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EU-Flüchtlingsabkommen mit Afghanistan
Menschenrechtsorganisationen kritisieren Abschiebungen

1,2 Milliarden Euro soll Afghanistan in den nächsten Jahren von der EU erhalten – unter anderem für die Rücknahme abgeschobener Asylbewerber. Aus der deutschen Politik gibt es daran Kritik; besonders wegen der fragilen Sicherheitslage am Hindukusch. Menschenrechtsverbände sprechen gar von einem "unmoralischen Kuhhandel".

Von Nadine Lindner | 19.02.2017
    Sie sehen Demonstranten, die in Frankfurt am Main gegen die Abschiebung von Afghanen protestieren. Auf einem der Transparente steht "Afghanistan is not safe".
    Plakate bei einer Demonstration gegen eine geplante Abschiebung nach Afghanistan am 23.01.2017 am Flughafen Frankfurt/Main. (AFP / Daniel Roland)
    Die Mechanik des Abkommens zwischen der EU und Afghanistan ist relativ simpel: Afghanistan soll helfen, die unerwünschte Migration bekämpfen und erhält dafür im Gegenzug finanzielle Unterstützung. Außerdem soll Kabul der Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern aus Europa zustimmen.
    Die Außenbeauftragte der EU und der afghanische Finanzminister Hakimi unterzeichneten gestern am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz ein entsprechendes Abkommen. Afghanistan soll in den nächsten drei Jahren 1,2 Milliarden Euro erhalten.
    Die Debatte um Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern gerade nach Afghanistan beschäftigt schon länger die deutsche Innenpolitik. Und zieht sich quer durch die Bundesregierung:
    Weiterhin Selbstmordanschläge in Afghanistan
    So hat die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Bärbel Kofler gestern einen sofortigen Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan gefordert. Die SPD-Politikerin sagte der "Passauer Neuen Presse", nicht die Lage in Afghanistan habe sich verändert, sondern die innenpolitische Diskussion in Deutschland. Dies dürfe aber nicht auf dem Rücken der Menschen ausgetragen werden.
    In Afghanistan kämpfen noch immer Regierungstruppen gegen radikalislamische Taliban, zudem gibt es immer wieder Selbstmordanschläge.
    Ganz anders der Tenor von Kanzleramtschef Peter Altmaier. Der Christdemokrat betonte im Interview mit der "Bild am Sonntag", dass es in Afghanistan sehr wohl Gegenden gebe, die auch für Deutschland-Rückkehrer sicher seien. Deutschland müsse abgelehnte Asylbewerber generell schnell zurückführen, sonst leide die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats.
    Einige Bundesländer versuchen unterdessen Fakten zu schaffen, um gegen die Abschiebungen vorzugehen. Das rot-grün regierte Schleswig-Holstein hat Anfang der Woche einen dreimonatigen Abschiebestopp nach Afghanistan verhängt. Landesinnenminister Stefan Studt, SPD, begründete das im NDR mit der unklaren Sicherheitslage.
    "Das war jetzt die Situation, wo wir gesagt haben, auch wo die UN noch mal die Zahl der zivilen Opfer vorgelegt hat, dass wir handeln müssen. Und das haben wir getan."
    Thomas de Maizière verteidigte im gleichen Sender sein Vorgehen:
    "Wenn die Verwaltungsverfahren abgeschlossen sind, wenn die Gerichtsverfahren abgeschlossen sind, wenn Härtefall Kommissionen getagt haben. Und das Ergebnis heißt, die Person muss unser Land verlassen. Dann muss das auch gelten für jemanden, der nach Afghanistan zurückkehren muss."
    Auch ein Sprecher des Bundesinnenministeriums reagierte am Mittwoch in der Bundespressekonferenz. Er sagt, der Innenminister habe sich bereits in einem Schreiben an das Bundesland im Norden gewandt:
    "Als Reaktion auf diesen Abschiebestopp. Und ihm mitgeteilt, dass er das im Moment für das falsche Signal hält. Und hat das auch ausführlich begründet."
    Neubewertung der Sicherheitslage
    Sanktionen könne der Bundesinnenminister aber nicht ergreifen, die Rechtslage sehe vor, dass Länder für einen begrenzten Zeitraum Abschiebestopps verhängen dürften.
    Die Grünen in den Bundesländern versuchen unterdessen, Druck auf Außenminister Sigmar Gabriel auszuüben. Sie hatten ihn am Freitag aufgefordert, die Sicherheitslage in Afghanistan mit Blick auf Abschiebungen neu zu bewerten.
    Kritik am EU-Afghanistan Abkommen gab es auch von Menschenrechtsverbänden: Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt bezeichnete es als "zynisch, dass ein Kriegs- und Krisengebiet bei einer sogenannten Sicherheitskonferenz wider alle Fakten als sicher erklärt werde. Die afghanische Regierung werde unter Druck gesetzt: Geld und militärische Unterstützung gegen die Rücknahme von Flüchtlingen -das sei ein unmoralischer Kuhhandel, der das Leben von Schutzsuchenden gefährde. Pro Asyl fordert die Bundesländer auf, sich nicht an der bevorstehenden Sammelabschiebung zu beteiligen.
    Für Mitte der kommenden Woche ist wieder eine Sammel-Abschiebung nach Afghanistan geplant.