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Anstehende Sondierungsgespräche
"Nervt, dass Union keine Position zu sich selbst findet"

Die Frage, ob sie in Sondierungsgespräche mit der Union gehen, hätten sich die Sozialdemokraten nicht leicht gemacht, sagte der SPD-Politiker Thorsten Schäfer-Gümbel im Dlf. Es müsse dabei auch um die Vertrauensbrüche der vergangenen Monate gehen. Die Unentschlossenheit der Union könnte Gespräche schwierig machen.

Thorsten Schäfer-Gümbel im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 28.12.2017
    Thorsten Schäfer-Gümbel, stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender, SPD-Fraktionsvorsitzender im hessischen Landtag, beim Hintergrundgespräch im Funkhaus Köln.
    "Wir haben uns die Frage, ob wir überhaupt sondieren, ja wirklich nicht leicht gemacht", sagte der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel im Dlf. (Deutschlandradio / Bettina Fuerst-Fastre)
    Jörg Münchenberg: Sigmar Gabriel ist derzeit fast überall, und das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Der geschäftsführende Außenminister der SPD tourt durch die Welt, und gleichzeitig gibt er seiner Partei sozusagen von der Seitenlinie, also über die Medien, immer wieder Empfehlungen für die anstehenden Sondierungsgespräche oder auch für die innerparteiliche Neuausrichtung, als hätte es den Parteivorsitzenden Gabriel nie gegeben, der ja dann in dieser Zeit, so ätzen manche Parteigenossen, seine eigenen Ratschläge hätte durchaus umsetzen können. Am Telefon begrüße ich nun den stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD, Thorsten Schäfer-Gümbel. Einen schönen guten Morgen!
    Thorsten Schäfer-Gümbel: Schönen guten Morgen, ich grüße Sie!
    Münchenberg: Herr Schäfer-Gümbel, wie genervt sind Sie denn von den ständigen Ratschlägen durch den geschäftsführenden Außenminister Sigmar Gabriel?
    Schäfer-Gümbel: Ich bin gar nicht genervt.
    Münchenberg: Das kommt jetzt überraschend, trotzdem ist es ja erstaunlich, denn er bestimmt die Medien in den letzten Tagen.
    Schäfer-Gümbel: Wir haben uns ja auch wechselseitig gesagt, dass wir jetzt erst mal ein paar Tage die ruhige Zeit genießen und es immer gut ist, vor schwierigen Gesprächen auch sich selber in den Kräften zu sammeln. Sigmar Gabriel ist nicht Teil des Sondierungsteams, und er macht seine Arbeit sehr intensiv – das haben Sie eben zu Recht auch erläutert –, und er ist aber, wie gesagt, nicht Teil des Sondierungsteams, und alle anderen haben sich darauf verständigt, dass wir jetzt uns erst einmal sammeln, auch die Sondierung selbst vorbereiten. Trotzdem gehört es natürlich auch dazu, dass man im Vorfeld und im Umfeld solcher Sondierungen Positionen aufbaut, und daran beteiligt sich Sigmar Gabriel nach Kräften.
    "Haben uns verabredet, im Sondierungsteam, ein bisschen zurückzuhalten"
    Münchenberg: Aber ist das denn wirklich hilfreich jetzt für die anstehenden Sondierungsgespräche, wenn Gabriel ja doch sehr klar rote Linien formuliert, zum Beispiel bei der Europapolitik oder eben auch bei der Bürgerversicherung?
    Schäfer-Gümbel: Das sind ja die Dinge, die wir auf dem Bundesparteitag schon formuliert haben. Insofern verstärkt er das, was wir auf dem Parteitag entschieden haben, und dagegen ist nichts zu sagen.
    Münchenberg: Aber auf der anderen Seite, sie haben es ja schon gesagt, er ist ja nicht im Sondierungsteam, also warum dann immer diese Einwürfe von der Seitenlinie. Was treibt Sigmar Gabriel?
    Schäfer-Gümbel: Also ich kann ja verstehen, dass man immer mal wieder einen Versuch startet, erneut Unstimmigkeiten in der SPD zu suchen. Ich kann das nur wiederholen: Wir haben uns verabredet, im Sondierungsteam, ein bisschen zurückzuhalten – das merken Sie in verschiedenen öffentlichen Erklärungen –, andere wiederum definieren im Umfeld der Sondierungen unsere Positionen, und zwar die, die wir auf dem Parteitag auch miteinander formuliert haben, und daran kann ich erst einmal nichts Problematisches sehen.
