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BND-NSA-Affäre
"Wir werden noch viel mehr Neuigkeiten erfahren"

Kürzlich wurde bekannt, dass der Bundesnachrichtendienst der NSA offenbar dabei half, europäische Ministerien auszuspionieren. Doch das sei "noch nicht das Ende der Information", sagte der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte im Deutschlandfunk. Grund für die langsame Aufdeckung solcher Fälle seien mitunter Kontrollinstrumente aus altanalogen Zeiten.

Karl-Rudolf Korte im Gespräch mit Mario Dobovisek | 02.05.2015
    Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte
    Das bisherige parlamentarische Kontrollgremium für die Geheimdienste müsse komplett neu aufgestellt werden, sagte der Politologe Karl-Rudolf Korte. (imago stock&people)
    Mario Dobovisek: Der Bundesnachrichtendienst half dem US-Geheimdienst NSA wohl dabei, die EU-Kommission, die französische Regierung und auch andere europäische Stellen auszuspähen. In welchem Umfang, ist zwar noch unklar, für die Bundesregierung ist die Affäre aber trotzdem sehr unangenehm. Und am Telefon begrüße ich Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler an der Universität in Duisburg-Essen. Guten Tag, Herr Korte!
    Karl-Rudolf Korte: Tag, Herr Dobovisek!
    Dobovisek: Schauen wir uns noch das zweite Beispiel an, das US-Botschafter Emerson im zitierten Interview bemühte: Amerikaner sehen es als Verletzung der Privatsphäre an, sagt er, wenn jemand ihre Briefe und E-Mails lese oder ihre Telefonanrufe mithöre, Deutsche hingegen hielten ihre Privatsphäre bereits dann für verletzt, wenn jemand bloß die Kommunikationsdaten sammele, also nur das Wer-mit-wem-und-wann. Kann man das so abtun, mit einem kulturellen Unterschied?
    Korte: Der ist nicht unwichtig, dass man sich klarmacht, politisch-kulturell haben wir ein anderes Sicherheitsverständnis als die Amerikaner, auch ein anderes Freiheitsverständnis. Aber grundsätzlich haben wir verfasste Ordnungen und insofern muss man nach Recht und Gesetz hier verfahren, auch im Blick auf solche Dienste.
    Dobovisek: Der BND soll nun angeblich nicht bloß die Daten für die Amerikaner gesammelt, sondern sie auch selbst genutzt haben. Was bedeutet das für die Bundespolitik?
    Korte: Das bedeutet, dass das noch nicht das Ende der Information ist, wir werden da noch viel mehr an Neuigkeiten erfahren. Man hat den Eindruck, die Instrumente, um das zu kontrollieren und auch aufzudecken, sind aus altanalogen Zeiten. Und unter Big-Data-Gesichtspunkten kommt man dem nicht wirklich nach, mit den bisherigen Instrumenten der Kontrolle und auch der Beauftragung. Insofern ist das eigentlich, wer sich mit Big Data beschäftigt, nicht wirklich überraschend, dass wir noch viele Dinge erfahren werden. Denn letztlich ist ja auch das Geschäftsmodell dieser Dienste die Intransparenz. Wie sollen wir so etwas verlässlich und klar herausbekommen? Also, Klarheit ist nicht herauszubekommen, politisch müssen wir um Wahrheit kämpfen.
    Dobovisek: Bevor wir noch einmal über die Kontrolle weiter sprechen werden, über die künftige Kontrolle und wie wir sie verbessern können, wollen wir doch noch mal hören, was der CDU-Europa-Abgeordnete Karl Lamers heute dazu bei uns im Deutschlandfunk gesagt hat!
    O-Ton Karl Lamers: Es ist nicht nur unanständig oder, salopp gesagt, eine Sauerei, sondern es ist vor allen Dingen unglaublich dumm. Dummheit gehört bestraft.
    Dobovisek: Wer müsste denn bestraft werden, Herr Korte?
    "Wir laufen da nur den Informationen hinterher"
    Korte: Genau das ist die Frage. Denn klar, der Souverän ist das Parlament, er kontrolliert nicht nur die Regierung, sondern es gibt auch parlamentarische Kontrollgremien, die die Dienste kontrollieren. Es gibt eine Aufgabenverteilung zwischen Innenministerium, dann auch mit dem Kanzleramt. Also, unterschiedliche Stellen versuchen, die Dienste auch zu koordinieren, ihnen Aufgaben zu geben. Ich habe nicht den Eindruck, dass das in einem Strang als Politikmanagement zu interpretieren ist. Insofern ist, glaube ich, von den Mechanismen der Beauftragung und der Kontrolle einiges zu verbessern. Aber wir laufen da nur den Informationen hinterher.
