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"Ehe für alle" im Bundestag
"Die SPD verabschiedet sich mit einem großen Knall aus dieser Koalition"

Mit der für Freitag angesetzten Abstimmung über die "Ehe für alle" habe die SPD dieses wichtige Thema in unseriöser Weise für ihre Wahlkampfzwecke ausgenutzt, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Kretschmer, im Dlf. Auch darüber werde im September abgestimmt.

Michael Kretschmer im Gespräch mit Sarah Zerback | 28.06.2017
    Michael Kretschmer, Generalsekretär des CDU-Landesverbandes Sachsen
    Michael Kretschmer, Generalsekretär des CDU-Landesverbandes Sachsen (imago stock&people)
    Sarah Zerback: Und am Telefon begrüße ich jetzt Michael Kretschmer, Vizechef der Unions-Bundestagsfraktion und Generalsekretär der CDU in Sachsen. Guten Morgen, Herr Kretschmer.
    Michael Kretschmer: Guten Morgen.
    Zerback: Wissen Sie heute Morgen noch, in welcher Partei Sie eigentlich sind?
    Kretschmer: Ja, ziemlich genau. CDU und CSU sind die einzige Partei, die bei dem Thema Ehe eine klare Haltung haben, und das wird am Freitag auch deutlich werden.
    Zerback: So klar klang das aber nicht, als die Kanzlerin sich am Montagabend geäußert hat.
    "Rot-Rot-Grün kapert den Begriff der Ehe"
    Kretschmer: Nein. Die Bundeskanzlerin hat das, glaube ich, ganz richtig gemacht. Sie hat eine gesellschaftliche Diskussion aufgegriffen, gesagt, da gibt es eine Debatte, die wir ja auch erleben. Alle Parteien außer der CDU/CSU haben sich dazu auch erklärt, dass sie das anders sehen, und wir werden darüber in Ruhe sprechen müssen. Und das ist genau das Gegenteil von dem, was wir am Freitag erleben werden. Richtig ist doch bei diesem Thema, dass man seriös darüber spricht, wie sich die Gesellschaft verändert, welche Erwartungen wir haben, was wir bereits alles geschaffen haben. Deutschland hat eine Form von Gleichbehandlung von homosexuellen Paaren und heterosexuellen Paaren, wie es besser nicht sein kann. Wir haben die Gleichberechtigung auch geschaffen, wir haben gleiche Rechtsnormen, wir brauchen da keine Veränderungen. Aber darüber kann man natürlich in Ruhe sprechen. Aber was wir am Freitag im Bundestag erleben, ist das Kapern des Begriffs der Ehe durch eine Verfahrensmehrheit von Rot-Rot-Grün, und das ist unseriös.
    Zerback: Und – ich wiederhole es noch mal – ausgelöst von einer Aussage der Kanzlerin. Fühlen Sie sich da von Angela Merkel überrumpelt?
    Kretschmer: Nein, in keiner Weise. Natürlich muss über dieses Thema gesprochen werden. Das tun wir ja auch regelmäßig. Und wenn ein Thema in der Gesellschaft ein Thema ist, muss auch CDU/CSU darüber sprechen. Aber das ist nicht das, was wir hier erleben. Die SPD nutzt dieses sehr wertvolle Thema, wo es ja nicht grundsätzlich um einen Begriff geht, sondern darum, wie wir in unserer Gesellschaft zusammenleben wollen, welche Normen, welche Erwartungen wir aneinander haben, wie wir mit unterschiedlichen Lebenssituationen umgehen, für Wahlkampfzwecke. Das ist genau das Gegenteil von dem, was die Kanzlerin gesagt hat, die ja deutlich gemacht hat, es ist ein Thema, was es in der Gesellschaft gibt, mit unterschiedlichen Positionen. Ich möchte nicht, dass es Diskriminierung gibt, aber es kann doch nicht sein, dass wir als CDU/CSU, die wir jetzt auch Bedenken bei diesem Thema haben, alle als homophob oder als reaktionär beschimpft werden. Was ich in den letzten Stunden erlebt habe, auch in den sozialen Netzwerken, ist unterirdisch!
    Zerback: Was spricht denn aus Ihrer Sicht dagegen, gleiches Recht für alle dort einzuführen?
    "In Deutschland kann jeder nach seiner Fasson glücklich werden"
    Kretschmer: Wir haben ein gleiches Recht für alle. Es gibt keinen Unterschied mehr. Es gibt nur noch einen Unterschied, das ist die Adoption, und das ist gerade auch ein schlechtes Thema, jetzt dieses Thema mit dem Begriff der Ehe zusammenzubringen.
