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"Die Hauptfrage ist immer, wie konnte das passieren"

Die Ombudsfrau für die Hinterbliebenen des Neonaziterrors, Barbara John (CDU), erhofft sich von der Bund-Länder-Kommission, dass nicht nur die Pannen analysiert werden: Es müsse auch um "einen größeren Blick auf die Gesellschaft" gehen und der Umgang mit den Angehörigen aufgearbeitet werden.

Barbara John im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Niemand hatte etwas geahnt. Als im vergangenen Jahr die rechtsextremistisch motivierte Mordserie bekannt wurde, ging die Erschütterung in Öffentlichkeit und Politik tief. Mittlerweile befassen sich zwei parlamentarische Untersuchungsausschüsse mit dem Thema, dazu diverse Expertenkommissionen; heute kommt eine weitere Bund-Länder-Kommission dazu.
    Am Telefon ist nun die frühere Ausländerbeauftragte des Landes Berlin, Barbara John (CDU). Sie ist nun Ombudsfrau der Bundesregierung für die Angehörigen der Opfer der rechtsextremen Mordserie. Guten Morgen, Frau John.

    Barbara John: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Frau John, nun wird also heute eine weitere Expertenkommission zum Thema Rechtsextremismus einberufen. Was versprechen Sie sich davon?

    John: Was ich mir zumindest davon verspreche, ist, dass die Unstimmigkeiten, die sogenannten Pannen, die nicht vorhandene Kommunikation zwischen vier sogenannten Diensten – wir haben ja da vier Geheimdienste, die sich um die Verfassung und um das Rechtsempfinden der Bürger kümmern, die nicht funktioniert haben. Aber ich finde, das ist alles zu wenig. Es geht nicht nur um Pannen, es geht natürlich auch um einen größeren Blick auf die Gesellschaft, wie kann es überhaupt dazu kommen, und ich denke, dass da diese Untersuchungskommissionen zwar in Ordnung sind, aber nicht ausreichend sind.

    Engels: Nun gibt es ja darüber hinaus schon zwei parlamentarische Untersuchungsausschüsse, einen in Thüringen, einen im Bund. Reicht das nicht, auch um die allgemeine gesellschaftliche Debatte anzustoßen?

    John: Ja, das könnte so sein. Aber ob es im Untersuchungsdesign vorgesehen ist, das ist bisher noch nicht klar, sondern auch hier geht es meistens darum, dass man die Mechanismen untersucht, die nun zwischen den verschiedenen Behörden geherrscht haben oder eben nicht geherrscht haben. Ich würde mir vorstellen, dass eine ganz unabhängige Kommission eingesetzt wird – was weiß ich, von der Bundesregierung, oder vom Bundespräsidenten -, die ähnlich wie das in England bei solchen Anlässen der Fall ist auch ganz unparteiisch da mal genau hinguckt und feststellt, was hier eigentlich los ist, dann auch Empfehlungen gibt. Das alles ist ja bei Untersuchungsausschüssen dieser Art nicht der Fall.

    Engels: Wie sollte dann eine solche Kommission, wie sie Ihnen vorschwebt, zusammengesetzt sein und welche Kompetenzen sollte sie haben, welche Akten sollte sie lesen dürfen?

    John: Ja das muss die Kommission natürlich selber bestimmen können. Aber es sollten hochrangige Vertreter sein, die sich mit Justiz, mit den Behörden, mit den Diensten auskennen, die sich aber auch mit politischen Fragen auskennen, was bedeutet es, ein Integrationsland zu sein, wie muss eigentlich eine moderne Polizeiarbeit in einem Integrationsland aussehen. Mein Eindruck ist, dass wir die Mindeststandards, die hier herrschen müssen, noch längst nicht erfüllen. Und das alles sollte dann auch in weitreichenden Empfehlungen gipfeln, die dann auch nachweisbar umgesetzt werden.

    Engels: Das klingt aber dann so, als ob sich dann wieder ein Gremium mehr mit Integrationsfragen beschäftigen würde. Das kann doch auch nicht die Zielrichtung sein, oder?

    John: Nein. Um Integrationsfragen geht es dabei natürlich nur ganz im Hintergrund, denn es geht darum, wie ein Land mit seinen großen wichtigen Institutionen – und dazu gehört die Sicherheitsarchitektur – nun auch umgeht mit den Einwanderern, aber was auch die Mehrheitsbevölkerung für Verpflichtungen hat, was Institutionen für Verpflichtungen haben. Und mein Eindruck ist, dass diese Untersuchungsausschüsse – vielleicht leisten sie es; ich würde mich ja darüber freuen -, aber so wie das angelegt ist, sehe ich das bisher nicht. Aber ich denke, das Institutionelle ist wichtig, aber nun wollen wir erst mal sehen, welche Ergebnisse sie bringen, das wissen wir ja alles nicht.

