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Asyl-Anträge
"Es spielt teilweise eine Rolle, bei welchem Richter man steht"

Ob ein Asyl-Antrag in Deutschland bewilligt wird oder nicht, hängt laut einer Studie der Universität Konstanz davon ab, in welchem Bundesland dieser gestellt wurde. Der Politikwissenschaftler Gerald Schneider spricht in diesem Zusammenhang von einer "Asyl-Lotterie" und fordert die Schaffung von mehr Transparenz.

Gerald Schneider im Gespräch mit Susanne Schrammar | 28.03.2017
    Asylantrag für die Bundesrepublik Deutschland mit einem Stempel mit der Aufschrift "Bewilligt"
    Laut der Studienmacher nimmt die zuständige Behörde für Asyl-Anträge, das BAMF bei ihren Entscheidungen Rücksicht auf regionale Befindlichkeiten. (Imago / Christian Ohde)
    Susanne Schrammar: In diesem Jahr wurden in Deutschland bisher rund 33.000 Asyl-Erstanträge gestellt, gut 70 Prozent weniger als im Vorjahr. Ob diese Anträge genehmigt werden, darüber entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die Universität Konstanz hat in einer Studie die Entscheidungspraxis zwischen den Jahren 2010 und 2015 untersucht und festgestellt: Bei der Anerkennung von Asylanträgen gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern, obwohl wie gesagt mit dem BAMF eine Bundesbehörde zuständig ist.
    Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit dem Autor dieser Studie, dem Politikwissenschaftler Professor Gerald Schneider. – Herr Schneider, Sie sprechen in diesem Zusammenhang von einer "Asyl-Lotterie". Was meinen Sie damit?
    Gerald Schneider: Wir meinen damit, dass die Chancen für Asylbewerber, als Flüchtling anerkannt zu werden, je nach Bundesland, in dem sie wohnen beziehungsweise in dem ihr Gesuch behandelt wird, sich sehr stark unterscheiden und dass diese Unterschiede, diese Differenzen systematischer Natur sind.
    Schrammar: Laut Ihrer Studie gehen die Anerkennungsquoten ganz stark auseinander. Im Saarland zum Beispiel werden mehr als zwei Drittel der Anträge genehmigt, in Sachsen und Berlin ist es nur jeder vierte. Das BAMF sagt, jedes Asylverfahren werde individuell und bundesweit auf gleicher Rechtsbasis geprüft und entschieden. Wie erklären Sie sich denn diese Differenzen?
    "Natürlich findet hier eine individuelle Prüfung statt"
    Schneider: Natürlich findet hier eine individuelle Prüfung statt. Dennoch sind die Unterschiede so gravierend, dass sie nicht dadurch erklärt werden können, dass unterschiedliche Gruppen von Asylbewerbern, also solche, bei denen eine größere Chance besteht, und solche, bei denen eine kleinere Chance besteht, in die unterschiedlichen Bundesländer entsandt werden.
    Wir haben auch hier Modelle gerechnet, statistische Modelle, mit denen wir eine Vielzahl von Kontrollfaktoren, die bei Entscheidungen eine Rolle spielen könnten, mit einbezogen, und deshalb haben wir hier, auch wenn wir all das berücksichtigen, systematische Unterschiede, und diese Unterschiede führen wir dann darauf zurück, dass die Entscheider des BAMF hier auf regionale Befindlichkeiten Rücksicht nehmen.
    Schrammar: Sie sprechen diese Befindlichkeiten an. Dazu gehört zum Beispiel die Einwohnerzahl, die Arbeitslosenquote, aber auch – das fand ich besonders interessant – die Zahl der fremdenfeindlichen Übergriffe in einem Bundesland. Wie wirkt sich denn dieser Faktor zum Beispiel auf die Zahl der genehmigten Asylanträge aus?
    Schneider: Genau. Zum einen ist beispielsweise festzustellen, dass die Arbeitslosigkeit im Vorjahr die Anerkennungsquote im Nachfolgejahr senkt. Das gleiche gilt für fremdenfeindliche Übergriffe im Vorjahr in Bezug dann auf die Anerkennungsquote. Auch hier findet eine Dämpfung statt.
    Schrammar: Entschuldigung, wenn ich da kurz einhake. Dämpfung heißt?
    Schneider: Ja, dass sich das reduziert, dass sich die Asylbewerberzahl entsprechend dann reduziert. Das ist kein starker Zusammenhang, aber er ist robust. Verschiedenste Modelle haben immer wieder diesen Zusammenhang zu Tage gefördert.
    Was das bedeutet ist, dass mit größter Wahrscheinlichkeit hier die Mitarbeiter berücksichtigen, wie offen beziehungsweise wie intolerant das Klima im jeweiligen Bundesland ist, und das sind natürlich Gesichtspunkte, die bei einer Entscheidung über das Asyl keine Rolle spielen sollten und die auch bei einer genügenden Kontrolle, bei einem systematischen Monitoring dann wegfallen sollten.
    Schrammar: Der sächsische Ausländerbeauftragte Geert Mackenroth kritisiert Ihre Studie beziehungsweise hält den Begriff, den Sie benutzen, "Asyl-Lotterie", für unverantwortlich, weil er suggeriere, dass im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Zufall oder Willkür herrschten. Wie bewerten Sie denn diese Praxis? Werden Menschen damit tatsächlich willkürlich Chancen genommen?
    Datenstruktur des BAMF müsste verbessert werden
    Schneider: Ja. Es ist ja letztlich Anzeichen eines Rechtsstaates, dass es keine willkürlichen Entscheidungen gibt. Nun gibt es in vielen Bereichen immer wieder Unterschiede. Es spielt teilweise eine Rolle, bei welchem Richter man steht, wenn man ins Gericht vorgeladen wird, und solche Unterschiede dürften eigentlich nicht bestehen. Leider bestehen sie auch hier und ich glaube durchaus – und das ist sicher auch der positive Befund, der sich aus unserer Arbeit herausziehen lässt -, dass man dadurch, dass man Transparenz schafft, solche Unterschiede doch ausmerzen kann. Das heißt nicht, dass es keine Differenzen mehr geben kann, aber dass sie nicht mehr systematischer Natur sind und im zweistelligen Prozentbereich liegen.
    Schrammar: Wie kann man das machen? Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern?
    Schneider: Auf der einen Sicht müsste hier die Datenstruktur des BAMF verbessert werden. Wir haben diese Daten nur auf briefliche Anfrage hin gekriegt. Es sollten auch mehr Daten verfügbar sein, beispielsweise auch zu einzelnen Entscheidungszentren. Und auf der anderen Seite wäre es durchaus wünschenswert, wenn auch periodisch das Entscheidungsverhalten von diesen Entscheidern beziehungsweise den übergelagerten Entscheidungszentren evaluiert wird, ob diese Zentren nicht von irgendwelchen Vorurteilen gelenkt sind in ihren Entscheidungen, die zu einer positiven oder auch zu einer negativen Diskriminierung führen können.
    Schrammar: … fordert Professor Gerald Schneider, Politikwissenschaftler an der Universität Konstanz. Seine Studie kommt zu dem Schluss, dass die Chancen auf Asyl in den Bundesländern in Deutschland unterschiedlich verteilt sind. Vielen lieben Dank für das Gespräch.
    Schneider: Danke! – Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.