    Zerback: Es ist nicht nur die Adoption, es ist auch einfach eine andere Begrifflichkeit. Die Ehe ist im Moment noch nicht zu schließen zwischen Schwulen und Lesben.
    Kretschmer: Nein. Es gibt für Mann und Frau das Konstrukt der Ehe, das Rechtskonstrukt, und es gibt für Männer und Frauen, die nicht miteinander verwandt sind und eine lebenslange Partnerschaft eingehen wollen, die gleichgeschlechtliche Beziehung, und das ist eine tolle Sache. Es gibt darüber hinaus in Deutschland Akzeptanz und Toleranz für diese unterschiedlichen Lebenssituationen, Lebensentwürfe, Beziehungen, und das ist ein hoher Wert. Man kann wirklich sagen, in Deutschland kann jeder nach seiner Fasson glücklich werden, und durch diese, wie ich finde, absolut unseriöse Art der SPD, dieses Thema jetzt aufzusetzen, wird auch dieser Konsens wieder aufgerissen. Man merkt ja auch an den Reaktionen, die wir hier erleben, wie Menschen enttäuscht sind, auf der einen Seite sich fragen, habt ihr keine wichtigeren Themen, auf der anderen Seite, was soll das, wo soll das noch enden, auf der anderen Seite der Vorwurf an uns, rückwärtsgewandt zu sein. Ich glaube, so kann man mit diesem Thema, mit diesem wichtigen Thema nicht umgehen.
    Zerback: Aber, Herr Kretschmer, ist es nicht so: Es mag vielleicht ein Minderheitenthema sein, das nur ein paar zehntausend gleichgeschlechtliche Paare aktuell in Deutschland betrifft, oder eine Minderheit der Schwulen und Lesben. Und doch kann man sich ja fragen, warum schließen Sie diesen Teil der Bevölkerung aus. Schwächen Sie damit nicht die liberale demokratische Gesellschaft?
    "Man kann über alles reden, das macht man aber in Ruhe und Seriosität"
    Kretschmer: Ich kann das nicht erkennen. Die Rechtsnormen für die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft sind identisch, bis auf den Begriff, und das Thema Adoption und zudem der Ehe.
    Zerback: Ist aber vielen wichtig, wenn ich das noch mal einwerfen darf, eben den Betroffenen.
    Kretschmer: Die Ehe ist in Deutschland, in Europa eine Verbindung von Mann und Frau, und das über einen sehr, sehr langen Zeitraum.
    Zerback: In Europa, das stimmt ja nicht. Da kann ich Ihnen ein paar Länder nennen. Auch die katholischen Iren sind mittlerweile davon abgerückt. Frankreich ist davon abgerückt. Und die rechtliche Grundlage, die müssen Sie mir natürlich auch noch mal erklären. Wo steht denn, dass die Ehe zwischen Mann und Frau geschlossen werden muss?
    Kretschmer: Das ist die Tradition, das ist die Geschichte Deutschlands, und wenn man das ändern will, dann kann man über alles reden. Da hat die Kanzlerin auch vollkommen recht. Aber das macht man dann in einer großen Ruhe und Seriosität und nicht als großes Überrollmanöver kurz vor dem Ende der Legislaturperiode.
    Zerback: Aber dann halten wir fest: Tradition ist nicht gleich Recht, Herr Kretschmer.
    "Die SPD macht mit diesem Thema ein Wahlkampfthema"
    Kretschmer: Das Recht ist doch ganz klar. Wenn Sie in das Gesetzbuch schauen, werden Sie feststellen, dass die Rechte und Pflichten nahezu identisch sind. Es gibt diese zwei Punkte, das eine ist die Frage, wie man dieses Konstrukt nennt, und das andere ist die Frage, die mit der Adoption zu tun hat. Deswegen gibt es da auch keine Diskriminierung. Es ist aus meiner Sicht eine gute Lösung, die wir in Deutschland haben, die auch eine große Akzeptanz hat und von denjenigen, die mit dem Thema wenig zu tun haben, toleriert wird, und das ist ein ganz, ganz hoher Wert. Wenn man darüber hinausgehen möchte, finde ich, gehört eine ruhige seriöse Diskussion dazu. Die kann man auch führen. Aber das, was wir jetzt in dieser Woche erleben werden, ist das Gegenteil und ich glaube, dass das von denen auch in der Union im Übrigen, die da offener sind, als etwas ganz Unangenehmes empfunden wird, und deswegen wird das Signal am Freitag von CDU und CSU ganz, ganz deutlich sein.
