Dienstag, 14. Mai 2024

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Buddhismus
"Frieden bedeutet, dass Völker in Würde und Gerechtigkeit leben können"

Wie friedlich ist der Buddhismus wirklich, wenn doch auch ein überwiegend buddhistisches Land wie Japan im Zweiten Weltkrieg schreckliche Grausamkeiten begehen konnte? Auch mit dieser Frage befassen sich viele Japanern beim Gedenken an die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki vom August 1945.

Von Corinna Mühlstedt | 01.08.2014
    Menschen besuchen den buddhistischen Zenkoji-Tempel in der japanischen Stadt Nagano.
    Der buddhistische Zenkoji-Tempel in der japanischen Stadt Nagano. (AFP)
    "In Japan haben wir 1987 am Mount Hiei zum ersten Mal ein Friedensgebet mit Vertretern aller Weltreligionen organisiert. Diese Tradition führen wir seither Jahr für Jahr fort. Religiöse Menschen müssen sich heute auf ihre Quellen besinnen und in der Sache des Friedens zusammenarbeiten. Der Ausgangspunkt ist dabei für alle derselbe: Er heißt Meditation und Gebet", erläutert Gijun Sugitaní. Er ist einer der führenden Tendai-Buddhisten Japans.
    Der Buddhismus gilt weithin als die friedlichste Religion. Schon wenige Monate nach Buddhas Tod im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung begannen indische Mönche die Ordensregeln und Lehrreden des Erleuchteten zu sammeln. 400 Jahre später wurden die Überlieferungen im sogenannten Pali-Kanon schriftlich festgehalten. Darin heißt es unmissverständlich:
    "Alle Wesen zittern vor der Gewalt. Alle Wesen lieben das Leben. Sieh Dich selbst in anderen, und töte nicht, verletze nicht!"
    Trotzdem war die Haltung des Buddhismus zur Gewalt in früheren Jahrhunderten keineswegs eindeutig. In fast allen Ländern Asiens hätten Buddhisten Kriege geführt und den Einsatz von Waffen gesegnet, erklärt der Münchner Religionswissenschaftler Michael von Brück:
    "Wir haben zwei Grundströmungen im Buddhismus: den Theravada-Buddhismus und den Mahayana, und hier sind die Dinge etwas verschieden. Der Theravada hat sich strikte Regeln gegeben, den sogenannten Vinaya. Dort ist eindeutig, dass jede Form von Gewalt gegenüber Lebewesen, also nicht nur gegenüber Menschen, sondern natürlich auch Tieren strikt und kompromisslos abzulehnen ist."
    "Wir Buddhisten haben gelernt umzudenken"
    Von Brück erläutert weiter: "Der Mahayana-Buddhismus vertritt im Wesentlichen das, was wir eine Gesinnungsethik nennen würden, das heißt, es kommt nicht auf die einzelne Tat an, sondern auf die Gesinnung, mit der eine Tat getan wird. Wenn also jetzt zum Beispiel ein Mensch einen anderen tötet, um größeres Unheil zu verhindern, Stichwort Tyrannenmord, dann kann das im Mahayana Buddhismus gerechtfertigt werden. Das hat dann in der Geschichte des Buddhismus zu entsprechenden Debatten geführt, in denen Präventivkriege zum Beispiel gerechtfertigt wurden, Verteidigungskriege ohnehin."
    Das gilt auch für Japan: Der Mahayana-Buddhismus ist hier seit eineinhalb Jahrtausenden prägend, doch die japanische Politik war stets von Gewalt durchdrungen. Im 20. Jahrhundert annektierte Japan nicht nur Korea, sondern auch Teile Chinas und trat schließlich sogar an der Seite Hitlers in den Zweiten Weltkrieg ein. Rückblickend ist Gijun Sugitaní überzeugt:
    "Was in unserer Geschichte geschehen ist, war entsetzlich. Ich muss leider zugeben, dass viele unserer buddhistischen Geistlichen die Beteiligung Japans am Zweiten Weltkrieg gut geheißen und unterstützt haben. Aber wir wissen heute, dass das ein Fehler war. Wir Buddhisten haben in Japan aufgrund der schmerzhaften Vergangenheit gelernt umzudenken."
    Nicht die Religionen haben sich am Frieden vergangen
    Die Atombombenabwürfe der USA über Hiroshima und Nagasaki besiegelten 1945 die japanische Kapitulation. Schrittweise, so Michael von Brück, begann man daraufhin, die traumatischen Ereignisse aufzuarbeiten:
    "Was ich in Japan bemerke, ist, dass ein Entsetzen über die Folgen des pazifischen Krieges eingesetzt hat, dass also eine Friedensbewegung in den japanischen Religionen, besonders im Buddhismus selbst entstanden ist aufgrund der Abrechnung mit der eigenen Vergangenheit. Interessant ist, dass Buddhisten in Japan sagten: Wir sind nicht völlig verstrickt mit diesem japanischen Kolonialismus und Imperialismus gewesen, sondern haben eine eigene Identität, die jetzt unter den Bedingungen eines befreiten Japan ins Spiel gebracht werden kann."
    1970 wurde dank des Engagements japanischer Buddhisten in Kyoto die "Weltkonferenz der Religionen für den Frieden" ins Leben gerufen. Bei der Gründungsfeier der Organisation hieß es:
    "Nicht die Religionen haben sich gegen die Sache des Friedens vergangen, sondern ihre Anhänger. Dieser Verrat kann und muss korrigiert werden!“
    Gijun Sugitaní war viele Jahre Generalsekretär der Weltkonferenz und ist überzeugt:
    "Frieden bedeutet, dass Völker in Würde und Gerechtigkeit leben können, dass sie einander achten und respektieren. Dafür arbeiten wir in Japan heute mit allen Religionsgemeinschaften zusammen. Vor allem aber setzen wir uns dafür ein, dass es zu keiner nuklearen Katastrophe kommt! Das ist entscheidend für die Zukunft der Welt."