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Armenier-Resolution
"Man muss Belege für die Behauptung haben"

Der Bundestag bezeichnet die Massaker an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs offiziell als Völkermord. Nach Ansicht von Mustafa Yeneroglu (AKP) sei kein Parlamentarier in der Lage, die damaligen Ereignisse so zu beurteilen, dass daraus unzweifelhafte juristische Schlüsse gezogen werden könnten. Eine systematische Zerstörungsabsicht sei nicht nachzuweisen, sagte er im DLF.

Mustafa Yeneroğlu im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 02.06.2016
    Ein amenisches Kind legt in einer Kirche im Libanon eine Rose vor einem Schrein mit Totenköpfen der Opfer nieder.
    Ein amenisches Kind legt in einer Kirche im Libanon eine Rose vor einem Schrein mit Totenköpfen der Opfer nieder. (AFP / Marwan Naamani)
    Dirk-Oliver Heckmann: Schon im vergangenen Jahr wollte der Bundestag eine Resolution verabschieden, anlässlich des 100. Jahrestages der Massaker an den Armeniern, und schon damals sollte der Begriff "Völkermord" verwendet werden. Doch vor einem Jahr noch schreckte man aus Rücksicht auf die Türkei und aus Rücksicht auf die hier lebenden Türken davor zurück. Diesmal aber ist es anders. Der Bundestag berät derzeit über eine entsprechende Resolution von CDU/CSU, SPD und Grünen. Die Debatte läuft noch, aber es wird mit einer breiten Mehrheit gerechnet.
    Mitgehört hat Mustafa Yeneroglu von der regierenden AK-Partei, Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments. Schönen guten Tag!
    Mustafa Yeneroglu, Abgeordneter der Großen Nationalversammlung der Türkei (AKP), aufgenommen am 24.04.2016 während der ARD-Talksendung "Anne Will" zum Thema "Abhängig von Erdogan - Zu hoher Preis für weniger Flüchtlinge?" in den Studios Berlin-Adlershof. Foto: Karlheinz Schindler
    Der AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu (picture alliance/dpa/Karlheinz Schindler)
    Mustafa Yeneroglu: Hallo! Guten Tag.
    "Es bringt den Aussöhnungsprozess nicht weiter"
    Heckmann: Der Bundestag, Herr Yeneroglu, der nennt die Massaker an den Armeniern jetzt ganz offiziell Völkermord. Wie kommt das bei Ihnen an?
    Yeneroglu: Es hilft niemandem weiter. Es bringt vor allem den Aussöhnungsprozess zwischen Türken und Armeniern nicht weiter. Es erschwert den so schon schwierigen Prozess der Verständigung und untergräbt auch vor allem die Initiativen, die vielen Initiativen der türkisch-armenischen Annäherung. Darüber hinaus, wenn man schon die Überschrift sich anschaut: Es klammert das damalige Leid der muslimischen Bevölkerung komplett aus und stellt das Leid, das es tatsächlich gegeben hat, der Christen in den Vordergrund. Es erinnert nur an dieses und das Leid der Millionen Flüchtlinge aus dem Kaukasus, aus der Krim, aus dem Balkan, die vertrieben wurden und deportiert wurden, die das Osmanische Reich damals aufgenommen hat, die werden komplett ausgeklammert. Aus dem Grunde ist es einseitig, aus dem Grunde hilft es niemandem weiter und vor allem …
    Heckmann: Verzeihen Sie, wenn ich da einhake. Wenn man das mit reingenommen hätte, dann wäre es in Ordnung gewesen, wenn der Bundestag jetzt von Völkermord sprechen würde?
    Yeneroglu: Damit möchte ich doch betonen, dass schon die Intention sehr einseitig gewesen ist. Der Begriff des Völkermordes, von dem Sie gesprochen haben, ist ein Rechtsbegriff, und das ist das Problem, was wir immer wieder in den letzten Tagen angesprochen haben. Wenn man ohne eine juristische und historische Prüfung der Vorwürfe vorschnell von einem Völkermord spricht, verkommt er zu einem politischen und konturlosen Kampfbegriff. Weil der Tatbestand des Völkermordes verlangt eine systematische Zerstörungsabsicht, und es gibt kein einziges Dokument, woraus dies hervorgehen würde, und kein Parlamentarier im Deutschen Bundestag ist in der Lage, die damaligen Ereignisse so zu beurteilen, dass daraus unzweifelhafte juristische Schlüsse gezogen werden können.
