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Debalzewe
Leben in der "Donezker Volksrepublik"

Bis vor drei Monaten war Debalzewe in der Ostukraine Schauplatz erbitterter Gefechte - bis die russischen Separatisten die ukrainische Armee verdrängten. Noch immer liegen viele Viertel in Trümmern, doch langsam normalisiert sich das Leben in der sogenannten Donezker Volksrepublik.

Von Florian Kellermann | 13.05.2015
    Pro-russische Separatisten in Debalzewe in der Ostukraine.
    "Jetzt werden wir zu einer richtigen Armee": Pro-russische Separatisten in Debalzewe in der Ostukraine. (AFP / Vasily Maximov)
    Im Zentrum von Debalzewe liegt ein kleiner Park. Unter den Kastanien stehen Jugendliche im Halbkreis, eine Frau mit Mikrophon animiert sie zum Tanzen. Es ist Wochenende - und es ist wieder Leben in Debalzewe. Die Stadt war bis vor drei Monaten Schauplatz erbitterter Gefechte, bis die Separatisten die ukrainische Armee verdrängten. Nun kommen die Geflohenen langsam wieder zurück.
    Alexej und Swjetlana Gudjakow waren die ganze Zeit hier, als eine der wenigen:
    "Wir haben es überstanden, weil die Nachbarn geflohen waren und viele Konserven hinterlassen hatten. Wir sind ins Haus meiner Schwester gezogen, die auch weg war. Dort waren die Fensterscheiben noch ganz, sodass es im Winter nicht ganz so kalt wurde."
    Wer mit den Separatisten nicht einverstanden war, hat die Stadt verlassen
    Swjetlana wirft einen Blick auf ihren Sohn, er ist vier Jahre alt. Er sei schon allein über die Treppe in die Grube geklettert, wenn wieder einmal die Granaten flogen, erzählt sie stolz. Die Eltern mussten um den Kleinen kümmern, der heute 13,5 Monate alt ist.
    Die Familie Gudjakow
    Die Familie Gudjakow ist den russischen Separatisten dankbar. (Florian Kellermann)
    Das Leben normalisiert sich allmählich in Debalzewe, das als Eisenbahnknotenpunkt bekannt ist. Am Bahnhof fährt immerhin wieder ein Zug täglich. Alexej, der früher in einem Heizkraftwerk arbeitete, ist den Separatisten dankbar dafür:
    "Meine Meinung lautet: An dem Ganzen sind die Politiker in Kiew schuld. Sie haben Soldaten hierher geschickt anstatt zu verhandeln. Auch diese Soldaten haben Familien, Kinder und Häuser. Viele von ihnen sind hier gestorben - und das völlig sinnlos."
    So denken die meisten in Debalzewe. Wer mit den Separatisten nicht einverstanden war, hat die Stadt längst Richtung Westen verlassen.
    Am anderen Ende des Parks, vor einem ehemaligen Supermarkt, hat sich eine Schlange gebildet. Frauen mit Kopftüchern stehen an und Männer mit Schiebermützen. Es gibt Brot. Valentin Nikolajewitsch, ein Rentner, zeigt eine Lebensmittelkarte, in der Mitte prangt das Wappen der sogenannten Donezker Volksrepublik:
    "An Wochentagen bekommen wir auch Pakete mit internationaler Hilfe. Da sind dann zwei Liter Sonnenblumenöl drin, drei Kilo Reis, und fünf Kilo Mehl, außerdem Fisch- und Fleischkonserven. Dann gibt es noch ein Hygienepaket, mit Klopapier, Zahnbürsten und Seife."
    "Ich will nichts mehr wissen von der Ukraine"
    Immer wieder betont der ehemalige Bergmann, dass ihm doch eigentlich Rente zusteht. Aber die Ukraine habe ihm in diesem Jahr noch nichts ausgezahlt. Seit April geben ihm die Separatisten monatlich einen kleinen Betrag.
    Menschen warten in einer Schlange zur Abholung von Lebensmitteln.
