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Einsatz von Atomwaffen
"Kein Staat wäre in der Lage, mit den Folgen umzugehen"

Es gebe das Risiko, dass Terroristen oder Kriminelle nukleares Material in die Hände bekommen, sagte die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen, Agnieszka Brugger, im DLF. Die Sicherung von Waffen sei aber immer nur zweitbeste Option. Je weniger Atomwaffen es gebe, desto sicherer sei das für die Welt.

Agniezska Brugger im Gespräch mit Jochen Spengler | 31.03.2016
    Agnieszka Brugger von den Grünen
    Terroristische Organisationen würden versuchen, in den Besitz von nuklearem Material zu gelangen. Das zeige, wie dringend dessen Sicherung sei, so Agnieszka Brugger. (dpa / picture-alliance / Michael Kappeler)
    Brugger bezeichnete die Gefahr, dass Terroristen schmutzige Bomben hätten - also konventionelle Sprengsätze, bei deren Explosion nukleares Material verbreitet wird, für größer als die von klassischen Atombomben. "Aber es wäre natürlich verheerend", so Brugger - eine massive psychologische Auswirkung. Viele Staaten hätten darauf hingeweisen, dass, wenn Atomwaffen eingesetzt werden, kein Staat in der Lage wäre, mit den Folgen umzugehen.
    Erwartungen an Geheimdienste
    Die Internationale Atomenergiebehörde verweise darauf, dass es jedes Jahr die Entwendung von nuklearem Material gebe. Terroristische Organisationen würden versuchen, in dessen Besitz zu gelangen. Das zeige, wie dringend dessen Sicherung sei. Deshalb sei der Nukleargipfel, der heute und morgen in Washington stattfindet, "gut und wichtig".
    Von den Geheimdiensten erwarte sie Informationen über den Handel mit nuklearem Material und über mögliche Gefährder. Dies sei ihr originärer Auftrag und nicht, Bürger auszuspionieren, so die Grünenpolitikerin.

    Das Interview in voller Länge:
    Jochen Spengler: Das war aus Wien Ralf Borchardt über die Internationale Atomenergiebehörde, die vor atomarem Terrorismus warnt. Irgendwie müssen wir ja, jeder, mit der Angst vor einem Terroranschlag umgehen, und ein Argument, das auch ich mir zu eigen gemacht habe, lautet: Die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Verkehrsunfalls zu werden, ist ungleich größer als die, Opfer einer Terrorattacke zu werden. Also, nicht verrückt machen lassen. Doch was ist, wenn die Terroristen wirklich schmutzige Bomben bauen sollten, ihren konventionellen Sprengstoff mit nuklearem oder chemischem Material versetzen? Dann bekämen Anschläge eine neue Dimension. Wie groß ist diese Gefahr überhaupt, und wie kann man sie verringern? Unter anderem darüber spricht man heute auf dem Atomgipfel, zu dem US-Präsident Obama nach Washington geladen hat. Am Telefon begrüße ich nun Agnieszka Brugger. Sie ist die Sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen, und deren Obfrau im Verteidigungsausschuss. Guten Morgen, Frau Brugger!
    Agnieszka Brugger: Guten Morgen!
    Spengler: Wie groß ist die Gefahr, dass Terroristen vom Schlage des IS atomares Material in die Hände fällt?
    Brugger: Es gibt natürlich ein Risiko, dass auch Terroristen oder Kriminelle nukleares Material in die Hände bekommen. Dabei ist die Gefahr wahrscheinlich größer, dass es sich da eher um schmutzige Bomben handelt als um eine klassische Atombombe. Aber sie wäre natürlich verheerend, und es hat eine massive psychologische Auswirkung. Und gleichzeitig haben sehr viele Staaten in den letzten Jahren darauf hingewiesen, wenn Atomwaffen in irgendeiner Form von irgendwem aus welchen Gründen auch immer eingesetzt werden würden, wäre eigentlich kein Staat wirklich in der Lage, mit den Folgen umzugehen. Und ich glaube, das sollte uns alle viel Anlass zum Nachdenken und vor allem auch zum Handeln geben, und da geht es einerseits um die Sicherung des nuklearen Materials, das es heute auf der Welt gibt, auf der anderen Seite muss es aber auch um Abrüstung gehen.
    Terroristen wollen an nukleares Material gelangen
    Spengler: Nun haben ja die Terroristen in Belgien offenbar den Direktor des Nuklearforschungszentrums dort mit einer Videokamera ausspioniert. Das zeigt doch, dass sie hinter dem atomaren Material her sind, oder nicht?