    Münchenberg: Sie sagen, Herr Schäfer-Gümbel, Sie sind nicht genervt. Dann will ich es mal anders probieren: Sind denn die Äußerungen von Gabriel hilfreich?
    Schäfer-Gümbel: Definitiv in Bezug auf die Fragen, die Sie jetzt gerade aufgerufen haben, weil es genau um diese Fragen gehen wird. Es war völlig klar in allen Debatten, die wir in den letzten Wochen geführt haben, und wir haben uns die Frage, ob wir überhaupt sondieren, ja wirklich nicht leicht gemacht, weil die Gründe, die für uns am 24. September dazu geführt haben zu sagen, wir gehen in die Opposition, die sind ja nicht null und nichtig dadurch, dass Jamaika gescheitert ist, sondern sie sind nach wie vor präsent. Wir haben bei der Bundestagswahl verloren, und zwar deutlich. Wir haben auf der anderen Seite gesagt, dass wir keine österreichischen Verhältnisse wollen mit Blick auf die Stärkung der Rechten und dass der Unterschied zwischen den beiden großen Volksparteien wieder erkennbarer werden muss, wenn man nicht will, dass die Ränder gestärkt werden, und diese Argumente sind nicht weg dadurch, dass Jamaika gescheitert ist, und deswegen haben wir uns die Frage nicht leicht gemacht, und deswegen war die klare Entscheidung, es muss anders werden als in den vergangenen Jahren, und zwar sowohl mit Blick auf eine Minderheitenregierung als auch die Möglichkeiten einer erneuten GroKo. Deswegen haben wir gesagt, wir gehen ergebnisoffen in diese Gespräche. Dort wird es um klare inhaltliche Veränderungen gehen müssen, es wird um die Vertrauensbrüche gehen müssen, die in den letzten Monaten stattgefunden haben, und deswegen ist es richtig, darauf hinzuweisen, dass es kein "Weiter so" geben wird.
    Münchenberg: Aber muss man nicht gerade …
    Schäfer-Gümbel: Das gilt ganz explizit in der Europapolitik, das gilt ganz explizit in der Gesundheitspolitik, das gilt explizit in der Steuerpolitik, in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
    "Dass Regieren Spaß machen kann, davon muss Sigmar Gabriel niemanden überzeugen"
    Münchenberg: Trotzdem lassen Sie uns noch ganz kurz bei der Person Sigmar Gabriels bleiben. Sie haben es auch gesagt: Er gehört ja nicht dem Sondierungsteam an, warum eigentlich nicht?
    Schäfer-Gümbel: Weil wir in der Partei klar entschieden haben, dass wir Regierungsmitglieder gar nicht mit in die Sondierungsrunde nehmen. Sie wissen, dass es bei uns eine sehr emotionale und engagierte Debatte gab über die Frage, ob wir überhaupt in Sondierungen gehen, nachdem wir uns anders entschieden hatten, und ich sehe ja jetzt schon einen Teil der Kommentatoren, die uns erklären, dass auch jetzt das sozusagen schon wieder falsch ist, nachdem uns alle aufgefordert haben, uns zumindest im Gespräch zu bewegen. Um erst gar nicht den Eindruck zu erwecken, dass dort einzelne Interessenslagen eine Rolle spielen, haben wir entschieden, dass niemand aus dem aktiven Kabinett in den Sondierungen beteiligt ist.
    Münchenberg: Sie haben ja schon gesagt, also ein Punkt, Gabriel gibt jetzt immer wieder Vorschläge, er ist aber nicht Mitglied im Sondierungsteam. Will er – könnte man das vielleicht so interpretieren – der SPD zeigen, dass Regieren Spaß macht? Sie haben ja selber gesagt, der Unmut oder die Skepsis in der SPD ist ja sehr groß in Sachen GroKo.
    Schäfer-Gümbel: Ja, aber das hat, wie gesagt, ja auch Gründe, die in dem Wahlergebnis liegen, die darin liegen, dass wir am Ende uns nicht mehr richtig gut durchsetzen konnten innerhalb dieser Konstellation. Dass Regieren Spaß machen kann, davon muss Sigmar Gabriel niemanden überzeugen. Das wissen wir selbst, weil wir wissen, dass am Ende wesentliche Veränderungen nur dann erreichbar sind in unserem Sinne, wenn man regiert. Allerdings ist damit eben auch klar, Regieren ist kein Selbstzweck. Das heißt, es geht eben auch dann nur, wenn es zu entscheidenden Veränderungen kommt.
    Münchenberg: Also Sie sehen jetzt auch nicht den Anlass, dass der Parteichef Schulz vielleicht mal ein Machtwort sprechen sollte und vielleicht Sigmar Gabriel mal klar machen sollte, dass er die Verhandlungen führt und nicht eben Gabriel?
