Archiv

Das Erbe des Theologen Karl Barth
"Kirche war wieder mal schwach"

Er gilt als der wichtigste evangelische Theologe des 20. Jahrhunderts: der Schweizer mit dem deutschen Pass, Karl Barth. Christliche Selbst- und Kirchenverehrung war ihm zuwider. Vielleicht ist er auch deshalb bis heute so populär. Barth starb vor 50 Jahren im Dezember 1968.

Von Thomas Klatt |
    Der Schweizer Theologe Karl Barth auf einer Briefmarke der Deutschen Bundespost
    Der Schweizer Theologe Karl Barth auf einer Briefmarke der Deutschen Bundespost (imago stock&people)
    Halbe Bibliotheken füllt die Theologie von Karl Barth. Aber er konnte manchmal auch in ganz kurzen Sätzen schreiben.
    "Barth konnte ganz einfach sagen, worum es ihm geht: Gott liebt uns trotz allem! Oder ich habe in der Kirchlichen Dogmatik einen Absatz gefunden, der mich total überrascht hat. Ich habe drei Sätze: Gott tritt ein für die Menschen! Zweitens: Alle Menschen sind geliebt von Gott! Alle! Und drittens: Wozu braucht es eine Kirche?", erinnert sich Eberhard Busch.
    Der emeritierte Professor für reformierte Theologie an der Universität Göttingen war in jungen Jahren der letzte Assistent Karl Barths. "Wozu braucht es eine Kirche?" Diese Frage hat Barth zeit seines Lebens umgetrieben, ob nun als religiöser Sozialist und einfacher Gemeindepfarrer im Schweizer Safenwil oder als späterer Theologie-Professor in Göttingen, Münster und Bonn. Als sich gegen die hitlertreuen Deutschen Christen die Bekennende Kirche herausbildete, war Barth in ihr zunächst die beherrschende Stimme, so Busch:
    "Und dann hat er in seinem Entwurf, der ja dann auch angenommen wurde in den Thesen der Barmer Erklärung, den einen Satz reingebracht, Jesus Christus ist das eine Wort! Und das war gegen die damalige Vorstellung gesagt. Auch dieser Pfarrernotbund, in dem Martin Niemöller eine wichtige Gestalt war, die hatten die Vorstellung ausgesprochen: Im Staatlichen haben wir dem Adolf Hitler zu folgen, dem Führer zu folgen und im Geistlichen, in der Predigt haben wir die Bibel auszulegen. Und Barth sagt: Das ist eine Schizophrenie!"
    Opposition zum Faschismus
    Kirche Jesu Christi zu sein – das bedeutet, wir müssen in Opposition gehen, war Barth überzeugt.
    "Man hat uns das auch 1933/34 zum Vorwurf gemacht im Kirchenkampf. Wir sollen das reine Evangelium verkündigen und nicht gegen den Nationalsozialismus Stellung nehmen", so Barth selbst in einem Interview zu seinem 80. Geburtstag, zwei Jahre vor seinem Tod 1968.
    Das Studierzimmer von Karl Barth
    Das Studierzimmer von Karl Barth (Karl-Barth-Archiv)
    In diesem Geist formulierte er 1934 federführend die Barmer Theologische Erklärung. Sie wurde zu einem Meilenstein der Theologie, zumindest in den reformierten Kirchen, weiß Busch:
    "Man muss sagen, dass die Barmer Erklärung weltweit Beachtung gefunden hat. In vielen Ländern wurden jetzt plötzlich Bekenntnisse formuliert. Sie hat etwas in Gang gesetzt, was im 19. Jahrhundert undenkbar war, als alle Bekenntnisse abgeschafft wurden oder nur noch formal Bestand hatten, zumindest in der Schweiz. Und dann bringt die Barmer Erklärung in Gang, dass Kirchen wieder ausdrücklich bekennen. Es ist in Gang gekommen, die Kirche hat Bindungen, und nur darin ist sie frei gegenüber allen Anfechtungen politischer, geistiger Art. Die Kirche braucht solche Bindungen, sonst hat sie keinen Bestand."
    Barth schickte eine Predigt an Hitler
    Als einer der ganz wenigen hatte sich Karl Barth gerade auch im Nationalsozialismus klar zum Judentum bekannt: ohne die Anerkennung des bleibenden Bundes Gottes mit Israel auch kein Bund mit den christlichen Kirchen.
    "Für ihn war die Bundestheologie in der Versöhnungslehre außerordentlich grundlegend", erklärt Busch: "Die Verbundenheit zwischen Juden und Christen. Die eigentlich wichtige Frage ist, inwiefern zählen wir uns zu dem erwählten Volk hinzu? Dass er 1933 eine Predigt hielt, Adventspredigt, Römer 15. Barth fasste zusammen, indem er schrieb, dass man im Glauben an Christus, der selbst ein Jude war, die Missachtung und Misshandlung der Juden, die an der Tagesordnung ist, einfach nicht mitmachen darf. Das war für ihn sehr klar! Barth hat diese Predigt sofort drucken lassen und Adolf Hitler geschickt. Barth war eingeladen für eine Begegnung mit Hitler, um die Sache der Bekennenden Kirche vorzustellen. Aber da haben sich die eigenen Leute so dagegen gestellt. Die Kirche war da auch wieder einmal schwach."
    Seinen kompromisslos klaren Kurs wollten die allermeisten Theologen 1933/34 nicht mittragen. Bald war Karl Barth selbst innerhalb der Bekennenden Kirche isoliert, sagt Busch:
