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Don Maurizio und die Paten

Im Norden Neapels lässt die Camorra riesige Müllberge anzünden, weil das einfacher und billiger ist, als den Sondermüll zu entsorgen. Anders als die Politiker prangert ein mutiger Priester diesen Missstand an.

Von Karl Hoffmann | 21.08.2012
    Immer wenn es Abend wird, dann beginnt für die Feuerwehrleute in Neapel der allnächtliche Kampf gegen die guochi, die Brände, die rings um die Millionenstadt gelegt werden.

    Hunderttausende von Bewohnern müssen Türen und Fenster schließen, um nicht von schwarzen Qualmwolken vergiftet zu werden.

    "Schon seit langer Zeit können wir nachts keine Fenster mehr öffnen Erst gestern Abend gab es hier einen Großbrand , schwarzer stinkender Rauch stieg auf, der in den Lungen sticht. Der dir den Atem nimmt, die Gesundheit und das Leben. Es ist völlig absurd. Sie nehmen uns auch noch die Luft zum Atmen weg, sie verdunkeln unseren Himmel."

    Empört steht Don Maurizio Patriciello in seiner Kirche. Ein hässlicher Zementbau aus den 80er-Jahren, der dem Apostel Paulus geweiht ist. Von außen gleicht er einer Festung, rundherum eine Palisade aus Eisenstangen, Ketten und Vorhängeschlösser. An den schweren Toren schützen den Bau vor Eindringlingen. Die Mafia macht auch vor Priestern nicht halt, wie Maurizio aus schmerzlicher Erfahrung weiß.

    "Don Peppino Diana, ein guter Freund von mir, wurde mitten in seiner Kirche erschossen , eine traurige Sache. Das war in Casal di Principe, dort wo der berüchtigte Clan der Casalesi herkommt, eine der blutrünstigsten und schlimmsten Mafiafamilien, die es hier gibt."

    Seit vielen Jahren machen die Casalesi rücksichtlos Geschäfte auf Kosten der Gesundheit aller. Im Norden Neapels sind die Krebsfälle auf europäische Spitzenwerte hochgeschnellt. Schuld sind die Feuer, der schwarze Tod, wie ihn Don Maurizio nennt, die gewaltige Dioxinmengen erzeugen, von denen seine Gemeindemitglieder krank werden und sterben.

    "Jede Nacht werden tonnenweise Autoreifen abgefackelt. Die muss die Mafia spurlos verschwinden lassen, 80 Prozent aller Autoreifen werden illegal zu uns gebracht und müssen also auch illegal verschwinden. Sie gehen in Rauch auf und der endet in unseren Lungen."

    Dazu kommen Hunderttausende von Tonnen giftiger Substanzen, die in Bächen und auf Feldern verklappt werden sowohl das Erdreich wie auch das Grundwasser auf Jahre hinaus verseuchen. Don Maurizio, 57 Jahre alt, schlank, groß gewachsen, Sohn aus armer Familie, der sich seit einigen Monaten den Kampf gegen die Müllmafia auf die Fahnen geschrieben hat, springt unversehens auf und läuft eilig in die Sakristei. Er kommt zurück, mit einem Foto in Postergröße in der Hand. Seine Empörung kennt nun keine Grenzen mehr:

    "Schau dir das mal an. Hier sieht man eine Schafherde, die in einem Müllhaufen grast. Eines der Schafe frisst grade ein Stück Styropor auf. Sämtliche Umweltschutzorganisation dieser Erde müssten da doch auf die Barrikaden gehen, anstelle eines einfachen Gemeindepriesters. Die UNO müsste da einschreiten. Man muss sich mal vorstellen, wer die Milch von diesen Schafen trinkt, ich würde nicht darauf schwören, dass die nur von Einheimischen verzehrt wird. Das ist doch schrecklich."

    Don Murizios sich überschlagende Stimme hallt beschwörend im Kirchenbau nach. Einen kurzen Augenblick hält er inne, dann zieht mit einem Ruck einen Umschlag aus seiner Hosentasche. Ein Lächeln gleitet über sein breites kräftiges Gesicht mit den buschigen schwarzen Augenbrauen. Es ist die Rückantwort des Einschreibebriefes, mit dem er Tausende von Unterschriften aus seiner Gemeinde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geschickt hat. Vielleicht erhört man dort sein Flehen und unternimmt endlich konkrete Schritte um die massenhaften Krebsfälle in der Umgebung von Neapel endlich zu stoppen.

    "Die Feuerwehr muss jeden Brand augenblicklich löschen und neue verhindern. Das ist das Erste. Zweitens muss man endlich wieder der Legalität zum Durchbruch verhelfen. Und zum Dritten muss die gesamte Gegend von Müll gesäubert werden. Die Feuerwehrleute löschen zwar die Feuer, aber dann fahren sie auch gleich wieder ab. Und zurückbleiben jede Menge giftiger Überreste der Brände."

    Don Maurizio geht voran aus der Kirche, sperrt sie hinter sich zu und dann macht er eine schnelle, unerwartete Handbewegung: "Auch wenn Du nicht an den Herrgott glaubst, mein Bruder, segnen tue ich dich trotzdem", sagt er. Dabei lächelt er schelmisch. Jedem kann unvermittelt etwas zustoßen, sagt er. Ob man nun mit dem Auto unterwegs ist oder sich mit der Camorra anlegt, er sehe da keinen großen Unterschied.