Donnerstag, 16. Mai 2024

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Corona-Impfstoffe
Bullmann (SPD): Aufhebung des Patentschutzes überfällig

Der SPD-Europapolitiker Udo Bullmann begrüßte im Dlf die Forderung von US-Präsident Joe Biden nach einer zeitweisen Freigabe von Patenten bei Corona-Impfstoffen. Angesichts der "Menschheitskatastrophe" brauche es schnelle Hilfe. Deshalb hoffe er, dass auch die EU ihre Blockadehaltung bei dem Thema aufgebe.

Udo Bullmann im Gespräch mit Sandra Schulz | 06.05.2021
Ein Arzt zieht eine Spritze mit dem Impfstoff von Moderna auf
Modelle von geteilten Lizenzen oder Zwangslizenzen hätten bisher keine Ergebnisse gebracht, beklagt Udo Bullmann von der SPD (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
Derzeit stünden Produktionsanlagen zur Impfstoffherstellung in Brasilien, Mexiko, Indien und Südafrika bereit, sagte der SPD-Europa-Abgeordnete Udo Bullmann, der auch dem Entwicklungsausschuss angehört. "Es gibt keinen Grund, dass noch mehr Menschen sterben." Die vorhandenen Produktionsgrundlagen sollten genutzt werden, so Bullmann.
Worum es bei der Freigabe von Patenten geht
Nach zahlreichen anderen Ländern haben nun auch die USA überraschend gefordert, Patente für Corona-Impfstoffe zeitweise freizugeben. Doch noch immer wehren sich vor allem Industriestaaten dagegen.
Modelle von geteilten Lizenzen oder Zwangslizenzen hätten bisher keine Ergebnisse gebracht. Deshalb sei die Forderung von US-Präsdient Joe Biden nach einer zeitweisen Freigabe überfällig. "Ich hoffe, dass die Europäische Union nun auch ihre Blockadehaltung aufgibt." Inzwischen teilte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit, man sei bereit, über einen entsprechenden Vorschlag der USA zu diskutieren. Sie appellierte zugleich an alle Länder, die Impfstoffe produzieren, kurzfristig Exporte zuzulassen.
Es soll aber keine grundlegende Aushebelung des Patentschutzes geben, betonte Bullmann im Dlf, sondern angesichts "dieser Menschheitskatastrophe schnelle Hilfe" ermöglicht werden. Auch die finanziellen Vorteile der Gründerunternehmen könnten "dynamisch" gesichert werden. Angesichts "eines millionenfachen Todes von Menschen auf dieser Welt" könne es einen gesunden Ausgleich geben.
Udo Bullmann spricht beim SPD-Bundesparteitag
Der Euopaabgeordnete Udo Bullmann spricht sich für eine zeitweise Freigabe von Patenten aus (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
Das Interview im Wortlaut:
Sandra Schulz: Klar ist, dass das Impfen in den reichen, aber auch in den ärmeren Ländern ja schneller ginge, wenn es mehr Impfstoff gäbe. Da kommt jetzt eine interessante Entscheidung aus Washington. US-Präsident Biden hat sich für eine temporäre Aufhebung des Patentschutzes für Covid-19-Impfstoffe als Ausnahmeregelung ausgesprochen. Die EU zeigt sich gesprächsbereit. Ist das jetzt quasi beschlossene Sache?
Udo Bullmann: Zunächst einmal ist es ein völlig überfälliger Schritt, den Joe Biden geht. Wir begrüßen das sehr. Wir fordern seit Monaten genau das gleiche. Die Welt stirbt im Wettlauf mit der Zeit und wir dürfen da nicht wegsehen. Ich hoffe nur, dass die Europäische Kommission mit Ursula von der Leyen ihre Blockadehaltung jetzt auch aufgibt und dass wir endlich, endlich, endlich genügend Impfstoffe weltweit produzieren können.
Eine Spritze mit Biontech-Pfizer Impfstoff liegt in einer Schale bereit.
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"Es stehen Anlagen bereit: in Brasilien, Südafrika, Mexiko, Indien"

