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Essener Bischof: Katholische Kirche steht vor einem Kulturwandel

Die Kernbotschaft zu Ostern sei, dass Altes verlassen werden müsse und Neues auf die katholische Kirche zukomme, sagt Franz-Josef Overbeck. Der Essener Erzbischof bringt traditionell am Karfreitag Bergbau und Kirche mit den Kreuzwegen auf der Halde zusammen.

Franz-Josef Overbeck im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Nicht nur die Katholiken schauen in diesen Tagen gleichermaßen irritiert, möglicherweise auch überrascht nach Rom, wo der Papst neue Akzente setzt – wir haben es gerade gehört. Er will ja die Kirche näher an die Menschen bringen, will, dass die Würdenträger auf ihre Privilegien auch hier und da verzichten.
    Wir wollen heute Morgen allerdings nicht nach Rom schauen, sondern auf die katholische Kirche im Ruhrgebiet. Dort gab es gestern einer langjährigen Tradition folgend den Kreuzweg auf die Halde – Sie haben richtig gehört: auf die Halde, also die Überreste des Bergbaus. Über all das wollen wir sprechen mit dem Ruhrbischof, der jetzt am Telefon ist, Franz-Josef Overbeck. Zunächst einmal schönen guten Morgen!

    Franz-Josef Overbeck: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Sie sind gestern auf die Halde gegangen – was ist das für ein Symbol?

    Overbeck: Das ist eine jetzt schon 18 Jahre währende Tradition, die Bischof Luthe, mein Vorvorgänger, begonnen hat mit Leuten aus dem Bergbau, um zu zeigen, dass Kirche und Arbeitswelt und Bergbau, die ja seit Langem gut miteinander auskommen hier in unserem Bistum, auch im Sinne von Frömmigkeit an wichtigen Tagen, an denen es um unseren Glauben geht, zusammengehören.

    Zurheide: Dann sind wir mitten im Ruhrgebiet – ein Ruhrbistum hat immer ganz besondere Herausforderungen: Armut, Arbeitslosigkeit, Strukturwandel, das sind Themen, die Sie eigentlich schon immer ganz besonders beschäftigt haben, sozusagen die Basis Ihres Bistums sind. Was heißt das für die katholische Kirche?

    Overbeck: Das Ruhrbistum selber ist ja gegründet worden, um eine Antwort zu geben auf die Montanindustrie, auf die Entwicklung der Industrialisierung schon des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts, und das ist großes Thema geblieben unseres Bistums seit Beginn. Als es gegründet wurde, starben die ersten Zechen. Ich habe gestern in der Predigt noch auf der Halde gesagt: Es ist angesagt, einen neuen Begriff von Solidarität zu entwickeln, um die Dinge nach vorne zu bringen, angesichts der Jugendarbeitslosigkeit wirklich aufzuhelfen und auch den Strukturwandel noch einmal neu zu bestehen. Wir können das angesichts der Turbulenzen der großen Firmen hier bei uns jetzt gut sehen.

    Zurheide: Und wenn Sie da oben auf der Halde stehen, können Sie zwar nicht ganz bis nach Bochum gucken zu Opel – was sagen Sie den Opelanern, die dort fürchten müssen, dass das Werk geschlossen wird, die in ihrer Wut dann auch Gespräche ja abgelehnt haben? Haben Sie Verständnis für solche Reaktionen?

    Overbeck: Ich habe immer schon davor gewarnt, nicht darauf zu achten, dass die Hälfte aller Verhandlungen etwas mit Psychologie zu tun haben, und vor allen Dingen deswegen mit Vertrauen. Und das Vertrauen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in die Leitung und Führung von Opel ist völlig zerstört, und das schon seit langer Zeit, und von daher kann ich verstehen, dass sie ihnen nicht mehr trauen. Jetzt allerdings ist es schon eine schwierige Lage, die auch die Solidarität der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des gesamten Opelkonzerns betrifft, wie wir ja deutlich sehen.

    Zurheide: Wie sehr muss sich und darf sich Kirche einmischen, wie sehr mischen Sie sich ein, oder sind Sie der Beobachter am Rande und dann der Seelentröster?

    Overbeck: Nein, das wäre nicht die richtige Rolle, die die Kirche hat. Natürlich sind wir Seelentröster für die Nöte der Menschen, auch in diesen Belangen, dafür sind ja ganz viele Priester und Seelsorger und Seelsorgerinnen da. Ich selber tue das auch und habe aber vor allen Dingen als Bischof auch eine in diesem Sinne politische Rolle, deutlich zu sagen, hier geht es um soziale Gerechtigkeit, hier müssen auch andere Formen von Verbindlichkeit und Verlässlichkeit hergestellt werden. Und da mische ich mich sehr konkret ein.

