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Ende der ETA
Schlussstrich in Schlangenlinien

Die ETA-Terroristen haben ihre Organisation zwar aufgelöst und der Gewalt abgeschworen, ihr Ziel der baskischen Unabhängigkeit wollen sie aber nicht aufgeben. Trotzdem spricht vieles dafür, dass dem Baskenland kein Katalonien-Szenario bevorsteht.

Von Hans Günter Kellner | 04.05.2018
    Gedenken in Madrid am 12. Juli 2017 an die Entführung und Ermordung des ehemaligen Stadtrats Miguel Angel Blanco vor dem Rathaus, durch baskische Separatisten vor 20 Jahren
    Im Zentrum der politischen Debatte steht heute die Frage, wie der letzten 50 Jahre künftig zu gedenken sein wird. (AFP/Pierre Philippe Marcou)
    Josu Urrutikoetxea, besser bekannt unter seinem Aliasnamen Josu Ternera, verliest das lange erwartete Kommuniqué der ETA. Der 67-Jährige Mann verkündet die Auflösung der Organisation, obwohl er immer noch von der spanischen Polizei gesucht wird.
    Auch der baskische Journalist Luis Aizpeolea hat sich diese Erklärung angesehen, auch für ihn persönlich ist das Ende der ETA ein Schlussstrich. Seit Jahrzehnten berichtet er über die Terrorgruppe, ihr Umfeld, ihre Opfer - zunächst schrieb er für baskische Regionalzeitungen, inzwischen für El País, die auflagenstärkste politische Tageszeitung Spaniens. Aus seiner Sicht kommt das Ende der ETA sehr spät:
    "Die ETA wurde besiegt. Sie hat die Waffen niedergelegt, ohne irgendein Ziel zu erreichen - nicht einmal Hafterleichterungen für ihre 300 Mitglieder in den spanischen und französischen Gefängnissen. Darüber gab es zuletzt 2006 Verhandlungen mit dem sozialistischen Regierungschef Zapatero. Aber diese Verhandlungen hat die ETA selbst mit einem Anschlag auf den Madrider Flughafen torpediert. Seither war nicht einmal mehr an solche Gespräche zu denken."
    Die Opfer des "Schmutzigen Kriegs"
    Im Zentrum der politischen Debatte steht heute deshalb die Frage, wie der letzten 50 Jahre künftig zu gedenken sein wird. Umfragen zufolge wollen rund 40 Prozent der Basken die Vergangenheit am liebsten vergessen. Journalist Aizpeolea hingegen unterstreicht, es müsse aller Toten gedacht werden. Denn es gab nicht nur mehr als 800 Opfer des ETA-Terrors, sondern auch den sogenannten "schmutzigen Krieg" eines Teils der Sicherheitskräfte. Er forderte knapp 100 Todesopfer, schätzt Aizpeolea:
    "Man kann nicht sagen, der Staat habe das Gleiche gemacht, wie die ETA. Euskadi war nie Nordirland. Aber es wäre gut, wenn Spanien die Opfer des schmutzigen Kriegs anerkennt. Die beiden Basken Lasa und Zabala wurden von Polizisten ermordet, das ist gerichtlich festgestellt. Sie waren Opfer wie alle anderen. Nicht Opfer des Staats selbst, aber eines Teils der Sicherheitskräfte."
    An dieser Debatte beteiligt sich auch die ETA. In einer Botschaft vom April hat sie ihre Opfer und deren Familien zwar um Vergebung gebeten, aber auch erklärt, ihre Mitglieder hätten die Gewalt gleichsam vererbt bekommen, etwa durch die deutsche Bombardierung des baskischen Städtchens Guernica. Mit solchen Erklärungsmustern erscheint der Terrorismus als eine fast zwangsläufige Folge des spanischen Bürgerkriegs. Aizpeolea kann das nicht akzeptieren:
    "Es ist völlig unzulässig, dass die ETA behauptet, sie sei ein Kind der Bombardierung Guernicas durch die Luftwaffe der Nazis. Das war ein Unrecht, aber darauf kann sich die ETA nicht berufen. Mehr als 90 Prozent der Mordanschläge der ETA haben sich während der Demokratie oder während des Demokratisierungsprozesses Spaniens nach Francos Tod ereignet. ETA war keine antifaschistische, sondern eine totalitäre Organisation. Sie wollte die spanische Demokratie und die darin bestehende baskische Selbstverwaltung zerstören."
    Katalonien kein Modell für das Baskenland
    Am Ende waren Demokratie und baskische Autonomie jedoch stärker. Das Pro-Kopf-Einkommen Euskadis, wie die autonome Region auf Baskisch heißt, liegt deutlich über dem Durchschnitt der Europäischen Union. Die bürgerlichen baskischen Nationalisten verstärken darum auch die Zusammenarbeit mit der spanischen Regierung, unterstützen derzeit den Haushaltsentwurf der Regierung Rajoy. Im Gegenzug weitet Spanien die bestehende Steuerhoheit der Basken aus und erhöht die Renten. Kooperation statt Konfrontation:
    "Die Basken wollen keine Konflikte. Nach 50 Jahren Terrorismus wollen sie Ruhe - durchatmen. Sie genießen ihre Selbstverwaltung. Vor allem, wenn sie auf Katalonien blicken. Die große Mehrheit unterstützt die Regierungslinie, sich nicht wie die katalanischen Nationalisten in die Nesseln zu setzen. Der Weg, den der katalanische Nationalismus eingeschlagen hat, stößt in Euskadi auf keine Sympathie."