muss. Also da divergieren die Vorschläge ja gar nicht.

    Heinlein: Das verstehe ich nicht ganz, Frau Zypries. Warum ist es besser, wenn ein Fahnder erst im Index, in einer Art Inhaltsverzeichnis einer Datei recherchieren muss, dann die Information anfordert, um sie dann auch zu bekommen? Das Ergebnis ist doch das gleiche.

    Zypries: Das stimmt. Er bekommt sie aber nur, wenn er sie auch bekommen darf. Sehen Sie es ist ja doch so, dass die Nachrichtendienste, die ja ebenso wie die Polizei dort einstellen sollen, schon im Vorfeld Informationen sammeln, während die Polizei eben im präventiven Bereich Daten nur dann erheben darf, wenn sie auch zur Gefahrenabwehr erforderlich sind. Das heißt, es ist eine ganz andere Zweckbestimmung. Und diese Zweckbestimmungen sind auch aus verfassungsrechtlichen Gründen zu beachten. Sie wissen, dass das Bundesverfassungsgericht gerade bei der Rasterfahndung in dieser Entscheidung auch vor kurzem noch mal deutlich gemacht hat, wie wichtig es ist, dass man auf den jeweiligen konkreten Zweck abstellt. Und ich denke, das sollten wir tun. Ich denke, es verschlägt nichts, um ehrlich zu sein.

    Heinlein: Wer soll denn darüber entscheiden, ob eine Behörde von einer anderen Informationen bekommt? Muss da ein Richter eingeschaltet werden?

    Zypries: Nein. Zunächst einmal müssen die gesetzlichen Grundlagen beachtet werden: Wer darf was zu welchem Zwecke sammeln und zu was darf es verwertet werden. Im Zweifelsfall entscheidet ein Gericht, ja!

    Heinlein: Dann dauert es doch länger, wenn ein Richter entscheiden muss?

    Zypries: Ich gehe jetzt nicht davon aus, dass jeder Fall ein Zweifelsfall ist, sondern was ich doch nur will, ist, dass wir nicht sagen, wir legen hier Dateien an, die eine beliebige Größe erreichen können, denn es sind ja nicht nur potenzielle Täter, die dort gespeichert werden sollen, sondern auch sämtliche Kontaktpersonen und Ähnliches mehr. Das heißt, das zieht ja Kreise. Und wenn ich über alle diese Personen alle Daten, nicht nur die persönlichen Identitätsdaten, sondern auch Kontoverbindungen, Autos, Handy-Nummern, E-Mail-Nummern und ich weiß nicht was alles speichere, dann habe ich da doch ein enormes Datenkonvolut, was ich eben nicht haben soll, wenn jeder darauf Zugriff haben kann, der eben auch nicht befugt ist.

    Heinlein: Gibt es eigentlich Grenzen, welche Daten gesammelt werden können und welche nicht?

    Zypries: Wie meinen Sie das?

    Heinlein: In dieser Datei. Welche Daten dürfen in dieser Datei sein?

    Zypries: Ja natürlich, es geht ja immer nach der Zweckbestimmung. Das heißt, der Zweck ist eben die Aufklärung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland, und in dem Zusammenhang müssen die Daten gesammelt werden. Das heißt es muss irgendeine Verbindung geben zwischen den Daten, die man dort sammelt, und diesem Zweck.

    Heinlein: Frau Zypries, kommen wir vom Einzelfall zum Allgemeinen. Glauben Sie, dass viele Innenpolitiker jetzt die Gunst die Stunde nutzen wollen, um das zu verwirklichen, von dem sie vielleicht schon immer geträumt haben, Stichwort Video- und intensivere Telefonüberwachung?

    Zypries: Im Großen und Ganzen finde ich, dass die Diskussion relativ sachlich läuft in Deutschland, und ich habe mich auch gefreut, dass viele der Kollegen gesagt haben, es ist wichtig, dass wir zunächst mal den Sachverhalt voll aufklären und wissen, was da eigentlich geschehen ist, damit wir die Defizite bestimmen können. Wir haben ja längst gesetzliche Grundlagen für die Videoüberwachung, und sie wird ja auch gemacht. Wir haben natürlich auch längst gesetzliche Grundlagen für die Telefonüberwachung. Ganz im Gegenteil, muss ich mich ja ständig dafür rechtfertigen, warum die Anzahl der Telefonüberwachungen so hoch gegangen ist in den letzten Jahren.

