Dienstag, 07. Mai 2024

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Affäre um "Netzpolitik.org"
"Ich sehe keinen Bedarf für eine Gesetzesänderung"

Der CDU-Politiker Patrick Sensburg lehnt eine Gesetzesänderung als Konsequenz aus den Ermittlungen gegen das Blog "Netzpolitik.org" ab. Er sei skeptisch, wenn bestimmte Berufsgruppen wie Journalisten beim Landesverrat herausgenommen würden, sagte er im DLF. Das Problem sei vielmehr die politische Einmischung in Ermittlungen.

Patrick Sensburg im Gespräch mit Christiane Kaess | 06.08.2015
    Patrick Sensburg (CDU), Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses
    Patrick Sensburg (CDU), Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses (picture alliance/dpa/Soeren Stache)
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Sensburg hält es nicht für erforderlich, die Pressefreiheit in Deutschland gesetzlich besser zu schützen. Er sprach sich im Deutschlandfunk dagegen aus, Journalisten aus dem Paragraf 94 des Strafgesetzbuches, der den Straftatbestand des Landesverrats regelt, herauszunehmen. "Wir haben in der deutschen Rechtsgeschichte nur ganz wenige Fälle, in denen Journalisten in den Verdacht des Landesverrats gerieten", sagte der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses.
    Meistens seien die Fälle zugunsten der Pressefreiheit entschieden worden. Deshalb sehe er derzeit keinen Bedarf für eine Gesetzesänderung. Es gebe eher den Bedarf, dass sich die Politik aus den Ermittlungen heraushalte. Erst dadurch sei die jetzige schwierige Situation entstanden. In dem konkreten Fall sehe er nicht bei den Journalisten, die Dokumente des Bundesamtes für Verfassungsschutz veröffentlicht hatten, sondern bei Mitarbeitern des Verfassungsschutzes, die die Unterlagen weitergegeben hätten, einen Straftatbestand erfüllt.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Zur Erinnerung noch einmal der Anfang der Geschichte: Vor einer Woche war bekannt geworden, dass Harald Range, zu dem Zeitpunkt noch Generalbundesanwalt, wegen des Verdachts des Landesverrats ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat gegen die Blogger Andre Meister und Markus Beckedahl von Netzpolitik.org sowie gegen Unbekannt. Angestoßen hatte dies der Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen mit einer Anzeige. Er sieht durch die Veröffentlichungen von Netzpolitik.org das Dienstgeheimnis verletzt und will das Durchstechen unterbinden. Nachdem Justizminister Heiko Maas sich unter dem öffentlichen Druck einmischte, eskalierte das Ganze und endete vorerst einmal wie bekannt damit, dass Maas Range in den Ruhestand versetzte. Die Diskussion geht aber weiter - eine Zusammenfassung von Barbara Schmidt-Mattern.
    Mitgehört hat Patrick Sensburg von der CDU. Er ist Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses und Mitglied im Rechtsausschuss des Bundestages. Guten Morgen!
    Patrick Sensburg: Schönen guten Morgen!
    Kaess: Herr Sensburg, muss nach Harald Range jetzt auch Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen gehen?
    Sensburg: Nein, ich halte nichts davon, ständig Rücktritte zu fordern oder Vergleichbares die Untersuchungsausschüsse. Ich glaube, es ist gut, wenn wir einige Fragen noch klären, nämlich insbesondere, wer hat zu welchem Zeitpunkt von der Anzeige gewusst. Ich glaube, das ist ganz wichtig, um interne Abläufe wie jetzt die Entlassung des Generalbundesanwaltes nachzuvollziehen, aber ich glaube, dann ist dieser Sachverhalt sicherlich auch politisch weitestgehend geklärt. Eine juristische Aufarbeitung muss ja noch kommen, denn das Ermittlungsverfahren, das schwebt ja noch, und ich glaube, da wird es auch zeitnah eine Klärung geben.
    "Ich sehe keine Strafbarkeit von Netzpolitik.org"
    Kaess: Ja, aber Herr Sensburg, einen Rücktritt haben wir ja schon, und Herr Maaßen ist eigentlich derjenige, der alles ausgelöst hat.