    Schäfer-Gümbel: Ich glaube, dass allen innerhalb der Partei, nicht nur in der Sondierungsrunde, klar ist, wie die Rollenverteilungen bei diesen Verhandlungen sind.
    Münchenberg: Lassen Sie uns jetzt mal auf die Inhalte doch noch zu sprechen kommen, Herr Schäfer-Gümbel. Es gibt ja jetzt eine neue Wortmeldung des CDU-Ministerpräsidenten Armin Laschet, CDU, Nordrhein-Westfalen. Der hat ja gesagt, er könne sich durchaus humanitäre Ausnahmen vorstellen in Sachen Flüchtlingsnachzug. Ist das auch aus SPD-Sicht vielleicht ein möglicher Kompromiss, um diesen Streit zu lösen?
    Schäfer-Gümbel: Also erst mal werden wir mit Spannung weiter uns anschauen, wie sich diese Debatte innerhalb der CDU/CSU weiter entwickelt, wo es ja heftigen Widerspruch in den letzten 24 Stunden zu diesem Vorschlag gab, und, sage ich mal, die ständigen Wasserstandsmeldungen in den internen Unionsverhandlungen zu kommentieren, dazu haben wir, ehrlich gesagt, keine Lust. Klar ist, dass wir in der Flüchtlings- aber auch in der Integrationspolitik weiterkommen wollen, dass der Anspruch, den wir schon in der Humanitätskrise 2015 für uns formuliert haben, dass niemand gegeneinander ausgespielt werden darf, dass dieser Grundsatz Messlatte ist auch in der Intergrations- und Flüchtlingspolitik. Dass die Frage des Familiennachzugs eine wichtige Rolle spielt bei der Integration, darauf haben nicht nur die Kirchen hingewiesen, sondern viele andere auch, und deswegen wird das sicherlich eine große Rolle spielen, aber es macht keinen Sinn …
    "Bin sehr gespannt, was Sondierungen am Ende wirklich erbringen"
    Münchenberg: Aber vielleicht geht es ein bisschen konkreter.
    Schäfer-Gümbel: Nein, was sollen wir denn kommentieren? Jetzt hat Armin Laschet gestern einen Vorstoß gemacht, dem haben vier aus der Union sofort widersprochen, andere haben wiederum Verschärfung eingefordert. Ich weiß ja überhaupt nicht – und das ist doch ein Teil unseres Problems der letzten zwei Jahre –, was denn die Position der Union ist, und ehrlich gesagt, wenn etwas nervt, dann ist es das, dass die Union überhaupt keine Position zu sich selbst findet und für sich findet, und deswegen sind Gespräche schwierig, und deswegen bin ich sehr gespannt, was die Sondierungen am Ende wirklich erbringen.
    Münchenberg: Aber Herr Schäfer-Gümbel, Fakt ist ja auch die bisherige Regelung, wonach der Nachzug erst mal gestoppt ist. Die läuft im März aus, das heißt, wenn man nichts macht, dann wird …
    Schäfer-Gümbel: Das war der Kompromiss in der Koalition.
    Münchenberg: Genau, und die Frage ist jetzt, ist die SPD dafür, dass diese Regelung ausläuft oder kann man sich vorstellen, diese Regelung zu verlängern, erneut mit bestimmten Ausnahmen?
    Schäfer-Gümbel: Also wir haben klar gesagt, dass das der Kompromiss ist mit Blick auch auf die Integrationsnotwendigkeiten, und bisher habe ich kein richtig überzeugendes Argument gehört, dass mich davon überzeugen würde, von dieser Position und dem Kompromiss in der alten Koalition abzurücken.
    Münchenberg: Die SPD müsste doch eigentlich nur gar nichts tun im März, und dann würde die Regelung ja auslaufen.
    Schäfer-Gümbel: Ja, das ist so, aber Sie wissen, dass es bei Politik nicht nur um eine Ein-Punkt-Entscheidung geht, sondern um viele Entscheidungen, beispielsweise um eine Untergrenze für Renten, und die Frage der Arbeitsmarktpolitik, der Steuerpolitik, der Bürgerversicherung, der Europapolitik, und deswegen machen wir unsere Entscheidungen nicht von einem einzigen Thema abhängig. Das wäre immer falsch und im konkreten Fall auch.
    Münchenberg: Der SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Herr Schäfer-Gümbel, vielen Dank für das Gespräch!
    Schäfer-Gümbel: Schönen Tag noch Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.