    Heinlein: Also Sie teilen nicht den Eindruck Ihres Parteigenossen Wiefelspütz, der sagt, diese ganze Sicherheitsdebatte sei zu laut, zu hektisch, zu primitiv?

    Zypries: Es gibt immer mal Einzelne, die dann vielleicht so etwas überspitzt sagen, aber im Großen und Ganzen finde ich ist es doch okay.

    Heinlein: Nehmen wir noch ein konkretes Beispiel. Sie haben die Telefonüberwachung angesprochen. Der Innenminister Schünemann aus Niedersachsen fordert nun eine leichtere präventive Telefonüberwachung bei Terrorverdacht. Ist dies mit Ihnen zu machen?

    Zypries: Nein, ich meine das sind solche Forderungen, wo man sagen kann, da wird immer was draufgesetzt, wo wir längst wissen, dass wir aus Rechtsgründen auch bestimmte Sachen nicht machen wollen.

    Heinlein: Zeigten aber nicht gerade diese raschen Festnahmen, wie wichtig etwa Videoüberwachung ist? Muss der Staat nicht alle Möglichkeiten bekommen, um die Bürger zu schützen, selbst wenn es zu Lasten des Datenschutzes dann letztendlich geht?

    Zypries: Herr Heinlein, den Gegensatz muss man gar nicht aufbauen. Wir überwachen doch längst auf Flughäfen und auf Bahnhöfen. Das haben wir doch gesehen, und die Daten haben wir auch ausgewertet. Also mit anderen Worten: Wir haben das Material, um das es geht. Dass wir keine flächendeckende Überwachung von Deutschland mit Videokameras brauchen, das bestreitet doch auch niemand, sondern es geht um diese Kernpunkte, um diese Konfliktpunkte, und da haben wir sie. Da gibt es eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage, und da kann das gemacht werden.

    Heinlein: Frau Zypries, eine Frage noch zum Schluss zum gestrigen Fahndungserfolg. Wie schwierig wird es denn aus Ihrer Sicht werden, die geplante Auslieferung von Dschihad Hamad zu ermöglichen?

    Zypries: Das müssen wir jetzt mal sehen. Die Mitarbeiter vom Generalbundesanwalt sind ja da unten. Sie haben ja vorhin in Ihren Nachrichten auch gesagt, dass es eben keinen Auslieferungsvertrag gibt, sondern dass es über den normalen diplomatischen Weg gehen muss. Ich vermute mal, dass das gehen wird, aber das kann ich natürlich jetzt noch nicht sagen, welche Schwierigkeiten sich dort auftun. Das werden wir sehen in den nächsten Tagen.

    Heinlein: Ist es denn grundsätzlich schwieriger, wenn kein Auslieferungsvertrag besteht?

    Zypries: Na ja, wenn es so einen Vertrag gibt, dann gibt es eben eingefahrene Regeln. Ansonsten muss man eben Extragesuche und neue Verfahren installieren. Das ist immer etwas schwieriger, als wenn man auf ausgetrampelten Pfaden läuft.

    Heinlein: Wird denn der junge Libanese, wenn er nicht ausgeliefert wird, einen rechtsstaatlichen Prozess im Libanon bekommen, oder ist es besser für ihn, wenn er letztendlich in der Bundesrepublik seinen Prozess bekommt?

    Zypries: Da müssen wir erst mal sehen, ob er im Libanon überhaupt einen Prozess bekäme und inwieweit dort die Zusammenarbeit dann ginge. Wenn, dann gehe ich davon aus, dass dieser Prozess rechtsstaatlich sein wird. Da gibt es ja aus den letzten Jahren wenigstens vom Libanon doch keine Anzeichen, dass das nicht so sei.

    Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Frau Zypries, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Zypries: Auf Wiederhören.