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EU-Afrika-Gipfel
"Wir brauchen eine Partnerschaft auf Augenhöhe"

Die Flüchtlingstragödie im Mittelmeer müsse beendet und faire Handelsbeziehungen aufgebaut werden, forderte die Grünen-Parteichefin Simone Peter vor dem EU-Afrika-Gipfel in Brüssel. Zudem gehe es um zivile Konfliktvorbeugung anstelle von Militärinterventionen, sagte Peter im DLF.

02.04.2014
    Mario Dobovisek: Tausende Migranten aus Afrika, politisch Verfolgte, Kriegsopfer und Wirtschaftsflüchtlinge, sie alle warten im Norden des Kontinents auf ihre Chance und hoffen auf ein besseres Leben in Europa. Viele versuchen ihr Glück auf hoher See in untauglichen Booten und ertrinken, und jüngst machen auch wieder Meldungen von Massenanstürmen auf die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla Schlagzeilen. Viele Verletzte gab es dabei und mehr als ein Dutzend Tote. In Nordafrika ist es bloß ein Zaun, der die Flüchtlinge von einem vermeintlich besseren Leben trennt. Manche Nichtregierungsorganisationen glauben, dass die Politik ein Klima der Angst vor den Flüchtlingen erzeugen will, um etwa Finanzhilfen aus Brüssel zu erhalten. Gibt es ihn wirklich, den Massenansturm?
    Flüchtlinge aus Nordafrika, befestigte Grenzen und der Einsatz von Kriegsschiffen auf hoher See, Gesprächsstoff auch auf dem EU-Afrika-Gipfel ab heute in Brüssel. Am Telefon begrüße ich die Grünen-Chefin Simone Peter. Guten Morgen, Frau Peter!
    Simone Peter: Guten Morgen!
    Dobovisek: Das offizielle Motto des Gipfels lautet "Investieren in Menschen, Wohlstand und in Frieden". Im Klartext heißt das so viel wie, es geht um eine engere Wirtschaftszusammenarbeit zwischen der EU und Afrika. Die Idee dahinter: Verbessert sich die wirtschaftliche Lage Afrikas, wollen weniger Flüchtlinge nach Europa. Ein Trugschluss, Frau Peter?
    Peter: Ja was das im Endeffekt heißen muss: Wir müssen endlich diese katastrophale Flüchtlingstragödie, die sich im Mittelmeer abspielt, beenden. Es geht darum, faire Handelsbeziehungen aufzubauen, nicht einfach einen Freihandel zu Gunsten der EU, und es geht auch um eine Prävention, eine zivile Konfliktvorbeugung statt Militär. Bei den Wirtschaftsbeziehungen ist unsere Forderung, dass man die etwas zwielichtigen Wirtschaftsabkommen EPA auf die Tagesordnung setzt, weil den Menschen in Afrika geht es darum, ihre eigene lokale Wirtschaft nach vorne zu bringen und nicht Abkommen, die in erster Linie den europäischen Unternehmen dienen.
    "Die etwas zwielichtigen Wirtschaftsabkommen EPA"
    Dobovisek: Warum zwielichtig?
    Peter: Zwielichtig deswegen, weil in erster Linie, wie ich sagte, die Interessen der europäischen Unternehmen hier vorangebracht werden. Wir stellen seit längerem die Forderung, dass die Unternehmen transparent machen sollen, öffentlich machen sollen, wie sie ihre wirtschaftlichen Aktivitäten ausweiten. Wir wollen, dass die afrikanischen Länder ihre Produkte auch hier verstärkt in die Europäische Union bringen können, und darum muss es gehen. Die Wirtschaftsabkommen müssen eigentlich zunächst mal ausgesetzt werden. Zunächst mal müsste es ein Moratorium darüber geben und dann muss man neu überlegen, wie man wirklich eine Partnerschaft auf Augenhöhe hinbekommt und nicht nur zu Gunsten der europäischen Länder.
    Dobovisek: Im Vorfeld des Gipfels gab es Gerangel um die afrikanische Delegation. Eritrea durfte laut EU nicht anreisen, Simbabwe wollte nicht, weil die Frau des Staatschefs kein Visum erhielt, und auch Südafrika sagte seine Teilnahme ab, weil es sich über die Einmischung der EU in die Zusammensetzung der afrikanischen Delegation ärgerte. Augenhöhe klingt anders!
    90 Delegationen
    Peter: Ja, da ist noch viel Arbeit notwendig, um möglichst viele Delegationen in Zukunft auf die Gipfel zu bekommen. Aber es sind immerhin 90 Delegationen dort. Also es ist nicht so, dass dort nicht ein Interesse bestehen würde. Schließlich ist der letzte Gipfel ja schon ein paar Jahre her, 2010. Es gibt jede Menge Gesprächsbedarf, ich habe die Themen eben genannt, ob es die Flüchtlinge angeht, die Wirtschaftsbeziehungen oder auch die Konfliktprävention. Da ist aber auch ganz klar unser Anliegen: Die Deutschen müssen ihr Aufkommen an der Entwicklungshilfe deutlich erhöhen. Es müssen auch Signale erfolgen, wir wollen wirklich mit euch reden, wir wollen Hilfe leisten, und da sind auch finanzielle Hilfen dringend notwendig.
