Dienstag, 19. März 2024

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Brennelemente für Tihange 2
"Es braucht in Europa insgesamt einen Atomausstieg"

Brennelemente-Lieferungen aus Deutschland in das belgische Atomkraftwerk haben für massive Kritik gesorgt. NRW-Umweltminister Johannes Remmel nennt das Vorgehen der Bundesregierung im DLF "widersinnig". Sie fordere eine Abschaltung der Reaktoren, genehmige aber gleichzeitig Lieferungen.

Johannes Remmel im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 30.03.2017
    Das umstrittene belgische Atomkraftwerk Tihange.
    Risse im umstrittenen belgischen Atomkraftwerk Tihange. (AFP / Belga / Eric Lalmand)
    Ann-Kathrin Büüsker: Wir haben nun die Gelegenheit, auf ein umstrittenes Thema zu schauen, was derzeit zwischen Nordrhein-Westfalen und der Bundesregierung für Ärger sorgt. Es geht um Lieferungen von Brennstäben für den Pannenreaktor Tihange 2 in Belgien. Die hat Bundesumweltministerin Barbara Hendricks genehmigt. NRW freut sich darüber allerdings gar nicht, denn die Grenzregion fürchtet sich vor einem möglichen Zwischenfall am Reaktor Tihange 2. Darüber möchte ich nun mit Johannes Remmel sprechen, grüner Umweltminister von Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen, Herr Remmel.
    Johannes Remmel: Guten Morgen!
    Büüsker: Herr Remmel, die Bundesregierung hat diese Lieferung der Brennstäbe jetzt genehmigt. Sie sagen, das hätte man verhindern können. Wie hätte die Bundesregierung das denn verhindern sollen?
    Remmel: Es gibt unterschiedliche Rechtsauffassungen darüber, ob die Bundesregierung so was kann. Die Bundesregierung selber behauptet, dass sie solche Untersagungen nicht aussprechen kann. Es gibt aber Gutachten, mir wird Cornelia Ziem genannt, die deutlich machen, dass eine solche Untersagung dann passieren kann oder ausgesprochen werden kann, wenn Zweifel daran bestehen, dass der Einsatz dieses nuklearen Materials auch dann zu Schäden führen kann, und das hat die Bundesregierung an einer anderen Stelle deutlich gemacht, dass sie den Sicherheitsabstand im Falle eines Falles vergleichsweise für zu gering erachtet, und deshalb das, was an Polster für die Sicherheit da ist, nicht ausreicht. Das ist insofern widersinnig, ein Stück schizophren, und da wäre schon die Erwartung, dass die Bundesregierung hier konsequent ist.
    Deutschland trägt zum Atomkreislauf bei
    Büüsker: Herr Remmel, Sie sehen das Atomkraftwerk in Tihange als Gefahr für die innere Sicherheit in Deutschland. Warum?
    Remmel: Wir haben Ausbreitungsrechnungen gemacht, wenn was passiert. Strahlung macht ja nicht an der Grenze Halt und Atomausstieg bedeutet in der Bundesrepublik vollständigen Atomausstieg, und wir haben da noch Anlagen, die zumindest europäisch und wahrscheinlich darüber hinaus zum Atomkreislauf beitragen: die Fabrik in Gronau, wo Uran angereichert wird, und die Brennelementefabrik in Lingen.
    Beide im Zusammenspiel führen dazu, dass in Deutschland Brennelemente produziert werden, die dann im Ausland grenznah eingesetzt werden. Ich meine, man kann nicht auf der einen Seite Pläne ausarbeiten, wo Jodtabletten flächig verteilt werden – das ist schon ein Stück makaber, aber zur Vorsorge zwingend -, aber auf der anderen Seite dann nicht konsequent sein, wenn es darum geht, solche Lieferungen zu unterbinden und damit den Atomkreislauf zu unterbrechen.
    Erhebliche Risse in Reaktoren
    Büüsker: Aber ist das nicht eine sehr theoretische Gefahr, die Sie da beschreiben?
    Remmel: Es gibt die Einschätzung - - Vielleicht muss man noch mal vorher anfangen. Bis dato, erst durch unseren Druck und massive Diskussionen auch aus der Städteregion parteiübergreifend, hat es überhaupt erst begonnen, einen Austausch über die Sicherheit bilateral mit Belgien zu beginnen. Belgien war das einzige Land, mit dem Deutschland keine Verabredung darüber hatte, dass die Sicherheitsexperten sich austauschen. Nun waren die mehrfach im Gespräch und sie haben dann auch einen Bericht abgegeben gegenüber der Bundesregierung. Wir in Nordrhein-Westfalen haben auch noch mal ein Institut beauftragt, um uns diese doch komplizierte Lage erklären zu lassen.