    Dobovisek: Aber wer muss bestraft werden am Ende? Derjenige, der die politische Aufsicht führt, oder derjenige, der ausspioniert?
    Korte: Der, der nicht wahrhaftig gegenüber dem Parlament argumentiert, das ist es. Denn Krisen entstehen ja nicht durch die Tatsache an sich, wenn es nicht Straftatbestände sind, ist das politisch schwer zu vermessen, sondern wie man kommuniziert über diese Krise. Also, wer zum falschen Zeitpunkt oder wer zu einem Zeitpunkt etwas dem Parlament verschweigt oder das Parlament belügt, dann ist er praktisch derjenige, der auch die Verantwortung zu übernehmen hat.
    Dobovisek: Reicht an dieser Stelle für die Aufarbeitung des sich immer weiter ausweitenden Skandals ein Untersuchungsausschuss im Parlament?
    Korte: Nein, da muss auch die Politik sich – im besten Fall der Bundestag – selbst mit beschäftigen, mit dem Thema, welche Dienste wir brauchen in diesen Zeiten, wie wir sie unter Bedingungen von Big Data legitimieren und kontrollieren und wie man praktisch das Primat der Politik zurückgewinnt, auch in diesen Zeiten, in denen wir mit dem Geschäftsmodell, einer Aura der Intransparenz, ja zu kämpfen haben. Weil, wenn alles transparent ist, kann so ein Dienst auch nicht arbeiten.
    Dobovisek: Intransparenz, Geheimdienste im Geheimen natürlich, das liegt in der Natur der Sache. Wie soll das denn künftig besser kontrolliert werden?
    "Wir müssen das Know-how dazu stärken"
    Korte: Wir müssen Instrumente schaffen, die auf der Höhe der Zeit sind. Und hier brauchen wir auch Expertenwissen, um zu interpretieren, wie man technisch mit diesen Dingen umgeht. Denn man hat ja den Eindruck, die Technik ist immer der Politik hier voraus. Ich glaube, dass Information, Sachkenntnisse über die Mechanismen, wie praktisch Informations- und Kommunikationssysteme heute funktionieren, zentral sind. Denn die Information ist ja die Machtwährung an sich. Und wer Verbindung hat, wer Netze hat, wer die Netze nutzt, kann diesen Goldstandard für sich nutzen. Es geht nicht mehr um traditionelle altanaloge Besitzstände, sondern um moderne Kommunikation. Insofern brauchen wir auch Experten im Bundestag, die auf der Höhe der modernen Kommunikation argumentieren können und ...
    Dobovisek: Und die haben wir nicht, Herr Korte?
    Korte: Ja, Teile, in Teilen. Und es gab ja auch Enquetekommissionen dazu. Aber wir müssen das Know-how dazu stärken. Das ist der Anfang, sonst kann man auch das Primat der Politik nicht ausüben!
    Dobovisek: Reicht es, das bisherige parlamentarische Kontrollgremium für die Geheimdienste zu verbessern, oder muss das komplett neu aufgestellt werden?
    Korte: Ich glaube, man muss es komplett neu aufstellen. Das ist ja eine Reihe von Skandalen, die jetzt auftauchen. Ich glaube, dass man institutionell neue Zugriffe schaffen muss, um etwas so kontrollieren zu können. Und diese neuen Institutionen könnten dann auf vielleicht Vertrauen wieder setzen. Und Vertrauen ist auch eben der Kitt, der überhaupt politische Institutionen am Arbeiten hält.
    Dobovisek: Wer könnte hinter einer solchen neuen Institution stehen?
    Korte: Immer der Bundestag, nur der Bundestag. Das ist der Souverän. Der muss die Zeit so verlangsamen, der muss alle Informationen an sich bündeln, er muss andere beauftragen. Die sind von uns als Einzige gewählt, direkt, der Rest ist davon abgeleitet. Und die Exekutive hat ohnehin so viel Macht in Zeiten von Krisenentscheidungen, die immer schneller notwendig sind. Insofern müssen wir kämpfen, genau wie im Finanzmarkt-Desaster, dass Regulierungen über den Souverän des Bundestages zurückerobert werden.
    Dobovisek: Die Geheimdienstaffäre um NSA und BND, sie weitet sich aus. Wir sprachen darüber mit dem Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Ich danke Ihnen, Herr Korte!
    Korte: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.