Dienstag, 19. März 2024

Archiv

DDR-Dopingopfer
"Wir hatten mehr Angst vor dem Trainer als vor den Elementen"

Eine Studie der Universität Greifswald, einer Klinik in Schwerin und des Doping-Opfer-Hilfevereins untersucht die Langzeitfolgen des DDR-Dopings. Das Zwischenergebnis: Das staatliche Zwangsdoping sei nicht nur Verabreichen von Dopingmitteln gewesen - dahinter habe ein System von psychischer und physischer Gewalt gestanden.

Von Jessica Sturmberg | 25.04.2018
    Die Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins, Ines Geipel.
    Die Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins, Ines Geipel. (dpa-Bildfunk / Rainer Jensen)
    Dana Boldt ist heute 45. Als junges, 12-jähriges Mädchen war sie DDR-Jugendmeisterin im Turnen, gehörte mit zum Olympiakader für die Spiele 1988. Im Sportinternat seien damals Schläge, Demütigungen und Übergriffe an der Tagesordnung gewesen, erzählt sie:
    "Wenn wir Übergewicht hatten, gab's Sandsäcke umgebunden und dann durch die ganze Halle laufen und 'Lauf, du dickes Vieh' und so was. Ich mein so als Kind, wir hatten eigentlich mehr Angst vor dem Trainer als vor den Elementen letztendlich."
    Ex-Turnerin Dana Boldt sitzt auf einer Steintreppe, ist seitlich zu sehen, ihr Blick geht nach links. Sie hat eine Glatze, hat männliche Züge und trägt ein Sportshirt, bei dem die Farbe oben von gelb ins Rötliche-Pinke übergeht. Außerdem eine lange schwarze Sporthose.
    Dopingopfer Dana Boldt fielen im Alter von 14 Jahren die Haare irreversibel aus (Eyeopening Media)
    Schon ab dem Alter von etwa zehn Jahren hätte es für sie und die anderen immer die Getränke im Kühlschrank gegeben "mit Substanzen, Pulver drinne und auch Tabletten, so komische kleine blaue, mittlerweile wissen wir, dass es Hormonpräparate waren".
    Statt wie die Trainer ihnen weismachen wollten, Vitamine. Dana Boldt war ein hübsches junges Mädchen. Mit 14 fielen ihr plötzlich die Haare aus: "Irreversibel, heißt: ist nicht wieder rückkehrbar."
    Schwarz-Weiß-Aufnahme von Ex-Turnerin Dana Boldt, das sie noch mit voller Haarpracht zeigt. Sie schaut nach links oben und lächelt verschmitzt.
    Ex-Turnerin Dana Boldt in jungen Jahren (Privat)
    Doping, Lügen, physische und psychische Gewalt, bis hin zu sexuellen Misshandlungen. Die Opfer erzählen ihre Geschichten aus einem Zwangssystem, aus dem sie nicht einfach so aussteigen konnten. In einer Langzeitstudie ermittelt der Schweriner Psychosomatiker Jochen Buhrmann von den Helios-Kliniken zusammen mit einem Greifswalder Kollegen und dem Doping-Opfer-Hilfeverein DOH die genauen Langzeitschäden:
    "Stoffwechselerkrankungen, Herzkreislauferkrankungen und auch Tumorerkrankungen sind im Risiko deutlich höher vorhanden als im Bevölkerungsdurchschnitt. Und wir haben Einzelfälle gesehen, wo die Lebenserwartung tatsächlich um zwölf Jahre niedriger war als im Bevölkerungsdurchschnitt."
    Rund 30 Prozent der Dopingopfer leiden laut Studie unter schweren posttraumatischen Belastungsstörungen. Bis Herbst wird noch weiter untersucht. Insgesamt geht der DOH von etwa 15.000 Betroffenen aus, registriert sind bislang 1.700. Dazu kommen inzwischen auch Kinder von Geschädigten, bei denen ebenfalls psychosomatische Erkrankungen diagnostiziert werden.
    Forderung: DFB und DOSB sollen Opfer unterstützen
    Neben Aufmerksamkeit bräuchten die Opfer konkrete Hilfe. Die DOH-Vorsitzende Ines Geipel fordert das Doping-Opfer-Hilfe-Gesetz zur finanziellen und moralischen Unterstützung der DDR-Dopingopfer auch über 2020 hinaus fortzusetzen, sowie einen Appell "an den deutschen Olympischen Sportbund den Hilfsfonds 'Sport und sexualisierte Gewalt' neu aufzulegen und den DFB uns zu unterstützen bei der Einrichtung eines Notfonds für Sportopfer". Denn es würden sich zunehmend auch Fußballspieler aus der DDR-Oberliga melden.