Schulz: Was ein bisschen überraschend ist an dem Vorstoß von Joe Biden ist ja, dass es bisher so ist, dass die USA auf dem Impfstoff, der dort produziert wird – das kann man ja nicht anders sagen -, sitzen. Wäre das nicht ein erster logischer Schritt, dass vielleicht auch die USA über ihren Schatten springen und ihrerseits Impfstoff exportieren?
Bullmann: Das ist korrekt. Das sollten sie tun. Das hätten sie seit langem tun sollen. Er hat hier die unsägliche Tradition des "America first" fortgesetzt. Aber er hatte es natürlich auch mit einer Situation zu tun, wo Trump sich monatelang geweigert hat, überhaupt Initiativen zum Impfen zu ergreifen. Man muss beides tun. Aus Europa heraus ist exportiert worden. Das war richtig. Gleichzeitig stehen Anlagen bereit in Brasilien, in Südafrika, in Mexiko, in Indien, wenn wir da hinschauen. Es gibt überhaupt keinen Grund, mehr als drei Millionen Menschen sind schon gestorben, dass jetzt Hunderttausende weiter sterben werden. Wir sollten diese Produktionsanlagen endlich nutzen.
Eine Spritze mit Impfstoff.
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Schulz: Es geht ja darum – das sprechen Sie gerade an -, dass vor allem weltweit produziert werden kann. Aber das kann man ja auch auf anderem Wege erreichen, zum Beispiel über Lizenzen, und das wird inzwischen ja auch schon breit gemacht. Warum nicht diesen Weg gehen? Warum diesen deutlich harscheren Weg über die Aufbröselung des Patentschutzes?
Bullmann: Es funktioniert nicht bisher. Wir haben ja diese globale Impfinitiative unter dem Dach der Weltgesundheitsorganisation Covax. Auch wir in Europa, auch wir in Deutschland haben Mittel zur Verfügung gestellt, dass das klappen könnte. Allerdings mangelt es an Impfstoffen. Die einzig wirkliche Kooperation gibt es mit Indien und Indien hat sich angesichts der Lage in der AstraZeneca-Produktion dazu entschieden, nicht mehr zu exportieren und der eigenen Bevölkerung zu helfen, weil die Kapazitäten insgesamt nicht breit ausgebaut sind, sondern viel zu klein. Natürlich kann man Druck machen auf freiwillige Lizenzvergabe. Das wäre uns auch sehr recht. Man kann Lizenzen teilen, man kann auch Zwangslizenzen gegen Vergütung vergeben. Aber alles das hat nicht Platz gegriffen und dass Biden jetzt das stärkste Instrument ins Feld führt, ist folgerichtig, weil nur so kommt Bewegung in die Sache.
Produktion - "Aus jeder Herstellungsstätte muss dieselbe Qualität geliefert werden"
Die Impfstoff-Herstellung sei komplex, sagte Andreas Neubert vom Biopharmakonzern IDT im Dlf. Im Vordergrund stehe die gleichbleibende Qualität aller Chargen.
Schulz: Aber wirtschaftlich ist es natürlich nicht risikolos, jetzt an den Patentschutz heranzugehen. Ich habe ein Zitat gefunden: "Wer am Patentschutz rüttelt, der spielt mit dem Feuer." So heißt es vom Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb. Es geht da ja um wirklich ganz grundlegende Marktmechanismen. Das Risiko sehen Sie nicht?
Bullmann: Wir müssen davon ausgehen, dass die Entwicklung dieser Impfstoffe zum großen Teil bereits durch Steuergeld finanziert ist. Es ist ja nicht so, dass das alles nur durch private Vorfinanzierungen zustande gekommen ist. Ganz im Gegenteil! Wir sind glücklich, solche großartigen Unternehmerpersönlichkeiten zu haben wie die BioNTech-Gründer, und natürlich setzen wir auch weiterhin auf ihren Forschergeist und auf ihre Initiative. Deswegen soll es ja auch keine grundlegende Aushebelung des Patentschutzes geben, sondern wirklich angesichts dieser Menschheitskatastrophe schnelle Hilfe. Wenn unterhalb des Wavers, wie man das technisch nennt, der stärksten Waffe eines, von Biden jetzt geforderten zeitlichen Aufhebens des Patentschutzes, wenn es unterhalb dessen Bewegung gäbe mit Zwangslizenzen, mit freiwilligen Lizenzen, die das gleiche Ergebnis zeitigen würden, sind wir sofort dafür. Aber weiterhin hinzuschauen, die Menschen sterben zu Tausenden, ist nicht drin.

Finanzielle Vorteile der Gründerunternehmen "dynamisch sichern"

Schulz: Ein Argument würde ich ganz gerne noch einspeisen. Es geht natürlich aktuell um den Covid-Impfstoff. Wir wissen aber auch, dass diese MRNA-Technologie, die den Impfstoffen von BioNTech und Moderna zugrunde liegt, auch die Grundlage sein könnte zum Beispiel für Krebstherapien, was sich daraus alles noch entwickeln lässt. Der Anreiz, sich da heranzumachen, der wird den Pharma-Unternehmen natürlich jetzt vollständig genommen.
Bullmann: Das glaube ich nicht. Zum einen haben wir ganz andere Möglichkeiten noch bei Johnson & Johnson, bei AstraZeneca, bei den traditionellen Impfstoffen, die auch leichter auszureichen sind, weil sie nicht die gleiche Kühlung der Temperaturen benötigen wie die modernen Impfstoffe. Zum anderen gibt es Möglichkeiten, diese finanziellen Vorteile auch dynamisch zu sichern, die die Gründerunternehmen und die ursprünglichen Herstellerunternehmen da auch erforderlich finden. Ich finde nicht, dass es nicht einen gesunden Ausgleich geben kann, angesichts eines millionenfachen Todes von Menschen auf dieser Welt.
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Schulz: Wenn es jetzt darum geht, weltweit Impfstoffe zu produzieren – und Sie sagen es: es stehen überall die Unternehmen, auch die Produktionsstätten in den Startlöchern -, die Gefahr für Arbeitsplätze in den USA und in Deutschland, die sehen Sie nicht?
Bullmann: Wir haben ja gesehen, dass wir gerade beispielsweise mit der neuen Unternehmung in Marburg, wo BioNTech in großem Maßstab produziert wird, dass wir durchaus erfolgreich Neuansiedlungen machen können oder Transformationen bestehender Anlagen betreiben können, die auch wieder arbeitsplatzintensiv sind. Das wird natürlich weitergehen und das wird nicht aufhören, angesichts der weltweiten Bedarfe.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.