    Sensburg: Ja, das ist richtig. Herr Maaßen hat als Präsident des Verfassungsschutzes eine Anzeige gestellt, weil als vertraulich eingestufte Dokumente nach draußen gelangt sind. Das ist seine Aufgabe, er muss gewährleisten, dass Dokumente, der als Behörde einstuft, die der Geheimhaltung unterliegen, nicht an die Öffentlichkeit gelangen, und das kann verschiedene Gründe haben, insbesondere zum Beispiel, dass Dokumente vom Verfassungsschutz selber nach draußen dringen, also dass es Innentäter gibt - und da hat er eine Anzeige gegen Unbekannt erstattet...
    Kaess: In der auch die Namen der beiden Journalisten dennoch genannt wurden.
    Sensburg: Richtig, weil Netzpolitik.org, deren Arbeit ich übrigens sehr schätze, diese Dokumente auf ihrer Seite veröffentlicht haben. Aber ich glaube, wenn man sich die Straftatbestände anschaut - das ist der Paragraf 94, Landesverrat, und das ist der Paragraf 95, der vielleicht sogar eher in Betracht käme, das Offenbaren von Staatsgeheimnissen -, dann sehe ich keine Strafbarkeit von Netzpolitik.org, sehe aber sehr wohl Delikte, die möglicherweise Innentäter des Verfassungsschutzes begangen haben.
    Kaess: Aber Herr Maaßen hat sich wahrscheinlich ausrechnen können, was aus dieser Anzeige entsteht. Der SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel, der sagt, es entstehe zunehmend der Eindruck, dass Maaßen auf dünner Rechtsgrundlage ein Exempel an einem kleinen Blog statuieren wollte.
    Sensburg: Ja, ich glaube, das ist nicht der Fall. Die Pressefreiheit und auch die Selbstbewusstheit der Presse in Deutschland ist ja ein hohes Gut und sehr gut ausgestattet.
    Kaess: Und das weiß Herr Maaßen auch.
    Sensburg: Da gehe ich von aus, Herr Maaßen ist ja ein erfahrener Amtschef. Also ich kann mir nicht vorstellen, dass Herr Maaßen so kurzsichtig gedacht hat und gedacht hat, damit wird er Netzpolitik.org schocken oder die Presse insgesamt - dieser Schuss hätte nach hinten losgehen müssen. Ich glaube nicht, dass das seine Erwägung war, ich glaube, dass Herr Maaßen gesehen hat, dass in den letzten Monaten fast regelmäßig Dokumente nach außen dringen. Das muss Gründe haben, das ist auch nicht der Deutsche Bundestag, wo die Dokumente nach draußen dringen. Ich glaube, hier sind es insbesondere die Behörden - der Verfassungsschutz, der BND -, die Dokumente nach außen dringen lassen, nicht absichtlich, aber da scheint es doch eine gewisse Zahl von Personen zu geben, die Dokumente nach außen steuern, und dem muss entgegengetreten werden.
    "Es ist seine Pflicht, etwas gegen Durchstecherei zu unternehmen"
    Kaess: Aber genau deshalb hätte man ja auch dann da Journalisten nicht mit reinmengen müssen.
    Sensburg: Ja, es kommt natürlich drauf an, wo die Dokumente veröffentlicht sind. Er hätte ja nicht sagen können, unbekannt veröffentlicht, sondern die Veröffentlichung, der Akt der Veröffentlichung ist ja augenscheinlich. Die Frage ist, welche Ermittlungen hat Generalbundesanwalt Range in welche Richtung eingeleitet. Hat er nur gegen Netzpolitik.org ermittelt, oder hat er auch noch weitere Ermittlungen zum Beispiel gegen Innentäter des Verfassungsschutzes angestellt? All das hätte ich gern von Herrn Range gewusst, um den Sachverhalt etwas, ich sag mal, deutlicher werden zu lassen. Das ist jetzt leider nicht mehr möglich, weil Herr Range nicht mehr im Amt ist.
    Kaess: Bleiben wir noch kurz bei Herrn Maaßen beziehungsweise bei Innenminister Thomas de Maizière - der hat über seinen Sprecher mitteilen lassen, Hans-Georg Maaßen habe sich völlig korrekt verhalten. Können Sie das verstehen, wie Innenminister Thomas de Maizière zu so einer Beurteilung kommt, wenn er doch gleichzeitig die Vorwürfe des Landesverrates für völlig überzogen hält?