    Heckmann: Ich würde gerne mal aus der entsprechenden UNO-Konvention zitieren. Artikel zwei ist das. Da heißt es: "Völkermord ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, begangen in der Absicht, eine nationale ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören." Jetzt ist ja Fakt, dass vor den Massakern Hunderttausende Armenier im Osmanischen Reich gelebt haben.
    Yeneroglu: Richtig.
    "Es ist natürlich unterwegs zu Vertreibung gekommen"
    Heckmann: Heute sind es nur noch sehr wenige. Unser Korrespondent heute Früh sprach von einem Dorf in Anatolien und einer kleinen Minderheit in Istanbul. Was bitte ist das anderes als ein Völkermord?
    Yeneroglu: Die Absicht im damaligen Osmanischen Reich ist es gewesen, in der Situation des Krieges an vielen, vielen Fronten die armenische Bevölkerung umzusiedeln, aus dem Grunde, weil die Russen mit vier armenischen Regimentern im Nordosten, die Franzosen mit armenischen Legionen im Südosten die Türkei angegriffen haben und aus dem Grunde die Führung des damaligen Osmanischen Reiches die Armenier umsiedeln wollte. Es ist natürlich unterwegs zu Vertreibung gekommen, es ist auch zu gegenseitigen Massakern gekommen. Aber auf der anderen Seite: Wenn wir das so in den Vordergrund stellen und meinen, bevor überhaupt ein internationales Gericht darüber befunden hat, eine solche Entscheidung treffen zu können, dann stellt sich auch für viele die Frage, warum denn zum Beispiel bisher die Verbrechen Frankreichs gegenüber den Algeriern, warum die Verbrechen Spaniens oder die Zerstörung Lateinamerikas, die Vernichtung der Ureinwohner oder die der Amerikaner gegen die Indianer überhaupt nicht zu Wort gekommen ist und darüber hinaus bis jetzt nicht im Bundestag zur Debatte stand. Der Bundestag hat nach wie vor keine förmliche Entschuldigung, keine offizielle Anerkennung des Völkermordes an den Herero und Nama ausgesprochen. Von daher denke ich, dass hier eine politische Agenda vorliegt und deswegen diese politische Agenda auch niemandem hilft und aus dem Grunde auch abzulehnen ist.
    Heckmann: Das sind Punkte, die Sie sicherlich zurecht ansprechen, Herr Yeneroglu. Trotzdem möchte ich bei der Frage Völkermord ja oder nein an den Armeniern kurz noch bleiben. Sie sagen ja, diejenigen, die von Völkermord sprechen, die haben dafür keine Belege, es gäbe dafür keine Dokumente. Welche Belege haben Sie denn für Ihre These, dass die damalige jungtürkische Regierung keine Absicht hatte, diesen Völkermord zu begehen, so wie er jetzt genannt wird?
    Yeneroglu: Es gibt diese Belege letztendlich dafür aus der Jungtürken-Bewegung, die deutlich machen, dass das Ziel da ist, die armenische Bevölkerung damals in Syrien anzusiedeln. Es gab keine systematischen Deportationen in Istanbul. Es gab keine Deportationen von Izmir aus. Es gab keine Deportationen von Aleppo aus, das damals Teil des Reiches gewesen ist.
    "Es gibt so viele Punkte, die komplett ausgeklammert werden"
    Heckmann: Aber die Menschen wurden doch in die Wüste geschickt.
    Yeneroglu: Sie haben doch eben davon gesprochen. Ich will deutlich machen, dass es keine systematische Zerstörungsabsicht gab, und darum geht es beim Begriff des Völkermordes.
    Heckmann: Welche Belege haben Sie dafür?
    Yeneroglu: Wie bitte?
    Heckmann: Welche Belege haben Sie dafür?
