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Vor 60 Jahren
Die Anfänge der Deutschen Welthungerhilfe

"Hilfe zur Selbsthilfe" - nach diesem Prinzip unterstützt die Deutsche Welthungerhilfe Projekte, die Menschen in Not eine Perspektive für die Zukunft bieten sollen. Die Organisation versteht sich seit ihren Gründungstagen als politisch unabhängig.

Von Alfried Schmitz | 14.12.2022
Heinrich Lübke 1962 auf einer Afrika-Reise
Heinrich Lübke, hier 1962 auf einer Afrika-Reise, machte den Kampf gegen Hunger zur Chefsache. (picture alliance / Kurt Rohwedder / Kurt Rohwedder)
In den 1950er-Jahren geht es in Deutschland, nach entbehrungsreichen Zeiten, steil bergauf. Man profitiert von einem regelrechten Wirtschaftsboom. Doch in vielen Ländern der „Dritten Welt“ sieht es anders aus. Dort leiden unzählige Menschen an Unterernährung.

"Gefangen in einem Teufelskreis"

Binay Ranjan Sen, damals Generaldirektor der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, der FAO, ruft daher im Juli 1960 zu einer weltweiten Kampagne gegen den Hunger auf: "Mehr als die Hälfte der heutigen Weltbevölkerung hat nicht genug zu essen. Die meisten dieser Menschen leben in den am wenigsten entwickelten Ländern von Asien, Afrika oder Lateinamerika. Diese Menschen sind gefangen in einem Teufelskreis aus wirtschaftlichem Stillstand, Apathie und Armut. Diese Gefahr müssen wir erkennen und dürfen keine Zeit verlieren, die notwendigen Schritte dagegen zu unternehmen."
Dieser Appell führt in vielen Ländern zur Gründung von nationalen Hilfskomitees und wird auch zur Initialzündung für den damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke. Der CDU-Politiker, von 1953 bis 1959 Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, macht in seinem neuen Amt als Staatsoberhaupt den Kampf gegen Hunger und Armut zur Chefsache. Am 14. Dezember 1962 wird auf sein Betreiben der „Deutsche Ausschuss für den Kampf gegen Hunger“ gegründet, aus dem fünf Jahre später die „Deutsche Welthungerhilfe“ hervorgeht.
Dazu Mathias Mogge, derzeitiger Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe: „Aus dieser Tätigkeit als Landwirtschaftsminister sah er, dass Landwirtschaft, Agrarentwicklung, so wichtig ist und dass das vielleicht viel zu wenig Thema ist. Und er kam als Bundespräsident auch zunehmend mit internationalen Diskursen in Kontakt und merkte, der Hunger in der Welt ist nach wie vor ein Riesenproblem, und wir müssen da etwas tun. Und in diesem Zusammenschluss mit dem Binay Ranjan Sen sah er, glaube ich, eine Chance, diesem Thema noch größere Bedeutung zu geben.“
„Wenn es uns nicht gelingt, den Hunger aus der Welt zu bannen, den Hunger, der jährlich so und so viel Millionen das Leben kostet, dann werden wir auch unsere freie Welt nicht mehr behalten.“ So Heinrich Lübke in einer Fernsehansprache, kurz nach der Gründung seines Herzensprojektes, das sich, anders als die beiden großen kirchlichen Hilfswerke „Brot für die Welt“ und „Misereor“, als überkonfessionell und zudem als politisch neutral versteht.

Heute rund 550 Projekte weltweit

Die Deutsche Welthungerhilfe, für die mittlerweile über 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 90 Nationen arbeiten, engagiert sich weltweit in rund 550 Auslandsprojekten. Finanziert durch Spendengelder und mit Unterstützung von Institutionen wie den Vereinten Nationen oder dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, heißt das Leitmotiv: „Hilfe zur Selbsthilfe“.
Mogge: „Wir investieren tatsächlich viel Arbeit in Analyse, bevor wir überhaupt etwas anfangen. Und Analyse bedeutet in der Regel, die Menschen zu fragen vor Ort: Wo ist das Problem? Worauf müssen wir achten? Was könnt ihr machen? Und daraus entwickeln sich am Ende Projekte, Programme, die dann hoffentlich so gut sind, dass sie bei den Menschen so ankommen, dass es ihr Projekt ist. Wir unterstützen sie dabei, ihr Projekt eigentlich am Ende durchzuführen.“
Da es neben der direkten Katastrophenhilfe darum geht, notleidenden Menschen Perspektiven für die Zukunft zu bieten, fördert die Deutsche Welthungerhilfe den Bau von Schulen, Straßen, Brunnen, Bewässerungsanlagen, den Kauf von Saatgut, Land- und Produktionsmaschinen oder betreibt, wie aktuell in Kenia, mobile Kliniken, in denen unterernährte Kleinkinder versorgt werden.
Doch die Vision von einer Welt, in der alle Menschen selbstbestimmt, in Würde und Gerechtigkeit und frei von Hunger und Armut leben können, bleibt in Anbetracht von Kriegen und Klimakrise wohl unerreichbar.