    Brugger: Auch die Internationale Atomenergiebehörde verweist darauf, dass es jedes Jahr die Entwendung von nuklearem Material gibt und es ist auch über die Jahre hinweg schon bekannt, dass verschiedene terroristische Organisationen durchaus auch versuchen, in den Besitz von nuklearem Material zu gelangen. Der aktuelle Vorfall in Belgien ist das eine, aber auch Al-Kaida hat immer wieder versucht, nukleares Material in ihre Hände zu bekommen. Und gerade das zeigt ja, wie dringend es ist, hier zu handeln, wie dringend es ist, hier im Bereich der Sicherung von Nuklearmaterial mehr zu tun, und deshalb ist auch dieser Gipfelprozess so wichtig und so gut an dieser Stelle gewesen. Gleichzeitig ist die Gefahr, glaube ich, größer, dass beispielsweise chemische Kampfstoffe in die Hände von terroristischen Organisationen kommen, weil sie leichter zu beschaffen sind, und auch hier gibt es leider ja einige Anhaltspunkte, dass Terrororganisationen wie der IS bereits über solche Stoffe verfügen könnten.
    Spengler: Ja, es gibt tatsächlich Untersuchungen, wonach der IS vor einem Jahr gegen Kurden Granaten mit Senfgas eingesetzt hat. Im Internet gibt es auch Anleitungen zum Bau von solchen chemischen Waffen. Finden Sie es gut, dass die US-Luftwaffe Anfang des Monats mehrere Angriffe gegen Chemiewaffenlabore des IS geflogen ist?
    Brugger: Es geht natürlich vor allem darum, die Materialien, die es jetzt auf der Welt schon gibt, zu sichern, und natürlich auch zu verhindern, dass terroristische Organisationen sie auch einsetzen können. Man hat ja auch beispielsweise das Assad-Regime darauf verpflichtet, seine Chemiewaffen zu vernichten und das in einem internationalen Prozess auch umgesetzt. Wir haben jetzt, also die Grünen, den Krieg in Syrien aus verschiedenen anderen Gründen kritisiert, aber grundsätzlich sind natürlich, dass, wenn ein Krieg stattfindet, solche Ziele auch diejenigen, die dann bombardiert werden, damit Terroristen solche Stoffe auch nicht gegen die Zivilbevölkerung einsetzen können.
    "Sicherung ist immer nur die zweitbeste Option"
    Spengler: Also das würden auch Sie als Grüne sagen, es ist ein legitimes Mittel?
    Brugger: Wir haben ja den Krieg an sich aus verschiedensten Gründen kritisiert, beispielsweise mit der fehlenden Strategie oder dem fehlenden klaren UN-Mandat. Deshalb ist es denn jetzt auch schwierig zu sagen, das finde ich jetzt grundsätzlich richtig. Aber natürlich muss man alles dafür tun, dass terroristische Organisationen nicht mit solchen Mitteln dann auch die Zivilbevölkerung noch schlimmer terrorisieren können als jetzt ohnehin schon.
    Spengler: Frau Brugger, wir haben das eben im Bericht gehört. Es werden jährlich mehr als 150 Fälle aufgedeckt, in denen mit nuklearem oder chemischem Material gehandelt wird. Was tun wir wirklich konkret dagegen? Reicht es, wenn die Sicherheits- und Rettungskräfte, wie es offenbar auch in Deutschland geschieht, sich auf so ein Szenario vorbereiten, dass tatsächlich solche Stoffe irgendwann terroristisch eingesetzt werden?
    Brugger: Es ist natürlich der erste Schritt, dafür zu sorgen, dass, wo dieses Material existiert, es gut gesichert wird mit verschiedenen Möglichkeiten, eben da auch den Kontakt zu unterbinden, Kontrollmöglichkeiten, dass man versucht, Staaten, die vielleicht über nicht so viele finanzielle Mittel und technologische Fähigkeiten verfügen, gerade auch in diesen Fragen zu unterstützen, also wo Kernmaterial zivil oder auch militärisch genutzt werden muss, ist das viel Potenzial nach oben, und da ist dann auch in den letzten Jahren über diesen Gipfelprozess auch einiges passiert. Aber gleichzeitig muss man sich auch klar machen, Sicherung ist eben immer nur die zweitbeste Option. In einer Welt, in der es wahrscheinlich 17.000 Atomwaffen gibt, ist auch ganz klar, je weniger es davon gibt, desto sicherer wird die Welt. Und deshalb müsste es einen solchen Prozess wie hier bei der nuklearen Sicherheit mit diesem Gipfel auch eigentlich für die nukleare Abrüstung geben, denn nur, wenn diese Waffen vernichtet werden, sinkt auch massiv das Risiko, dass sie eben in die falschen Hände geraten.