    Yeneroglu: Man muss Belege für die Behauptung haben, nicht für das Gegenteil. Ich meine, wenn Sie etwas behaupten, dann müssen Sie ja diese Behauptung belegen. Man kann das ja nicht umkehren in Form einer Beweislastumkehr und quasi dem Gegenüber die Verantwortung der Beweislast aufbürden. Ich habe deutlich gemacht, dass es damals im Osmanischen Reich an mehreren Fronten Krieg gegeben hat. Leider haben damals die imperialistischen Reiche die örtliche christlich-orthodoxe Bevölkerung auch für ihre Zwecke ausgenutzt. Es gab auch Massaker durch die Armenier in Van zum Beispiel noch im 19. Jahrhundert, viele Jahre davor, und es gab armenische Kampfverbände, die beabsichtigt haben, Probleme und Vorfälle mit den Muslimen zu provozieren. Es gab viele Armenier, die als Werkzeuge genutzt wurden, und deswegen ist zum Beispiel auch der armenische Patriarch im Jahre 1890 ermordet worden durch armenische Nationalisten, weil er sich dagegen aufgelehnt hat. Es gibt so viele Punkte, die komplett ausgeklammert werden. Und außerdem: Man hat 1917 die Umsiedlungsprogramme auch beendet und hat gesagt, dass die Armenier wieder zurückkehren können. Auch das spricht dafür. Aber wissen Sie, bei der Diskussion, bei der Auseinandersetzung fehlt es mir natürlich vor allem, dass wir die Gefühle der armenischen Diaspora komplett ausklammern. Wir müssen diese nachvollziehen können. Wir müssen den Schmerz, auch die traumatischen Gefühle, auch den Hass, den es inzwischen leider gibt, nachvollziehen können und deswegen möchte ich, dass die ganze Diskussion eben nicht auf diese Begrifflichkeiten verkürzt wird und wir auf beiden Seiten chauvinistische Züge fördern.
    Viele Initiativen zur Förderung der türkischen-armenischen Annäherung
    Heckmann: Sie haben gerade gesagt, Herr Yeneroglu, diese Resolution würde diesen Aussöhnungsprozess zwischen Türken und Armeniern behindern. Jetzt sagte Cem Özdemir heute Früh bei uns auf dem Sender, dieser Dialog, der existiert ohnehin nicht, der sei abgebrochen worden von der türkischen Seite.
    Yeneroglu: Das stimmt nicht. Zum einen ist er nicht von der türkischen Seite aus abgebrochen worden. 2008 hat die türkische Seite das Angebot gemacht, eine gemeinsame Historikerkommission zwischen Armeniern und Türken zu errichten. Das armenische Verfassungsgericht hat dies einkassiert, hat dies abgelehnt mit der Begründung, dass das letztendlich ein Dogma in Armenien ist und ein Gründungsmythos der damaligen, 1918 gegründeten armenischen Republik ist. Zu dem Zeitpunkt hat man noch von einem Großarmenien inklusive Erdorum und so weiter geträumt. Aus dem Grunde stimmt das nicht. Was aber stimmt ist, dass es in den letzten Jahren in der Türkei zum Beispiel sehr viele Initiativen zur Förderung der türkischen-armenischen Annäherung gegeben hat, dass die armenische Sprache, Kultur und Literatur an vielen türkischen Universitäten inzwischen gelehrt wird, dass viele Stiftungsimmobilien an die armenische Gemeinde zurückgegeben wurden, dass armenische Kirchen inzwischen restauriert wurden, dass viele Lehrbücher neu geschrieben werden und auch auf Armenisch geschrieben werden, dass Filme gefördert werden, und deswegen meine ich, dass wir auf diesem Wege weitergehen müssen, dass wir weiter Begegnungen fördern müssen, dass wir weiter kulturelle Projekte unterstützen müssen und die Anregung anregen müssen. Das brauchen wir tatsächlich auch in der türkischen Bevölkerung.
    "Ich hoffe, dass dies zu keiner nachhaltigen Störung führen wird"
    Heckmann: Wir haben nur noch 30 Sekunden Zeit ungefähr bis zu den Nachrichten. Ganz kurz noch: Regierungschef Yildirim sprach von einem echten Freundschaftstest. Ist Deutschland damit durchgefallen aus Ihrer Sicht?
    Yeneroglu: Leider! Aus meiner Sicht leider! Aber ich finde, dass die deutsch-türkischen Beziehungen viel zu tiefgründig sind, dass wir eine lange Geschichte haben, dass wir auch drei Millionen türkische Brücken als Brückenbauer in Deutschland aufbauen, und deswegen bin ich zwar besorgt, aber hoffe, dass dies zu keiner nachhaltigen Störung führen wird.
    Heckmann: Der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament, Mustafa Yeneroglu war das von der regierenden AK-Partei. Herr Yeneroglu, danke Ihnen für Ihre Zeit und für das Interview.
    Yeneroglu: Ich bedanke mich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.