    Zurheide: Was müsste zum Beispiel in so einem konkreten Fall passieren? Dann lassen Sie uns das diskutieren, wo drängt der Bischof drauf? Dass den Menschen welche Perspektive gegeben wird in Bochum, wenn General Motors in Detroit sagt, das interessiert uns alles nicht?

    Overbeck: Das ist das Problem der Globalisierung, das habe ich auch schon mit den entsprechenden Verantwortlichen des gesamten Betriebes von Opel in Rüsselsheim besprochen und deutlich gemacht, dass ich sehr eindeutig auf der Seite der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und all derer stehe, die mit dieser Form von Unzuverlässigkeit und von Nichtsozialpartnerschaft und von Nichtachtung der Würde der Einzelnen nicht zusammengehen kann. Das ist das eine, was ich getan habe, das andere ist, eben auch unsere Leute vor Ort ermutigen, solidarisch zu sein mit den Nöten, das betrifft ja die vielen Leute in unseren Gemeinden, das betrifft die Priester, die zu Kreuzwegen der Solidarität aufgerufen haben. Ich habe auch ein Wort sehr deutlich gesagt gesagt zur Verlässlichkeit von Wirtschafts- und Finanzentwicklungen, die auch in solchen großen Firmen eine wichtige Rolle spielen, und da kann ich mich durchaus dann – und tue das auch – auf eine Auseinandersetzung mit anderen Wirtschaftssystemen einlassen. Das mag auch in Amerika so sein, auch wenn ich weiß, dass Sie das wenig interessiert, aber das ist nicht mein Maßstab.

    Zurheide: Jetzt haben wir vorhin gehört den Auszug aus der Bewerbungsrede des Papstes vor dem Konklave, der gesagt hat, wir müssen näher an die Menschen ran. Jetzt frage ich Sie mal: Lassen Sie ihre Limousine demnächst häufiger mal stehen und fahren dann U-Bahn, in Essen gibt es jetzt nicht so eine lange, aber vielleicht mit der Straßenbahn?

    Overbeck: Also eine Limousine habe ich nicht, ein Auto aber, in dem ich gut sitzen kann und von A nach B komme, und in einer Region wie dem Ruhrgebiet könnte ich vieles nicht tun, wenn ich immer mit der Straßenbahn und der Metro führe, dann würde ich nämlich die Hälfte der Zeit auf der Straße zubringen, das wäre wenig effizient. Ich glaube, ich lebe sehr angemessen, das kann jeder begucken, wie ich es tue. Das ist okay so.

    Zurheide: Aber muss die Kirche insgesamt – das ist ja das, was wir gerade diskutieren – ein Stück näher zu den Menschen? Sagen Sie, dass das insgesamt durchaus ein richtiger Appell ist, den wir aus Rom hören?

    Overbeck: Das ist sowieso ganz richtig, immer schon gewesen, ich habe ja selber denselben Vornamen wie der Papstname jetzt – Franziskus – und weiß von daher, welches Programm nicht nur mich persönlich und die Kirche auch immer schon bewegt, um gute Reformen auf den Weg zu bringen. Das hat der gute Franziskus von Assisi im 13. Jahrhundert auf eine eindrückliche, aber sehr herausforderungsvolle Weise geschafft. Es ist, glaube ich, heute eine schwierige Antwort zu geben: Wie sind wir näher bei den Menschen angesichts der pluralen Welt, den unterschiedlichen Perspektiven der Menschen und den so komplexen Problemen. Dass wir aber auf der einen Seite sehr deutlich nahe an den Einzelschicksalen sein müssen, ist mir sehr klar, und auf der anderen Seite habe ich Ihnen schon gesagt, was ich und wir – und das ist ja in langer Tradition – in unserem Ruhrbistum auf sozialer Gerechtigkeitsbasis tun.

    Zurheide: Sie führen im Bistum Essen seit einiger Zeit einen Dialog auch zu den kritischen Themen, wo die Kirche ja auch häufig unter Druck gerät: Wie geht man mit Wiederverheirateten um, die Frauenfrage, Homosexualität, wo die Kirche nicht mehr im Mainstream der Zeit liegt. Jetzt frage ich mal eher global: Dieser Dialog, was ist das? Ist mal nett, dass man drüber geredet hat, oder verändern sich auch bei Ihnen, merken Sie Positionen, wenn man sich einlässt auf solche Gespräche?

    Overbeck: Ein echter Dialog ist immer einer, der einen Lernprozess in Gang setzt, und das kann ich an mir und an vielen anderen sehen. Es hat nicht wenige gegeben, die mir und anderen unterstellt haben, wir würden so ein unverbindliches Reden, um einfach Ruhe haben zu wollen, auf den Weg bringen, das war von Anfang an nicht mein Anliegen und werde ich auch nicht tun. Und wer mich kennt, weiß, dass ich auch glaube, Dialog heißt Auseinandersetzung um die beste Lösung, und das ist immer der erste Schritt zur Veränderung. Und das gilt für alle Seiten, nicht nur für die Kirche.

