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Ebola
"Bundeswehr muss in Liberia helfen"

Die Weltgesundheitsorganisation und NGOs seien in Sachen Ebola mit ihrer Weisheit am Ende, sagte Rupert Neudeck, Gründer der Hilfsorganisation "Grünhelme", im DLF. Deshalb steige die Bedeutung der Armeen. Die Bundeswehr müsse mit ihrem großen Ärztebestand jetzt Hilfe in Liberia leisten.

Rupert Neudeck im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Rupert Neudeck, Gründer der Hilfsorganisation "Grünhelme"
    Rupert Neudeck, Gründer der Hilfsorganisation "Grünhelme" (dpa / picture-alliance / Britta Pedersen)
    Christoph Heinemann: Bei der Bekämpfung der entfesselten Ebola-Epidemie hat sich die Bundesregierung auf die Geschäftsidee eines nordeuropäischen Möbelhauses besonnen: „Wir liefern, Sie bauen auf." Zwei Flugzeuge sollen Material nach Monrovia in Liberia fliegen. Das wird in der liberianischen Hauptstadt dann ausgeladen, und dann fliegen die Flieger wieder nach Hause. Weitere Flüge werden geplant. Außerdem stellt Deutschland zwölf Millionen Euro für die Weltgesundheitsorganisation zur Verfügung. Vorher hatte Liberias Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf der Kanzlerin einen Brief geschrieben und sie auf die entsetzliche Lage im Land aufmerksam gemacht, oder vielleicht muss man sagen, aufmerksam machen müssen. Dazu soll es am Nachmittag auch ein Krisengespräch im Auswärtigen Amt geben, auch eben wegen der Kritik an der Nothilfe der deutschen Bundesregierung. - Rupert Neudeck ist Gründer der Hilfsorganisationen Cap Anamur und Grünhelme, jetzt bei uns am Telefon. Guten Tag.
    Rupert Neudeck: Guten Tag, Herr Heinemann!
    Heinemann: Herr Neudeck, kann man eine Epidemie vom Ausmaß der gegenwärtigen mit solchen Beiträgen wie den deutschen wirksam bekämpfen?
    Neudeck: Ich glaube, wir wissen immer noch überhaupt nicht, wie wir das überhaupt bekämpfen können, und deshalb bin ich ein bisschen zurückhaltend in der Kritik an der Bundesregierung. Die amerikanische Regierung hat ja auch vorgestern erst erklärt, dass sie mit Armeeangehörigen in Afrika, in einigen Ländern Afrikas helfen will. Ich denke, erst müssen wir positiv vielleicht sagen, dass bei dieser gewaltigen Katastrophe, die offenbar den gesamten Kontinent Afrika ja in Unruhe versetzt und möglicherweise die Welt, wenn wir einzelne Kranke auch in Europa haben, die über Flugzeuge hier herkommen, das Positive ist vielleicht, dass wir sagen müssen, zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte haben Armeen eine solche Bedeutung, dass sie wirklich die wichtigsten werden bei der Bekämpfung eines Problems.
    Wir erleben im Mittelmeer gegenwärtig, dass die italienische Marine über 80.000 Menschen, Flüchtlinge aus den Fluten des Meeres, gerettet hat, und wir erleben jetzt auch, dass die Weisheit der WHO, also der Weltgesundheitsorganisation, und alle medizinischen NGOs, also Nichtregierungsorganisationen, auch am Ende sind. Dies ist eine so furchtbare Pestkrankheit, die über den Kontinent hinwegrast, dass wir wahrscheinlich nur noch mit Armeen etwas dort machen können.
    Die Kritik ist natürlich richtig: Man kann nicht einfach dort das Material abladen, ein großes Hospital, ein Nothospital in Monrovia einrichten und dann eine Organisation suchen, die das vielleicht betreuen kann. Dafür muss nun schon die Bundeswehr mit ihrer Disziplin und mit ihrem ganz großen Ärztebestand, den sie hat - ich habe das mal erlebt 2005 bei der Flutkatastrophe, dem Tsunami in Indonesien; da kamen die Flugzeuge der Bundeswehr an mit einem ganzen Bataillon von Ärzten und das war eine ganz, ganz große Hilfe -, Ähnliches muss unter den sehr, sehr viel schwierigeren Bedingungen jetzt in Liberia auch passieren.
    "Große wichtige Tradition der Bundeswehrärzte"
    Heinemann: Genau das hat ja der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold gestern bei uns im Deutschlandfunk bestritten. Er hat gesagt, die Bundeswehr verfüge eben nicht über genügend Ärzte. Klingt das für Sie nach Ausrede?
    Neudeck: Das kann ich mir eigentlich gar nicht vorstellen. Aber wenn das so wäre, dann wäre das ja auch für die Existenz und die Gesundheitsvorsorge der Bundeswehrsoldaten eine große Katastrophe, und dafür tun wir ja alles, für Vorsorge für unsereinen, für unsere Soldaten. In Bosnien, im Kosovo, in Afghanistan wird ja alles gemacht. Jeder weiß das, der einmal die Chance hatte, in ein Bundeswehrhospital zu gehen. Da muss alles, wie man fachlich sagt, vorgehalten werden. Selbst Computer-Tomographen müssen überall in diesen Ländern sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese große wichtige Tradition der Bundeswehrärzte, der Bundeswehrgeneräle, der Bundeswehrobersten, dass die auf einmal jetzt zusammengebrochen sein soll, wenn wir uns aufmachen, wenigstens in ein Land, das von der Ebola so furchtbar getroffen ist und dabei ist, kaputt zu gehen, praktisch vor die Hunde zu gehen, wenn wir in ein Land mit Militärärzten gehen wollen.
