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Bannenberg: Liveübertragung kann Tätern eine unangemessene Bühne bieten

In Oslo hat der Prozess gegen den geständigen Massenmörder Breivik begonnen. Britta Bannenberg, Kriminologin an der Universität Gießen, hält die Liveübertragung aus dem Gerichtssaal für problematisch, weil dadurch "Nachahmungssignale an ähnlich gestrickte Täter" gesendet werden könnten.

Britta Bannenberg im Gespräch mit Martin Zagatta | 16.04.2012
    Martin Zagatta: In Oslo hat der Prozess gegen Anders Breivik begonnen, ein ungewöhnlicher Prozess, über den wir jetzt mit Britta Bannenberg sprechen, Kriminologin an der Universität in Gießen.

    Martin Zagatta: Guten Tag, Frau Bannenberg.

    Britta Bannenberg: Ja guten Tag, Herr Zagatta.

    Zagatta: Frau Bannenberg, da ist ein Attentäter, dessen Schuld ja eigentlich längst schon bewiesen ist, der gestanden hat, auch wenn er auf Unschuldig, auf Notwehr plädiert, und dem es darum geht – so sagt er selbst -, berühmt zu werden, seine Ideen zu verbreiten, und jetzt wird dieser Prozess teilweise zumindest auch öffentlich, noch im Fernsehen sogar übertragen, auch von deutschen Sendern. Macht das Sinn, so wie die Norweger das machen? Macht das Sinn, so einem Mann auch noch eine solche Bühne zu geben?

    Bannenberg: Man muss verschiedene Dinge unterscheiden. Einmal ist natürlich das Bedürfnis der Norweger - nicht nur der Betroffenen - enorm, etwas über diesen Täter, über den Ablauf der Tat zu erfahren, weil es einfach monströse Dimensionen sind. Auf der anderen Seite muss man unterscheiden, ob ein Prozess geführt wird, um dann rechtsstaatlich die Schuld festzustellen, oder ob ein Prozess übertragen wird. Dass er vielleicht gegenüber den Angehörigen in eine Nebenkammer übertragen wird, ist das eine. Dass jeder mitschauen kann, das gibt es natürlich in Deutschland so nicht und auch aus guten Gründen, vor allem, wenn es sich um solche Täter wie hier handelt, die ja im Grunde auch eine Botschaft des Hasses an die Gesellschaft senden.

    Zagatta: In Deutschland wäre das gar nicht möglich? Da ist das verboten, solche Verfahren zu übertragen?

    Bannenberg: Ja. Liveübertragungen aus dem Gerichtssaal gibt es nicht. Wir stellen die Öffentlichkeit im Strafprozess so her, dass man, wenn die Öffentlichkeit nicht wegen intimer Details etwa ausgeschlossen wird, dann natürlich auch mit Pressevertretern anwesend sein kann. Oder wenn Prozesse gegen Jugendliche geführt werden, die sind immer nicht öffentlich. Aber ansonsten stellt man die Öffentlichkeit her, indem berichtet werden darf, nicht aber mit einem Livemitschnitt oder einer Livesendung, weil das ja wiederum das Verhalten aller Prozessbeteiligten verfälschen könnte und eben auch gerade solchen Tätern eine unangemessene Bühne bieten kann.

    Zagatta: Was ist da jetzt in Norwegen zu erwarten, wenn Sie sagen, das Verhalten wird damit verfälscht?

    Bannenberg: Na ja, es ist je nachdem zu unterscheiden. Hier geht es vor allem um einen Täter, der sich selbst unheimlich inszeniert, und je nachdem, wie die Prozessführung sein wird, wie viel Redezeit man einem solchen Täter natürlich gewährt, hat er damit ein Riesenpodium. Im Grunde kann die ganze Welt ja jetzt zuhören, wie er seinen Hass verbreitet, und so etwas ist – das wurde ja schon gesagt – nicht nur schwer erträglich, sondern auch für die Angehörigen, für die Betroffenen im Grunde ganz fürchterlich. Und es kann auch wieder Nachahmungssignale an ähnliche, ähnlich gestrickte Täter senden oder Tatgeneigte senden, die sich jetzt auch vorstellen, wenn man vielleicht einen terroristischen Akt oder eine Tat dieser Art begehen will, dann muss man es nur monströs genug veranstalten und hat dann ebenfalls eine Möglichkeit, sich so danach zu präsentieren.

    Zagatta: Jetzt liegen in diesem Verfahren die Beweise ja regelrecht auf der Hand. Der Täter hat auch gestanden, obwohl er sich unschuldig bekennt und auf Notwehr plädiert. Aber er streitet die Morde gar nicht ab. Dafür gibt es Filmbeweise, dafür gibt es jede Menge Aussagen. Braucht es in so einem Fall überhaupt ein so langes, ein so ausführliches Verfahren? Gehört das zu einem Rechtsstaat? Oder könnte man in so einem Fall auch im wörtlichen Sinn des Wortes kurzen Prozess machen?

    Bannenberg: Ich denke, es braucht schon einen rechtsstaatlichen Prozess. Wie gesagt, ob man über eine Liveübertragung redet, ist eine andere Frage, denn ein rechtsstaatlicher Prozess als solcher, gerade mit einer solchen Anzahl von Toten, der muss ja auch aufgeklärt werden, und hier geht es vor allem um die Kernfrage: Ist dieser Täter, in unserem Sinne würden wir sagen, schuldfähig, wusste er, was er tat, und konnte er dieses Verhalten steuern, oder war er möglicherweise aufgrund irgendwelcher Persönlichkeitsstörungen oder sogar einer psychischen Erkrankung dazu gar nicht in der Lage. Das ist eine sehr entscheidende Frage, die ja dann auch die ganze Bewertung der Tat und seiner möglichen Motive klärt oder eben auch nicht, je nachdem. Und die Sanktionen sind dann auch entsprechend zu wählen, ob eben Psychiatrie oder Strafvollzug. Das wäre auch bei uns eine sehr entscheidende und wichtige Form, und man kann nicht sagen, die Prozesse brauchen nicht geführt werden, weil die Beweise doch auf der Hand liegen, denn die werden immer noch im Gerichtssaal festgestellt.