    Spengler: Ja, nur scheint mir das noch schwerer zu erreichen, als tatsächlich das Material zu sichern. Stimmen Sie denn zu, dass vor allem Aufklärung vor allem auch durch Geheimdienste helfen kann?
    Brugger: Natürlich ist es wichtig, dass man Informationen darüber hat, welche Organisationen versuchen, in den Besitz von Technologien und Material zu gelangen, und das ist ja eigentlich die originäre Aufgabe der Geheimdienste, und eben nicht, die eigenen Bürgerinnen und Bürger auszuspähen oder befreundete Staaten.
    Geheimdienste sollen nicht eigene Bevölkerung ausspionieren
    Spengler: Also müssten die Grünen ihre traditionelle Vorsicht oder ihre Bedenken gegenüber den Geheimdiensten auch ein bisschen überdenken?
    Brugger: Wir haben ja sehr stark kritisiert, was beispielsweise im Rahmen der ganzen NSA-Affäre passiert ist, wo Bürgerrechte verletzt werden, aber der originäre Auftrag von Geheimdiensten ist ja, genau solche Dinge aufzudecken, darüber Informationen zur Verfügung zu stellen, und ich finde, die Geheimdienste sollten sich auch auf diese wichtige Kernaufgabe zurückbesinnen und nicht sozusagen die befreundeten Staaten und die eigene Bevölkerung ein Stück weit ausspionieren.
    Spengler: Und die Grünen sind auch bereit dafür, die Geheimdienste materiell gut genug auszustatten?
    Brugger: Wie gesagt, wir finden, dass die Geheimdienste sich genau auf diese Aufgaben konzentrieren sollten. Mein Eindruck ist, ich darf da natürlich nicht im Detail darüber sprechen, dass es da durchaus auch eben Informationen und Hinweise gibt, die dann auch aufgedeckt werden, und das ist natürlich auch ein wichtiger Aspekt, der dazugehört, wenn man solche Vorkommnisse unterbinden will und verhindern will, dass auch Kriminelle oder Terroristen in den Besitz von schmutzigen Bomben oder gar Atomwaffen kommen.
    Spengler: Nun haben die Terroranschläge in Belgien uns gelehrt, dass Deutschland nicht zu den fünf von 28 EU-Staaten gehört, die die Erkenntnisse ihrer Sicherheitsbehörden teilen und austauschen. Warum eigentlich nicht?
    Brugger: Natürlich muss man jetzt auch nicht nur angesichts der Vorfälle in Belgien, der schrecklichen Terrorattentate noch mal prüfen, inwiefern die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden verbessert werden kann und wo es da konkrete Defizite gegeben hat. Das ist aber auch ein Prozess, den unsere Innenpolitiker im Bundestag sehr intensiv angehen und begleiten. Man muss aber natürlich immer wieder die Waage halten auch bei den Maßnahmen, die dann diskutiert werden. Ich finde es manchmal unerträglich, wie kurz nach solchen schrecklichen Attentaten gleich wieder die nächsten großen Forderungen laut werden, Sicherheitsgesetze zu verschärfen, teilweise auch Bürgerrechte und Datenschutz dafür zu opfern und am Ende oft klar ist, dass das alles gar nicht mehr Sicherheit bringt. Deshalb glaube ich, müssen hier die Experten hinschauen und sich genau überlegen, wo man an bestimmten Stellen dann auch die Sicherheit und den Informationsaustausch verbessern kann und verbessern muss.
    Spengler: Ich verstehe Sie richtig, dass Sie nicht unbedingt dafür sind, dass die 28 EU-Staaten ihre Erkenntnisse in Sachen Terrorismus bedingungslos austauschen?
    Brugger: Sie sollten natürlich Informationen austauschen, und es ist ja auch in den letzten Monaten immer wieder vorgekommen, dass Hinweise anderer Geheimdienste dazu geführt haben, dass Vorbereitungen zu bestimmten Attentaten in anderen Ländern aufgedeckt wurden, und das muss man natürlich intensivieren, und da muss man natürlich auch diese Informationen miteinander teilen.
    Spengler: Worte von Agnieszka Brugger, der Sicherheitspolitischen Sprecherin der Grünen. Frau Brugger, herzlichen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag noch!
    Brugger: Sehr gern, wünsche ich Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.