    Sensburg: Erst mal müssten Sie da natürlich den Innenminister dazu fragen, aber es sind ja auch zwei Gesichtspunkte: Einmal, ob Netzpolitik.org mit den beiden Journalisten, die Sie angesprochen haben, einen Straftatbestand verwirklicht hat, nämlich Landesverrat, einen übrigens sehr schwer zu verwirklichenden Straftatbestand, der hohe Hürden hat. Sie brauchen ein Staatsgeheimnis, Sie brauchen dann den Schaden, Sie brauchen einen subjektiven Tatbestand, dass auch wirklich gewollt wurde, dass ein Nachteil für die Bundesrepublik Deutschland eintritt. Da sehe ich Vieles einfach überhaupt nicht gegeben, was Netzpolitik.org betrifft, aber ich sehe andererseits natürlich auch, dass als geheim eingestufte Dokumente einer Behörde nach außen dringen. Und das geht auch wieder nicht.
    Kaess: Da sind wir wieder an dem Punkt, dass sich Herr Maaßen wahrscheinlich ausrechnen konnte, was aus seiner Anzeige wird. Kann es sein, dass es Herrn de Maizière...
    Sensburg: Na, das sagen Sie jetzt.
    Kaess: Das sage ich, genau. Kann es sein, dass es Herrn de Maizière ganz recht war, dass Herr Maaßen etwas gegen diese Durchstecherei unternehmen wollte?
    Sensburg: Also das ist seine Pflicht, nach meiner Meinung, etwas gegen Durchstecherei zu unternehmen, das wäre bei einem Radio- oder Fernsehsender genauso. Wenn frühzeitig Konzeptionen von Sendungen in der Öffentlichkeit auftauchen und Sie eine lange geplante Sendung deswegen verwerfen müssten, dann würden Sie sich auch ärgern, dann müsste der Intendant sicherlich auch was unternehmen. Legt er die Hände in den Schoß, dann würden sich alle fragen, warum ist er der Intendant.
    "Prüfung war grundsätzlich ein richtiger Schritt"
    Kaess: Ja, und dafür kann man auch in Kauf nehmen, dass jetzt der Landesverrat oder der Vorwurf des Landesverrates gegen Journalisten im Raum steht?
    Sensburg: Das sehe ich wiederum anders. Ich glaube, dass hier die Tatbestände Landesverrat wie auch Offenlegung von Staatsgeheimnissen nicht verwirklicht sind, aber die Prüfung, die muss man natürlich zulassen, und deswegen haben wir auch eine Gewaltenteilung, deswegen haben wir eine Justiz. Wenn sich da die Politik immer einmischt, dann würden wir rechtlich vonseiten der Staatsanwaltschaften und danach der Gerichte ja nie eine Überprüfung bekommen. Und ich glaube, dass sich die Journalisten von Netzpolitik.org sehr entspannt haben zurücklehnen können und sagen, das lassen wir mal auf uns zukommen, wir sehen diese Tatbestände nicht als verwirklicht an. Und ich habe den Eindruck, dass eine gewisse Ruhe ja auch bei Netzpolitik.org da war.
    Kaess: Herr Sensburg, wie ist es eigentlich zu erklären, dass die Interpretationen Staatsgeheimnis so stark auseinandergehen? Wir haben diese juristischen Gutachten, die das offenbar gegeben sehen, und wir haben andererseits eine große Aufregung, vor allem in Politik und Öffentlichkeit, die sagen, das ist alles völlig überzogen und überhaupt nicht vorstellbar.
    Sensburg: Das liegt einmal daran, weil der Begriff Staatsgeheimnis sehr von den tatsächlichen Gegebenheiten abhängt. Das kann man nicht einfach juristisch mit einem Kommentar klären und da steht es drin, sondern es hängt sehr intensiv von den Dokumenten selber ab. Und die sind hoch kompliziert zu bewerten, und deswegen hat der Generalbundesanwalt - so verstehe ich es von außen - diese Dokumente bewerten lassen: Sind es denn Staatsgeheimnisse, was steht drin, welche Bedeutung haben die Dokumente - wo es auch teilweise bis zu Stellen beim Bundesverfassungsschutz geht, einer Stellenstruktur für die entsprechende Aufgabe -, ist das so sensibel, dass man das als Staatsgeheimnis bewerten kann? Also von daher hat der Generalbundesanwalt dies prüfen lassen von einem Gutachter, das halte ich grundsätzlich für einen richtigen Schritt.