    Engels: Frau John, Sie sind Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der Opfer der rechtsextremen Morde. Wie kommen denn die bisherigen Aufklärungsversuche der Behörden oder eben jetzt auf parlamentarischer Ebene bei den Angehörigen selbst an?

    John: Mein Eindruck ist, sie kommen gar nicht an, und auch das ist eine große Lücke, die da entstanden ist. Ich weiß von Angehörigen, die haben aus der Zeitung gelesen, als im November bekannt wurde, dass diese Terrorzelle, diese narzisstische Zelle diese Morde ausgeführt hat. Das haben sie nicht von den Behörden erfahren, sondern das wussten sie schon zehn Tage lang, dann kam ein Brief. Also daran sieht man natürlich schon, wie die Kommunikation aussieht. Ich halte es für außerordentlich wichtig, gerade für Menschen, die eine Opferrolle annehmen mussten, dass sie immer einbezogen werden, dass sie auch selber Aussagen machen, wie damals mit ihnen umgegangen worden ist nach den Morden von der Polizei, die ja in die Familien gekommen ist, plötzlich waren die Familien nicht nur Opfer, sondern sie wurden auch für Täter gehalten zum Teil. Das alles muss mit aufgearbeitet werden. Die Familien sind in der Hinsicht noch allein gelassen.

    Engels: Verstehe ich Sie richtig, dass die Angehörigen bis heute nicht ausreichend über Ermittlungsergebnisse der Behörden informiert werden?

    John: So ist es. Nicht nur nicht ausreichend, sie werden meistens gar nicht informiert.

    Engels: Nun ist es so, dass ja nun auch seit Anfang Januar Zahlungen an die Angehörigen der Opfer ausgezahlt worden sind, von 5 bis 10.000 Euro ist da die Rede. Funktioniert das denn wenigstens wie geplant?

    John: Das läuft, da gibt es eine sehr gute zuständige Stelle, die dem Justizministerium angegliedert ist. Das geschieht auf Antrag. Es sind noch nicht alle Anträge da, es sind auch nicht alle mit Anträgen versorgt worden. Ich weiß das nun, weil ich eine sehr lange Checkliste an die Angehörigen geschickt habe, die kommen zurück, ich habe etwa fast 70 Menschen angeschrieben und 33 Antworten zurückbekommen. Daher weiß ich, was fehlt und was auch nicht fehlt. Also das läuft aber noch mit am besten.

    Engels: Sie haben eben erwähnt, dass jetzt natürlich viele Angehörige noch einmal stärker spüren, dass sie auch in einer Opferrolle sind. Wird denn da auch in irgendeiner Form Hilfsarbeit mit der Aufarbeitung im konkreten Einzelfall mit psychologischer Betreuung mittlerweile geleistet?

    John: Ja, das war auch schon früher der Fall, vorher der Fall. Natürlich nach solchen Verlusten, der Ehemann, der Bruder, der Vater, der Sohn wurde ermordet, sind einige, nicht alle, in eine psychologische Beratung gegangen, die dann auch bezahlt worden ist. Viele sagen mir aber, wir brauchen es weiterhin, gerade die neuesten Erkenntnisse haben uns wieder aufgewühlt. Für viele liegt das jetzt schon Jahre zurück, sie haben sich natürlich nicht daran gewöhnt, sind aber dabei, dieses furchtbare Geschehen in ihr Leben zu integrieren. Das ist jetzt natürlich erst einmal vorbei, weil sie wieder Rede und Antwort stehen müssen. Also da sind weitere Schritte natürlich notwendig. Oft stellt sich die Frage, wer bezahlt das jetzt.

    Engels: Sie sind im regelmäßigen Kontakt mit den Angehörigen. Welches ist und welches bleibt die Hauptfrage, die diejenigen umtreibt?

    John: Die Hauptfrage ist immer, wie konnte das passieren, wie konnte es geschehen, dass zehn Morde stattgefunden haben und es überhaupt keine Spur gab, dass eigentlich nur Kommissar Zufall dann zutage gefördert hat, dass es sich um rassistische Morde handelt, warum ist da nicht nach dem zweiten, dritten entsetzlichen Ereignis eine andere Spur eingeschlagen worden. Ich denke, das wird ja keiner von uns begreifen und das sind sicher auch Versäumnisse, die man sich genauer ansehen muss. Das ist die Hauptfrage. Aber wenn man einen geliebten Menschen verloren hat, steht natürlich der Verlust und der Schmerz und das Leid und die Trauer um diesen Menschen nach wie vor im Mittelpunkt.

    Engels: Bund und Länder werden heute eine Expertenkommission zum Thema Rechtsextremismus und zu den Hintergründen der rechtsextremen Mordserie einberufen. Welche Fragen vor allen Dingen die Angehörigen der Opfer umtreiben, besprachen wir mit Barbara John, sie ist die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Angehörigen der Opfer. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen, Frau John.

    John: Gerne, Frau Engels.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.