    Zerback: Einmal noch mal eingeworfen: Eine große Mehrheit der Bevölkerung ist dafür, nicht dagegen, wie Sie gerade gesagt haben, und jetzt würde ich noch mal ganz kurz gerne wissen wollen, warum ist das Thema unangenehm für viele in der Union. Das habe ich noch nicht ganz verstanden.
    Kretschmer: Ein großer Teil der Bevölkerung ist der Meinung, dass es keine Diskriminierung geben soll. Sie erleben – und das finde ich eine richtige Beobachtung, die ich auch sehr hoch wertschätze, die übrigens auch in der Union wertgeschätzt wird -, dass es Verbindungen von zwei Frauen und zwei Männern gibt, die füreinander Verantwortung übernehmen, die eine lebenslange Verbindung treffen, die wunderbar miteinander umgehen, und es ist gut, dass es das gibt, und das wird auch in der Union sehr gewertschätzt. Ob man das den Begriff der Ehe nennen muss, ob man diesen Begriff jetzt kapern muss, darüber gab es keine Abstimmung und dafür gibt es auch keine Analysen, und ich finde, mit diesem Thema sollte man ruhig umgehen und nicht so, wie wir das gerade erleben. Das ist das, was in der Union viele beschwert. Hier geht es auch darum, dass wir eine Vereinbarung haben in dieser Koalition, wie wir miteinander umgehen. Die SPD nutzt jetzt die Mehrheit im Deutschen Bundestag, die eine rot-rot-grüne Mehrheit ist, und macht in der letzten Sitzung dieser Legislaturperiode sich mit diesem Thema ein Wahlkampfthema, und das ist aus meiner Sicht nicht in Ordnung.
    Zerback: Es ist doch so: Da hat Martin Schulz erstmals eine klare rote Linie jetzt im Wahlkampf gezogen, und da fällt die CDU um. Warum hat die Union sich denn da so treiben lassen?
    "Dieses unseriöse Verhalten darf nicht durchgehen"
    Kretschmer: Wir haben eine Vereinbarung und diese Vereinbarung heißt, dass wir in der Koalition gemeinsam abstimmen, dass wir uns gemeinsam darüber vereinbaren. Die SPD hat sich von diesem Konsens wegbewegt, das nehmen wir zur Kenntnis.
    Zerback: Die Kanzlerin hat sich darüber nicht beschwert, wenn ich das noch mal sagen darf.
    Kretschmer: Doch. Es ist eine klare Ansage auch vonseiten der Fraktionsführung gewesen, dass wir wenn dann gemeinsam agieren. Das passiert jetzt nicht und deswegen wird am Freitag darüber abgestimmt werden und wir werden dann das Ergebnis sehen. Und ich sage Ihnen voraus, dass wir ein ganz deutliches Ergebnis bekommen, und zwar aus zwei Gründen: Einmal, weil der Begriff der Ehe, der Schutz von Ehe und Familie für uns ein wichtiges Thema ist, weil wir die Spaltung der Gesellschaft an diesem Thema nicht wollen, auch zum Schutz derjenigen, die in einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft leben, und als dritter Grund, weil dieses unseriöse Verhalten nicht durchgehen darf. Die SPD verabschiedet sich mit einem großen Knall aus dieser Koalition und die Wählerinnen und Wähler werden auch darüber im September abstimmen.
    Zerback: Und wenn am Freitag nun abgestimmt wird, werden wir nach dieser Abstimmung auch wissen, wer da welche Position vertreten hat? Die SPD fordert ja eine namentliche Abstimmung. Gehen Sie da mit?
    "Für das Thema ist das nicht gut"
    Kretschmer: Ja, natürlich wird es eine namentliche Abstimmung geben.
    Zerback: Da haben Sie kein Problem mit, das dann auch offen zu sagen?
    Kretschmer: Das wird so sein und darüber freue ich mich auch, dass dann auch ganz deutlich ist, wer wie abgestimmt hat. Es wird mit Sicherheit eine Reihe von auch Erklärungen geben. Aber für das Thema ist das nicht gut. Das ist eine Sache, die man mit mehr Anstand, Ruhe und Seriosität bearbeiten muss.
    Zerback: … sagt Michael Kretschmer. Er ist der Vizechef der Unions-Bundestagsfraktion. Besten Dank für Ihre Zeit heute Morgen im Deutschlandfunk, Herr Kretschmer.
    Kretschmer: Bitte schön!
    Zerback: Schönen Tag noch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.