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Christoph Hein: "Guldenberg"
Das Bild vom bösen Fremden

Seit Erscheinen seines gefeierten Romandebüts „Drachenblut“ 1983 erweist sich der Schriftsteller Christoph Hein als verlässlicher Beobachter und Chronist deutscher Geschichte. In seinem neuen Roman „Guldenberg“ erzählt er vom Fremdenhass in der ostdeutschen Provinz.

Von Peter Henning | 20.05.2021
Ein Portrait des Autors Christoph Hein und das Buchcover seines Romans "Guldenberg"
Mit Büchern wie „Der Tangospieler“ (1989), „Willenbrock“ (2000) oder zuletzt „Glückskind mit Vater“ (2016) und „Trutz“ (2017) profilierte sich Christoph Hein als eine der wichtigsten deutschen Erzählerstimmen. (Cover Suhrkamp Verlag / Autorenportrait Jelina Berzkalns)
Die Rolle des politischen Mahners und der moralischen Instanz, wie sie in diesem Land jahrzehntelang Günter Grass und Martin Walser spielten, hat Christoph Hein nie für sich reklamiert. Ungeachtet dessen zählt der 1944 in Niederschlesien geborene Autor zu den gewichtigsten literarischen Stimmen des wiedervereinten Deutschlands. Hein wird gehört! Seine Stimme hat Gewicht. Denn alle seine Bücher bewegen sich wie selbstverständlich entlang der wechselvollen Verläufe deutscher Geschichte - und ihrer Bruchlinien. Als leiser, gleichwohl scharfsinniger Beobachter hat er sie seit seinen Anfängen 1983 bis heute ebenso aufmerksam wie kritisch begleitet, kommentiert und hinterfragt.

Flüchtlingsroman in der ostdeutschen Provinz

Und nun also ein Buch über Fremdenfeindlichkeit in der deutschen Provinz. Darin kehrt Hein zeitverzögert zu jenen Anschlägen zurück, bei denen Migrantenunterkünfte im mecklenburgischen Boizenberg, in Trassenheide auf Usedom oder in Altena in Nordrhein-Westfalen 2015 in Flammen aufgingen. Er spielt das Ganze am Beispiel des fiktiven ostdeutschen Städtchens Guldenberg durch, in welchem die Welt in Ordnung ist, bis eines Tages ein Bus vor dem alten Seglerheim vorfährt. Eine Gruppe aus Syrien und Afghanistan stammender Jugendlicher steigt aus, die auf unbestimmte Zeit in Guldenberg untergebracht werden soll. Schlagartig ist die Kleinstadtruhe dahin – und auf Heins kleiner, scharf ausgeleuchteter Provinzbühne bringen sich all jene in Stellung, denen schon immer alles Fremde und Nicht-Deutsche ein Dorn im Auge ist. Es dauert nicht lange, bis die Jungen sich ersten Pöbeleien ausgesetzt sehen.
"'Sie verachten uns, Marikke. Alle verachten uns. Sie sagen immer du zu uns, als seien wir kleine Kinder. Nur kleine Kinder duzt man, oder?'
'Ich weiß', seufzt Marikke Brummig.
'Weißt du, Marikke, es gibt hier in Guldenberg keine Liebe. Auf der Straße schauen sie uns voller Hass an. Als seien wir tollwütige Hunde oder Schweine. Dabei machen wir doch gar nichts!'
'Nicht alle sind so.'
'Und jetzt versuchen sie uns umzubringen.'"

Vorurteile werden zu Hetze

Nach und nach heizt sich die Stimmung in Guldenberg auf - und die stramm nationalen Kleinstädter offenbaren ungeniert ihr wahres Inneres. Verzweifelt kämpfen derweil die Frauen, die im Seglerheim arbeiten, um die Sicherheit ihrer Schützlinge. Und sehen sich darüber bald selbst immer häufiger offenen Anfeindungen ausgesetzt.
"Die Jungen trauen sich kaum noch aus dem Haus, und wir sehen sie auch lieber drinnen als draußen. Wir sind schließlich für sie verantwortlich. Doch wie können ein paar Frauen die Jungs schützen, wenn alle gegen sie sind? Wir werden schief angesehen und müssen uns von wildfremden Leuten blöde Sprüche anhören. Dabei machen wir doch nur unsere Arbeit."
Dann macht das Gerücht die Runde, einer der ungeliebten Migranten habe eine Minderjährige vergewaltigt. Und als es zu einem Brandanschlag auf das Seglerheim kommt, spricht einer nunmehr unverhohlen aus, was man denkt: "Wenn das so weitergeht, geht unsere ganze Heimat vor die Hunde. Die haben ja schon überall die Finger im Spiel, und was ist mit uns? Das ist unser Land hier. Die wollen alles übernehmen. Und wir gucken, wo wir bleiben. Am Ende verjagen sie uns noch aus dem eigenen Land! Das muss man verhindern!"

Prüfung nicht bestanden

Am Ende beugt sich die Stadtverwaltung dem Druck der Öffentlichkeit: Das Seglerheim wird geschlossen. Und um die Sicherheit der Jugendlichen nicht länger zu gefährden, verteilt man sie auf benachbarte Gemeinden.
"'Nun wird die ganze Stadt gewiss aufatmen!'
'Ja. Es war eine Prüfung für uns. Eine Prüfung, ob wir christlich und solidarisch sind. Wir haben etwas über uns selbst erfahren.'"
Heins "Guldenberger" bestehen die Prüfung am Ende nicht. So malt er das Bild vom bösen Fremden, das angeblich nach unseren Werten und Besitztümern greift, in grellen Farben. Und erneut erweist er sich dabei als kluger Menschenbeobachter, der den strammen Rechthabern tief in die von ihren Ressentiments zerquälten Seelen blickt.
Der Schriftsteller Christoph Hein
Schriftsteller Christoph Hein - "Wir sind an einer Zeitenwende"
Der literarische Ort "Guldenberg" taucht nun schon zum sechsten Mal in Christoph Heins Werk auf. In seinem neuen Roman kommt eine Gruppe junger Migranten in den Ort. Hein nimmt Stammtisch und Lokalpolitik detailgenau unter die Lupe.

Gut gemeinte Bestätigungsliteratur

Trotzdem wird man Ende nicht recht glücklich mit diesem Buch, hat man doch den Eindruck, dass sich hier einer lediglich fleißig am Thema abgearbeitet hat. Denn wirklich Neues dazu hat der Roman nicht zu bieten: Die Guten sind auch hier die Guten und bleiben gefangen in ihren Stereotypen. Und auf einen möglichen Diskurs zwischen ihnen und ihren andersdenken Widersachern legt Heins Roman es gar nicht erst an.
Das Resultat ist ein Fall von gut gemeinter Bestätigungsliteratur, die lediglich an das Bekannte erinnert und es neu bebildert, statt es konstruktiv weiterzudenken – garniert mit einer Menge Kleinstadt-Allerlei. So wird "Guldenberg" sich am Ende als schwächeres Buch in das an literarischen Höhepunkten reiche Gesamtwerk dieses zweifellos bedeutenden Autors einfügen. Schaden nehmen wird es dadurch sicher nicht.
Christoph Hein: "Guldenberg"
Suhrkamp Verlag, Berlin, 286 Seiten, 23 Euro