    "1935 war die dritte Bekenntnis-Synode in Augsburg. Die bayerische Kirche machte zur Bedingung, dass erstens die Barmer Erklärung nicht erwähnt wird. Zweitens dass Karl Barth ausgeladen wird. Das war ein Grund, dass Barth sagte: Ich kann in Deutschland nicht bleiben. Dass die Kirche nicht stand!"
    "Warum schweigt die Kirche?"
    Schon 1933 hatte Barth sich in einer Adventspredigt klar gegen den Nationalsozialismus gestellt. Mit Konsequenzen.
    "Es gab einen Prozess gegen ihn, weil er nicht den bedingungslosen Eid auf Hitler leisten wollte," so Busch weiter. "Er sagte einige Sätze: Was sagt die Kirche zu dem, was passiert seit dem Frühling in diesem Land? Was sagt sie zu den Konzentrationslagern, die gefüllt werden, am Anfang mit den kritischen Leuten von der Sozialdemokratie. Was passiert mit den Juden? Warum ist die Kirche schweigsam in den Punkten, wo sie reden müsste? Macht sie sich nicht mitschuldig? Das war so scharf, dass sich die Bekennende Kirche, die ja erst entstanden war, distanziert hat von ihm."
    1935 musste Barth Deutschland verlassen. Aber auch in der Schweiz, in der er weiter an der Universität Basel Theologie lehrte, blieb Barth unbequem. Die Kollaboration der Eidgenossen mit Hitler war ihm unerträglich, meint Busch:
    "Er war auch in der Schweiz nicht willkommen. Die Schweiz war vielmehr, als es zugegeben wurde, verbunden mit den Nazis. Sie hat werktags, wie Barth einmal sagte, mit Hitler kooperiert, und sonntags gebetet, dass es aufhört, die Herrschaft. Die haben ja alles den Deutschen geboten, was sie haben wollten."
    "Der Führer, der sich an die Stelle Gottes setzt"
    Heute wird der Kirche mancherorts vorgeworfen, sie sei zu politisch und zu wenig christlich und theologisch. Das aber konnte Karl Barth gar nicht voneinander trennen. Jede theologische Auslegung der Bibel musste für ihn immer auch eine politische Aussage sein. Achim Detmers, Generalsekretär des Reformierten Bundes mit Sitz in Hannover:
    "Dass auf den Kanzeln nur noch gesellschaftspolitische Verantwortung gepredigt würde, das ist nicht der Anspruch Karl Barths gewesen. Wenn Karl Barth auf der Kanzel gegen den Nationalsozialismus polemisierte, dann machte er das mit dem 1. Gebot. Er hielt eine ganze Predigt über das 1. Gebot und überall hörte man heraus, dass er den Nationalsozialismus meint. Der Führer, der sich an die Stelle Gottes setzt, Gott allein aber ist der Herr. Und das ist der große Trick gewesen von Karl Barth und die große Stärke, dass er seine Fragen zur gesellschaftlichen Verantwortung theologisch formuliert und von der Theologie her entwickelt."
    Barths Vermächtnis? Nie wieder dürften sich die Gemeinden in ihre Kirchen zurückziehen oder die Theologen in ihren akademischen Elfenbeinturm. Barth selbst 1966:
    "Es sollte so geredet werden, ob es den Leuten gefällt oder nicht. Wo hat die deutsche Kirche bis jetzt ein deutliches Wort gesprochen zu der Vietnam-Politik des mit West-Deutschland verbündeten Amerika? Oder wann und wo hat die Kirche ein deutliches und verbindliches Wort gesprochen in Blick auf die drohende Atombewaffnung des deutschen Bundesheeres? Wann und wo hat die Kirche sich deutlich und verbindlich geäußert gegen die neuen Äußerungen von Antisemitismus, die es in Deutschland gibt?...Es gibt Dinge, wovon die Kirche nicht die Hände lassen kann!"
    "Ich möchte gerne für 14 Tage Papst sein"
    Barth war ein sehr fleißiger Mensch. Allein seine Kirchliche Dogmatik zählt mehr als 9000 Seiten. Ein theologischer Lehrer, dessen Stärken nicht allein im Dozieren lagen, erinnert sich sein letzter Assistent Eberhard Busch:
    "Ein Freund sagte zu ihm auf Schweizerdeutsch: Du wollst schon immer recht haben. Und er antwortete: Ich habe auch immer recht. Das war so seine kämpferische Seite. Und dann auf der anderen Seite diese ganz zarte Seite, die er auch hatte, das heitere Lächeln, und da war die Musik Mozarts ein Vorbild. Dass er erstaunlich zuhören konnte. Ein Student ist mal ganz verzweifelt zu Karl Barth gegangen, und der sagte: Reden Sie, reden Sie, ich höre zu. Und nach einer Stunde sagte er: Vielen Dank, Sie haben mir sehr geholfen. Schon dieses Hören war eine aktive Tätigkeit der Teilnahme."
    Nicht nur das Hören war für Karl Barth ein wichtiger Bestandteil seiner theologischen Arbeit. Zur christlichen Existenz zählten für ihn besonders auch das Lachen und der Humor, sagt Busch:
    "Barth wurde mal gefragt, was er gegen das Papsttum habe. Er sagte, ich habe nichts dagegen, ich möchte gerne für 14 Tage Papst sein. Ich würde drei unfehlbare Entscheidungen treffen: Die erste ist, die Kirchenfarbe ist nicht mehr Lila, sondern preußisch-blau. Und die zweite ist, er würde Mozart selig sprechen. Und die dritte Entscheidung: Er würde nur Frauen als Kardinäle einsetzen, so dass der nächste Papst eine Päpstin wäre. Und dann würde er zurücktreten!"
    Eine lachende Theologie, die in ihrer Ernsthaftigkeit aber nie lächerlich war.