    Zagatta: Aber braucht es dazu dann eine solche Vielzahl von Zeugen, die da jetzt aufgeführt werden? Der Prozess soll auch sehr lange dauern. Aus diesen Zeugenaussagen kann man ja auch kaum heraus schließen, ob der Mann da zurechnungsfähig war oder nicht.

    Bannenberg: Nein. Das dient ja mehr der Klärung des genauen Tatablaufs und das hat auch noch andere Facetten, die natürlich vielleicht auch problematisch erscheinen, aber aus Sicht der Opfer – das wäre bei uns in Form zum Beispiel einer Nebenklage ebenfalls möglich – sehr wichtig sind, dass man zumindest als Opfer insoweit Gehör findet, was ist einem widerfahren, welche Todesangst hat man ausgestanden, wie ist der Täter vorgegangen. Allein, wenn ein Täter sehr kalt und berechnend zum Beispiel vorgeht, keine Mimik zeigt, keine Emotionen zeigt, das gibt natürlich auch Hinweise darauf, wie er vielleicht das Verbrechen geplant hat oder wie er es ausgeführt hat, und so was sind auch wichtige Strafzumessungsaspekte, und für die Opfer ist es sehr wichtig, Gehör zu finden, zumindest in diesem im Grunde ja vorgegebenen Ablauf eines geordneten Prozesses. Das finde ich schon sehr relevant.

    Zagatta: Wenn das Gericht jetzt entscheiden muss, ob der Mann, ob der Täter zurechnungsfähig ist oder nicht, und ja feststeht, dass er fast 80 Menschen getötet hat, darunter viele Kinder, ist so jemand nicht ohnehin, würde man sagen, irgendwie gestört, geisteskrank und vielleicht nicht richtig zurechnungsfähig?

    Bannenberg: Das kann man auf keinen Fall pauschal sagen. Allein die Tatsache, dass jemand einen oder mehrere Menschen ermordet, sagt überhaupt nichts über seinen Geisteszustand aus.

    Zagatta: Auch nicht 80 und 80 Kinder fast?

    Bannenberg: Ja und bei 80 im Grunde auch noch nicht. Denken Sie an andere Situationen wie im Nationalsozialismus und so weiter, wo Menschen, die danach völlig normal und unauffällig gelebt haben, auch solche Dinge vollbringen konnten. Das ist eine schwierige Feststellung, die ja versucht wird, mit Sachverständigen, mit psychiatrischen Gutachten zu klären, und für die Bevölkerung ist häufig schwer nachzuvollziehen, dass es Menschen gibt, die furchtbare Dinge tun, dass diese vielleicht sogar persönlichkeitsgestört sind, aber trotzdem voll schuldfähig, dass sie also wissen, was sie tun, und dass sie sich auch steuern können, dass sie nur eine Hassideologie im Grunde leben, seit Jahren sich in solche Gedanken hineinbegeben haben und da gar nicht mehr herausfinden und für sie das letztlich ein normales Denken geworden ist, was schwer erträglich ist. Aber das heißt nicht per se, dass man nicht schuldfähig ist.

    Zagatta: Und davon hängt jetzt ab, ob das Gericht in diesem Prozent im Prinzip entscheidet auf lebenslange Haft in irgendeiner Form entscheidet, oder geschlossene Psychiatrie?

    Bannenberg: Genau. Das wäre bei uns dann ebenso. Wenn man letztlich eine Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit, oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen hat, dann kann man eben auch in die forensische Psychiatrie eingeliefert werden, und die Bedingungen sind natürlich in jedem Land unterschiedlich, ob man da auch wieder entlassen werden kann. An sich würde man sagen, bei einem solch monströsen Verbrechen ist eine lebenslange Unterbringung oder Bestrafung im Grunde die zwingende Folge, aber auch die Norweger haben da ja eine etwas andere rechtliche Grundlage.

    Zagatta: Frau Bannenberg, noch kurz: Sie haben das zu Beginn unseres Gesprächs angesprochen, dass dieser Prozess Norwegen natürlich ganz besonders aufwühlt. Kann die Justiz darauf in irgendeiner Form Rücksicht nehmen, oder kann es da nur darum gehen, Recht zu sprechen, Punkt?

    Bannenberg: Das ist immer sehr schwierig. Man hat immer den Balanceakt zu wahren, den Opfern gerecht zu werden, den Hinterbliebenen gerecht zu werden und andererseits hier einem solchen Täter nicht zu viel Raum zu geben, und deshalb muss man diese schwierige Abwägung treffen: was lässt man zu an Nebenklägern, wer darf was hören. Auf der anderen Seite wird es aber vielleicht auch auf die Prozessführung ankommen: kann man den Täter dann auch in seinen Tiraden beschneiden, wenn es dem Prozess gar nicht dient. Das wird wichtig sein.

    Zagatta: Britta Bannenberg, Kriminologin an der Universität Gießen. Frau Bannenberg, herzlichen Dank für das Gespräch.

    Bannenberg: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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