    Kaess: Entschuldigung, wenn ich unterbreche, aber wenn es so schnell eine Einstufung als Staatsgeheimnis geben kann, was ist denn eigentlich die Pressefreiheit noch wert?
    Sensburg: Das steht ja der Pressefreiheit grundsätzlich nicht entgegen, auch wenn es sich um ein Staatsgeheimnis handelt, kann es ja zu einer Veröffentlichung kommen. Der sensible Journalist wird immer im Einzelfall eine Güterabwägung treffen, kann er dieses Dokument veröffentlichen, er könnte ja auch über das Dokument berichten. Aber wenn es ein hochsensibler Sachverhalt ist, dann wird der Journalist eine Güterabwägung treffen und im Zweifel dann sagen, in diesem sensiblen Fall geht die journalistische Freiheit einfach vor, vor den Schutz vor Staatsgeheimnissen, und wird dann die Veröffentlichung machen. Und so hat auch das Verfassungsgericht schon 1967 entschieden. Es hat gesagt, nach den Grundsätzen der Güterabwägung kann dann auch selbstverständlich die Pressefreiheit überwiegen, und dann kann sogar ein Dokument veröffentlicht werden. Es kommt jetzt immer drauf an, worum geht es.
    "Ich sehe derzeit keinen Bedarf für eine Gesetzesänderung"
    Kaess: Dennoch bleibt diese Einstufung einfach problematisch. Jetzt will Justizminister Maas an diesem Paragrafen zum Landesverrat nachbessern beziehungsweise das ändern zugunsten der Pressefreiheit - müssen Journalisten hier ausgenommen werden?
    Sensburg: Da verstehe ich jetzt die Frage nicht. Wenn die Pressefreiheit - dann müssen sie natürlich ausschließlich dann jetzt Journalisten ausnehmen aus Paragraf 94, dem Landesverrat...
    Kaess: Genau.
    Sensburg: ... und da muss ich ganz ehrlich sagen, was ist denn mit Ärzten? Mit Ärzten, die zur Lebensrettung vielleicht von Patienten einen Landesverrat begehen, nehmen Sie die nicht aus? Was ist jetzt mit Strafverteidigern...
    Kaess: Das ist jetzt ein etwas weit hergeholtes Beispiel. Wir haben ja einen ganz konkreten Fall, wo es um Pressefreiheit geht.
    Sensburg: Ja, ja, klar, aber Sie nehmen bestimmte Berufsgruppen. Wir haben das ja in anderen Bereichen auch, zum Beispiel im Zeugnisverweigerungsrecht, da haben wir auch bestimmte Berufsgruppen, und ich bin immer sehr skeptisch, wenn wir bestimmte Berufsgruppen aus Straftatbeständen herausnehmen. Wir haben ja in der deutschen Rechtsgeschichte nur ganz, ganz wenige Fälle, und die werden ja auch in den letzten Tagen immer wieder zurate gezogen, ganz wenige Fälle, wo Journalisten in den Verdacht des Landesverrates gerieten, und meistens sind diese Fälle ja zugunsten der Pressefreiheit entschieden worden. Von daher sehe ich derzeit keinen Bedarf für eine Gesetzesänderung, das Problem sehe ich eher darin, wenn sich die Politik in Rechtsermittlungen einmischt. Dadurch haben wir ja diese schwierige Situation. Ich glaube, dass der Generalbundesanwalt nach seiner Prüfung selber relativ zügig zum Ergebnis gekommen wäre, ein Landesverrat liegt gar nicht vor, und von daher, glaube ich, kein Bedarf an der Änderung von Gesetzen, eher der Bedarf, dass sich die Politik aus Ermittlungsverfahren heraushält.
    Kaess: Und offenbar auch noch jede Menge Aufklärungsbedarf. Patrick Sensburg war das von der CDU, Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses. Danke schön für das Interview!
    Sensburg: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.