    Zurheide: Jetzt frage ich Sie konkret, Ihr Blick auf Homosexualität hat sich verändert, gerade zu Beginn Ihrer Amtszeit gab es da öffentliche Auftritte, da sind Sie auch klar markiert worden in einem harten Wort gegen Homosexualität als Sünde. Hat sich da Ihre Haltung ein Stück verändert in diesem Dialog?

    Overbeck: Ich habe sehr verschiedene und auch jetzt immer wieder intensive Gespräche mit den Vertretern der Gruppen der Homosexuellen, der Lesben und Schwulen geführt. Das führt schon zu Veränderungen auf beiden Seiten, das stelle ich an mir fest, das stelle ich aber auch an vielen anderen fest, es ist die Nachdenklichkeit auf allen Seiten gewachsen.

    Zurheide: Was oder wie kann Kirche Dialog weiterführen, und wie muss sie ihn weiterführen? Es gibt andere Bistümer, wo der Dialog zu solchen Themen nicht geführt wird. Wo, glauben Sie, muss und wird katholische Kirche sich da verändern?

    Overbeck: Wir sind in riesigen Veränderungsprozessen, die wir auf der einen Seite bei gewissen Menschen, aber auch in gewissen Regionen langsamer laufen als in anderen, und wir in unserem Ruhrbistum haben eben all die Probleme, die uns immer auf den Nägeln brennen, dass wir jetzt sagen, wir gehen die nächsten Schritte. Ich glaube, dass wir in einem Kulturwandel stehen, wie wir ihn vielleicht vor 200 Jahren erlebt haben, als die Kirche einmal ganz neu wurde. Das geschieht jetzt auch wieder, und da habe ich mit ganz vielen anderen die innere Sicherheit, dass wir den richtigen Weg gehen. Und das ist auch übrigens ein sehr geistlicher, will sagen, also wirklich mit Gott verbundener Weg.

    Zurheide: Sie haben mal davon gesprochen, dass manche die Worte benutzt haben, es gibt so eine Art Pogromstimmung gegen katholische Kirche, da haben Sie gesagt: Wir müssen als katholische Kirche auch aufpassen, dass wir durch manche Worte nicht diese Stimmung beflügeln. Was haben Sie damit gemeint?

    Overbeck: Gewisse Worte sollen gewissen Wirklichkeiten reserviert bleiben. Ein Pogrom ist eine äußerst schreckliche Wirklichkeit, die wir in Deutschland ja auch kennen. Wir müssen uns – und darum habe ich das deutlich gesagt, dass ich gegen solche Worte bin – der pluralen Wirklichkeit, natürlich auch den Aggressionen stellen, die ungerecht sind, das dürfen wir und müssen wir auch klar benennen, aber in der Wortwahl klar bleiben, dass wir im scharfen Wind einer Auseinandersetzung mit vielen anderen Meinungen, mit Gegenmeinungen stehen, aber gar keinen Grund haben, uns dem nicht zu stellen, sondern auch da positiv hineingehen können. Und das ist mein Petitum, das ist mein Wille, sich so in der Gesellschaft zu positionieren.

    Zurheide: Was erwarten Sie noch vom Papst, was ist Ihre Osterbotschaft, und was werden Sie aus Rom hören?

    Overbeck: Franziskus wird seine eigene Botschaft, mit der er angetreten ist, eine arme Kirche für die Armen zu sein, viele Zeichen setzen können, die Menschen aufrütteln – das gilt auch gerade für Europa und für Deutschland. Ich selber habe es gestern schon gesagt, zur Wichtigkeit, die Armut zu sehen, gehört es, Solidarität zu üben, eine neue Kultur der Solidarität ist mir wichtig, und an Ostern selber werde ich sagen, da gehört es zu den großen Texten vom Durchzug der Israeliten durch das Rote Meer zu reden. Das sind ja Übergänge in ganz neue Welten, Altes muss verlassen werden, und Neues kommt auf uns zu, und das gilt von Ostern, und das ist eine Botschaft, die trifft mitten im Kern, und auf die Probleme unserer Zeit, und das werde ich sagen. Das wünsche ich auch allen, Mut zu solchen Veränderungen und Übergängen.

    Zurheide: Das war der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck. Herr Overbeck, ich bedanke mich für das Gespräch!

    Overbeck: Bitte schön, Herr Zurheide, frohe Ostern auch Ihnen!

    Zurheide: Danke schön!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.