    Dobovisek: Ist ein Gipfel nicht ein starkes Signal?
    Peter: Das ist schon wichtig und richtig. Wie gesagt, wenn er aber auch zielführend geführt wird, dass wir als Europäer das Signal geben, wir wollen nicht nur unsere Produkte auf dem afrikanischen Markt los werden, sondern wir wollen uns wirklich um die massiven Probleme kümmern, wir wollen, dass es zu Arbeitsmöglichkeiten der Afrikaner hier auf dem europäischen Markt kommt, wir wollen, dass die Flüchtlingsströme organisiert werden, dass man Zugang zum europäischen Kontinent hat, einen legalen und sicheren Zugang zu unserem Asylsystem, dass es einen einheitlichen Schutzraum Europa gibt, keine Abgrenzung, dass man mehr in der Entwicklungshilfe tut und nicht nur militärisch intervenieren will. Das sind die Zeichen, die wir brauchen, um Vertrauen zu schaffen. Dann ist der Gipfel auch sinnvoll.
    Dobovisek: Die Stärkung der Märkte, der Wirtschaft in Afrika, sagen wir, ist ein mittelfristiges oder langfristiges Ziel. Im Moment ist Europa allerdings mit Flüchtlingsströmen konfrontiert. Zurück also zu den Flüchtlingen. Europa schottet sich ab, befestigt seine Grenzen, lässt Kriegsschiffe patrouillieren. Welche Alternativen gibt es denn im Moment zur Festung Europa?
    Peter: Na ja, zunächst mal muss es darum gehen, dass wir nicht nur abschotten an den Grenzen. Da ist ja über die Aktivitäten von Eurosure und Frontext eher eine Abschottungs- und Zurückweisungspolitik derzeit an der Tagesordnung.
    Ursachen in Afrika bekämpfen
    Dobovisek: Was soll denn Europa sonst machen, wenn Tausende Flüchtlinge im Prinzip jeden Tag nach Europa kommen?
    Peter: Es wird mit Sicherheit nicht darum gehen, die Flüchtlinge eins zu eins hier zu übersetzen. Wir müssen zunächst mal die Ursachen in Afrika versuchen zu bekämpfen.
    Dobovisek: Aber die Flüchtlinge sind jetzt da.
    Peter: Ja, das ist richtig. Deswegen geht es jetzt darum, um einen sicheren, geordneten Zugang über ein Asylsystem. Wir fordern ein humanitäres Visum, wir wollen, dass es einen Kurswechsel in der Grenzpolitik gibt, dass es nicht sein kann, dass immer noch Tausende einfach sterben. Es gibt Alternativen dazu, dass die Menschen im Mittelmeer ertrinken. Wir brauchen gemeinsame Standards. Europa hat noch nicht mal gemeinsame faire Standards, um Asylverfahren durchzuführen. Das sind die Ansätze, die wir hier voranbringen müssen. Das, was sich derzeit an Tragödien an den Grenzzäunen abzeichnet, ist der falsche Weg. Aber es muss auch mittel- und langfristig darum gehen, über Ressourcen, Klimapolitik und Entwicklungshilfe die Flüchtlingsströme nicht noch eskalieren zu lassen. Wir brauchen auch eine nachhaltige Politik in der Flüchtlingsfrage.
    Dobovisek: Die Mittelmeer-Anrainerstaaten wie zum Beispiel Italien, wie zum Beispiel Griechenland fühlen sich allein gelassen von den nördlichen Ländern, zum Beispiel auch von Deutschland. Was muss Deutschland tun, um diesen Ländern zu helfen?
    Peter: Es muss eben darum gehen, dass die Menschen zum Beispiel dort Schutz suchen können, wo sie Anknüpfungspunkte haben, zum Beispiel familiär und sprachlich. Es kann nicht sein, dass die Schutzsuchenden im Ankunftsland ihren Asylantrag stellen dürfen. Das muss eine Erweiterung geben. Wir müssen offen sein für die Flüchtlinge, da muss es mehr Zustrom auch zu anderen Ländern geben. Ich habe eben schon das humanitäre Visum angesprochen. Wir müssen den Schutz auf See, die Aufschiffung in Drittstaaten stoppen. Es muss eine legale Zuwanderung möglich sein und dann ist auch eine Entlastung in diesen Staaten, in denen die Menschen jetzt ankommen, möglich.
    Dobovisek: Simone Peter, die Bundesvorsitzende der Grünen, zum Auftakt des EU-Afrika-Gipfels heute in Brüssel. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Peter: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.