    Und die eindeutige Aussage ist, dass im Normalbetrieb davon ausgegangen werden kann, dass weitgehende Sicherheit vorhanden ist, wobei ich da meine Zweifel habe, nach wie vor, wenn sich bei zwei Reaktoren zumindest erhebliche Risse zeigen. Aber darüber hinaus, wenn verschiedene Umstände zusammenkommen – und die werden in Deutschland zumindest in der Sicherheitsphilosophie mit eingerechnet -, dann der Abstand, bis es zu einer Katastrophe kommt, die wir alle toi, toi, toi nicht wollen, dass dieser Abstand zu gering ist. Und das hat die Bundesministerin bestätigt, die Bundesregierung insgesamt hat sich hier committet. Das haben wir lange eingefordert. Das ist die eine Seite. Die andere Seite kann aber dann nicht in der Konsequenz dazu führen, dass die Brennelemente dort hingeliefert werden.
    Konstruktionsfehler in der Geburtsstunde des Atomausstiegs
    Büüsker: Jetzt haben Sie eben schon das Stichwort Atomausstieg angesprochen. Deutschland ist offiziell aus der Atomenergie ausgestiegen. Die Reaktoren hier werden Stück für Stück vom Netz genommen. Jetzt kritisieren Sie, dass Brennelemente trotzdem hier produziert und ins Ausland geliefert werden. Wenn Sie das kritisieren, zwingen Sie dann aber nicht eigentlich unsere Nachbarstaaten den deutschen Atomausstieg auf?
    Remmel: Nein, absolut nicht. Es geht erst mal darum, dass wir uns selber alle Teile der Atomwirtschaft erschließen, und da gibt es einen Konstruktionsfehler sozusagen in der Geburtsstunde. Wir haben das als Landesregierung mehrfach im Bundesrat thematisiert. Mit Unterstützung fast aller Länder hat der Bundesrat zweimal beschlossen, dann auch die Umweltministerkonferenz, Gronau und Lingen mit in das Atomausstiegsgesetz einzubeziehen. Dem ist die Bundesregierung bisher nicht gefolgt.
    Das kritisieren wir ganz heftig, weil man kann nicht A sagen, dann aber B nicht umfassend tun. Und zum zweiten macht es durchaus Sinn, auch im Zuge einer europäischen Energiewende und eines umfassenden Klimaschutzes die Frage zu stellen, ob bei dem Siegeszug der Erneuerbaren weltweit wir nicht auch in Europa insgesamt einen Atomausstieg brauchen.
    Investitionen von über 150 Milliarden allein in Frankreich nötig
    Ich will nur eine Zahl nennen, die Ihnen das illustriert, warum das auch unter Sicherheitsfragen relevant ist. Die französische Regierung - und Belgien hängt eng mit dem Stromsystem in Frankreich zusammen - hat Untersuchungen gemacht, was müsste eigentlich investiert werden in französische Atomkraftwerke, um einen aktuellen Sicherheitsstandard zu bekommen, um bestimmte Renovierungsarbeiten zu machen.
    Man muss immerhin sehen: Da gibt es Kraftwerke, die sind über 40 Jahre alt. Die sind eigentlich abgeschrieben und müssten vom Netz. Diese Untersuchung hat ergeben, dass über 150 Milliarden zu investieren wären, und der französische Staat trifft keine Entscheidung darüber. Genauso ist es in Belgien. Da wird zwar ein bisschen kosmetisch was getan, aber am Ende nicht das realisiert, was eigentlich auch in Belgien beschlossen ist, nämlich 2025 aus der Atomenergie auszusteigen.
    Wir sind ja nicht dabei stehen geblieben zu sagen, ihr müsst auch aussteigen und wir fürchten uns sehr, sondern wir haben darüber hinaus jetzt einen Gutachter beauftragt, um zu schauen, wie kann man die Netze auf der deutschen Seite besser mit den Netzen auf der belgischen Seite verknüpfen, um wechselseitig zu profitieren.
    Beispielsweise will ja auch Belgien ehrgeizig erneuerbare Energien produzieren, die wir dann auch für uns brauchen können. Und umgekehrt, wenn wir Stromüberschüsse haben, können wir sie nach Belgien liefern. Das Ergebnis ist, wir müssen dringend die Grenzkuppelstellen hier ausbauen, mehr als bisher geplant.
    Büüsker: … sagt Johannes Remmel, grüner Umweltminister von Nordrhein-Westfalen. Wir haben gesprochen über den Streit um das Atomkraftwerk Tihange 2. Herr Remmel, vielen Dank für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
    Remmel: Ich danke Ihnen. Machen Sie’s gut. Schönen Tag.
    Büüsker: Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.