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Abstimmung über Italiens Verfassung
Jede Stimme zählt

Die Regierung unter Matteo Renzi braucht die Zustimmung der Italiener für eine Verfassungsreform. Doch vielen Menschen im Land geht es bei der Abstimmung nicht um den Inhalt der Reform. Sie wollen Matteo Renzi einen Denkzettel verpassen.

Von Karl Hoffmann | 02.12.2016
    Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi.
    Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi wirbt für eine Verfassungsreform. (dpa/picture alliance)
    In Italien ist Politik immer auch Theater, sorgfältig inszeniert. Und so bleibt es spannend bis zum großen Finale: Da sind einerseits die Wähler, die immer noch nicht wissen, wie sie abstimmen sollen: "Ich werde mich bis zuletzt informieren über die Inhalte, damit ich mich entscheiden kann. Bisher habe ich das noch nicht getan."
    Zu kompliziert seien die Inhalte, zu gegensätzlich die Meinungen darüber, welche Auswirkungen der Ausgang des Volksentscheids für Italien, für Europa, ja die ganze Welt haben könnte, das denken viele Wähler. Deshalb ist aus der erhofften breiten Debatte über die durchaus dringende Erneuerung des Landes, seiner politischen Strukturen und nicht zuletzt seiner weitgehend unpopulär gewordenen politischen Führer eine Schlacht wie zwischen Tifosi, gegnerischen Fußballfans geworden. Das sind die anderen: "Die Reform muss kommen, damit wir endlich diese Mischpoke im Parlament loswerden. Da sitzen Leute die über uns bestimmen und nur einen Haufen Geld einstreichen."
    "Renzi will die gesamte Macht in nur einer Parlamentskammer konzentrieren. Damit wird er zum allmächtigen Herrscher. Das ist gegen unsere Verfassung."
    Zwei der am heftigsten umstrittenen Argumente, die in den vergangenen Wochen auch immer wieder zu heftigen Protesten gegen Regierungschef Renzi geführt haben.
    Auf Süditalien kommt es an
    Vor allem in Süditalien, wo schon oft Wahlen für ganz Italien entschieden wurden. Auf Sizilien versprach Renzi Strukturhilfen, Wirtschaftsförderung und speziell auch Geld für Bürgermeister, die willig Immigranten aufnehmen. Und schimpfte gleichzeitig auf jene, die Italien mit dem Problem alleine ließen.
    "Alle müssen solidarisch sein, auch das restliche Europa. Wenn die anderen ihre Türen zuschließen, dann werden wir unsern Geldbeutel zumachen. Wir zahlen pro Jahr 20 Milliarden an die EU und bekommen nur 12 Milliarden zurück. Mit unserem Geld wird keiner Mauern in Europa bauen."
    Ansonsten versuchte Renzi das Thema Migranten während des Vorwahldramas tunlichst zu vermeiden. Denn das hatte die fremdenfeindliche Lega Nord bereits besetzt, auch wenn es in der Verfassungsreform überhaupt nicht vorkommt. Aber viel verständlicher ist als spröde Verfassungsartikel. Es ist eine Schlacht um die letzte Stimme, den letzten unentschlossenen Wähler. Und sehr wahrscheinlich bereits entschieden. Bis Donnerstagnachmittag konnten die Auslandsitaliener ihre Stimme abgeben.
    Matteo Renzi setzt auf Italiener im Ausland
    Eine der kuriosen Varianten im italienischen Spiel um Stimmen und Macht. Nachkommen italienischer Auswanderer bis zur dritten Generation dürfen in Italien wählen, egal wo sie leben und ob sie jemals in Italien waren. 3,4 Millionen potentielle Wähler. Bei einem Kopf-an-Kopf Rennen sind sie wahlentscheidend.
    Renzi hatte sogar Minister, Botschafter und Kulturinstitute für die Auslandskampagne eingesetzt und Millionen von Briefen in alle fünf Erdteile verschickt, eine goldene Zukunft dank seiner Verfassungsreform versprochen und den Untergang des Landes im Falle einer Ablehnung heraufbeschworen.
    "Renzi hat uns allen diesen Brief geschickt, als Regierungschef, bezahlt aus Steuermitteln. Aber das war kein einfaches Informationsschreiben; sondern Wahlkampf pur..." meldete sich per YouTube ein Wähler aus Argentinien zu Wort. Und aus Paris erklärte eine ausgewanderte junge Frau aus Sizilien: "Mir wäre ein Brief lieber gewesen, indem du, lieber Renzi uns gefragt hättest, warum wir auswandern mussten. Und in dem du uns bittest zurückzukommen, weil Italien uns braucht, und zwar nicht nur zum Wählen."