    Vor einem ehemaligen Supermarkt warten die Bewohner von Debalzewe darauf, die Lebensmittelkarten der "Volksrepublik Donezk" einzulösen. (Florian Kellermann)
    Viktor Nikolajewitsch liest die offiziellen Aushänge an einer Wand ab, durchs Handy diktiert er seiner Frau Telefonnummern. Bei ihm im Schrebergarten sei schon eine Mine explodiert, erklärt er, da will er im Notfall schnell Hilfe holen können.
    Die Kinderanimation im Park ist vorbei, die Frau mit dem Mikrophon kann durchatmen. Rufina Sintschenko heißt die 26-Jährige, sie schiebt die türkisfarbene Sonnenbrille in die Haare. Rufina stammt aus Debalzewe und hat in Kiew Karriere gemacht, als Entertainerin, sogar in einer Fernsehshow. Nun ist sie zurückgekommen, das sei sie der Stadt schuldig:
    "Die Kinder hier sind wie Knetmasse, sie nehmen sehr viele Eindrücke auf, gleichzeitig sind sie empfindlich wie ein blank liegender Nerv. Wenn wir singen und tanzen, kann ich ihnen zeigen, dass die Welt nicht nur schwarz ist, sondern dass sie bunt ist, und dass Leben heller, besser sein kann."
    Ein Sommerlager in Bulgarien, wo sie für Unterhaltung sorgen sollte, hat Rufina abgesagt. Sie will lieber hierbleiben und auf die Gage verzichten, sagt sie.
    Keine 100 Meter abseits des Parks wird sichtbar, wie zerstört Debalzewe ist. Die meisten der mehrstöckigen Wohnhäuser haben Treffer bekommen, manche sind mitten entzwei gerissen. Ein ähnliches Bild in einem Viertel mit Einfamilienhäusern. Von einigen sind nur noch Trümmer übrig. Eine Rentnerin verabschiedet gerade ihre Verwandten, die zurück nach Russland fahren:
    "Mit meinen 60 Jahren bin ich noch einmal obdachlos geworden. Ich habe nichts mehr, mein Haus ist völlig abgebrannt. Wenigstens kann ich hier bei meiner Tochter wohnen. Ich will nichts mehr wissen von der Ukraine, sie hat uns sehr verletzt."
    "Für Debalzewe ist der Krieg vorbei"
    Aber haben nicht beide Seiten um Debalzewe gekämpft, beide Seiten geschossen? Schon, sagt die Frau, die sich als Jelena Petrowna vorstellt, aber die ukrainische Armee habe ihre Geschütze zwischen die Wohnhäuser gestellt und so das Feuer auf sich gezogen. Das nehme sie der Armee sehr übel, sagt sie - und schaut vor zur Hauptstraße.
    Zerstörtes Haus in Debalzewe.
    Viele Wohnhäuser in Debalzewe sind vollkommen zerstört. (Florian Kellermann)
    Dort kommen zwei weiße Geländewagen vorbei, offensichtlich gepanzert, Autos der OSZE. Hundert Meter weiter steigen die Mitarbeiter aus, sie treffen sich mit dem Kommandanten von Debalzewe. Danach hat der braungebrannte Kämpfer, der bis vor einem Jahr von Beruf Chauffeur war, noch Zeit für ein Gespräch. Die Volksrepublik werde Debalzewe nie mehr räumen, versichert er:
    "Wir gehen gerade zu einer einheitlichen Kommandostruktur über, endlich, und unsere Kämpfer bekommen Soldatenausweise. Vor ihnen steht ein Mensch, der vor einem Jahr seine Pistole in die Hand genommen hat, keine tödliche Pistole, um seine Stadt zu verteidigen. Jetzt werden wir zu einer richtigen Armee."
    Für Debalzewe sei der Krieg vorbei, meint der Kommandant, nicht so für andere Teile der Ostukraine. Er rechnet damit, dass die Kämpfe wieder aufflammen - und er hat eigentlich nichts dagegen. Denn die prorussischen Kämpfer müssten mindestens noch die gesamten Bezirke Donezk und Luhansk erobern, meint er.