    "Es muss jetzt richtig mit einem großen Aplomb etwas geschehen"
    Heinemann: Herr Neudeck, wie stellen Sie sich eine ideale Arbeitsteilung privater Hilfsorganisationen und staatlicher Strukturen vor, sodass nicht beide das gleiche tun?
    Neudeck: Das, glaube ich, ist überhaupt nicht die Gefahr, weil hier ist wirklich angesagt, dass etwas ganz, ganz Großes sofort aus dem Stand dort aufgebaut wird. Das kann eigentlich nur mit dieser großen Logistik, das kann eigentlich in einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland nur die Bundeswehr tun. Ob dann kleinere medizinische Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder wie Cap Anamur/Deutsche Notärzte, oder andere sich dann daneben daran beteiligen, das kann ich mir vorstellen. Aber es muss jetzt richtig mit einem großen Aplomb etwas geschehen. Ich denke auch, man muss klar sagen, diese Ärzte, diese Militärärzte, die da runtergehen sollten, was wir ja alle hoffen, die dürfen das nicht so lange machen. Das ist eine so anstrengende Arbeit, dass man einen Wechsel vorsehen muss von vier bis sechs Wochen, in dem die ausgewechselt werden. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass das auch bei den Hilfsorganisationen eine große Schwierigkeit darstellt, weil man einen Pool hat von Ärzten, die man eigentlich immer wenigstens für ein halbes Jahr rausschickt. Das muss alles ein bisschen geändert werden aufgrund der unglaublichen Strapaze, die eine solche Arbeit darstellt.
    Heinemann: Wäre ein solcher Einsatz für die Bundeswehr oder für Bundeswehrärzte auch gefährlich in Ländern mit Bürgerkriegsvergangenheit?
    Neudeck: Nein. Ich glaube, dass die Vergangenheit dieser Länder keine Gefahr darstellt. Das ist da eher auszuschließen. Die Gefährlichkeit der Epidemie liegt ja darin, dass es nicht wie bei der auch schon wahnsinnig gefährlichen Cholera-Epidemie die Isolation erfordert, sondern es sind zwei Dinge, die das Ganze so unglaublich schwierig machen. Das eine ist, dass es die Isolation allein nicht ist, sondern dass jeder, der dort als Helfer oder als Arzt, als Mediziner hinkommt, sich nur mit Schutzkleidung bewegen kann und die Berührung eines Kranken vermeiden muss. Das ist ja diese große Schwierigkeit, die wir haben bei dieser Form von Pest. Und das zweite ist, dass wir sehen müssen, dass diese Ärzte oder diese Mediziner dann auch ganz schnell wieder zurückkommen können. Wenn das medizinisch vorsichtig so geschieht, wie das in der Fachliteratur beschrieben wird, dann glaube ich nicht, dass es eine größere Gefahr darstellt, als sonst Militärärzte-Einsätze in Afghanistan oder im Kosovo oder woanders für die Bundeswehr.
    "Deutschland muss viel mehr tun"
    Heinemann: Der Bundespräsident, auch der Außenminister werben ja dafür, Deutschland müsse international mehr Verantwortung übernehmen. Sollte sich Deutschland da auf Nothilfe konzentrieren als Alternative zu politisch umstrittenen Militäreinsätzen und dann auch entsprechende Strukturen aufbauen?
    Neudeck: Ich fände das hervorragend, wenn wir uns darauf spezialisieren geradezu, denn die Vergangenheit hat ja gezeigt, dass das etwas ist, was die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem ausgebildeten Personal am besten kann in solchen Katastrophen. Ich habe eben schon erwähnt Indonesien, wo es einen ganz großen Einsatz der Bundeswehrärzte und der Strukturen und auch der Mittel der Bundeswehr gegeben hat, das war damals wirklich eine ganz, ganz wichtige Hilfe, die in Aceh, in diesem Teil von Indonesien, wo der Tsunami zuschlug, gewesen ist. Es sollte diese Bundeswehr sich darauf wirklich einstellen. Ich wäre auch der Letzte, der nicht einen Einsatz der Bundesmarine in der Folge der Mittel, die jetzt offenbar bei Italien zu Ende gehen bei der Rettung von Bootsflüchtlingen im Mittelmeer - da könnte man sich auch vorstellen, dass das eine europäische Serie wird und dass die Bundesmarine sich daran beteiligen wird. Wir könnten in diesem Bereich als Bundesrepublik Deutschland aufgrund unseres Wohlstands und unserer Bildungsverhältnisse sehr, sehr viel mehr tun, als wir bisher getan haben.
    Heinemann: Rupert Neudeck von der Hilfsorganisation Grünhelme. Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.