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Eva Högl (SPD) zur Sicherheitspolitik
"Aktionismus hilft nicht weiter"

Die SPD-Politikerin Eva Högl sieht die vom Koalitionspartner Union vorgeschlagenen sicherheitspolitischen Maßnahmen kritisch. So würde eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht Menschen davon abhalten, sich zu offenbaren. Dies bringe deshalb weniger und nicht mehr Sicherheit, sagte sie im Deutschlandfunk.

Eva Högl im Gespräch mit Bettina Klein |
    Die SPD-Abgeordnete Eva Högl am Rednerpult im Bundestag.
    "Wir brauchen keine Scheindebatten", sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl im DLF. (AFP / Odd Andersen)
    Die Große Koalition müsse gemeinsam dafür sorgen, dass Deutschland ein sicheres Land bleibe. Doch sei es wichtig, alle Maßnahmen daraufhin zu überprüfen, ob sie tatsächlich zu mehr Sicherheit beitrügen. Purer Aktionismus helfe nicht weiter, sagte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Deutschlandfunk. Man brauche keine Scheindebatten. Ihre Partei sehe auch keinen Bedarf für eine weitere Verschärfung bei der Ausweisung straffällig gewordener Ausländer. Die Gesetze seien erst Anfang des Jahres nach den Vorkommnissen in der Silvesternacht neu gefasst worden, betonte Högl. Es gebe eher ein Defizit beim Vollzug dieser Regeln.
    Man müsse nun aber erst einmal abwarten, was Bundesinnenminister Thomas de Maizière genau vorlege und das Papier dann prüfen. Zugleich betonte Högl, es sei der falsche Weg, wenn als Reaktion auf die jüngsten Anschläge in Europa nun die Bürgerrechte oder die Religionsfreiheit eingeschränkt würden. Das spiele lediglich den Terroristen in die Hände. Gebraucht werde ein "Sensorium" in der gesamten Gesellschaft, die Menschen müssten aufeinander aufpassen. Außerdem sollten die Sicherheitsbehörden personell besser aufgestellt werden. Sie freue sich, dass die Unionsparteien nun die Auffassung der SPD teilten, dass man mehr Polizei brauche.

    Das Gespräch in voller Länge:
    Bettina Klein: Manches an Details, Vorstellungen, Vorschlägen und Überlegungen ist gestern schon bekannt geworden und einiges wird der Bundesinnenminister Thomas de Maizière heute vorstellen in einem Maßnahmenkatalog zur Sicherheitspolitik. Und am Telefon ist jetzt Eva Högl, SPD-Abgeordnete, stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, guten Morgen, Frau Högl!
    Eva Högl: Schönen guten Morgen, Frau Klein!
    Klein: Wir haben aus Ihrer Partei gestern schon und auch heute Morgen ja doch vor allen Dingen eigentlich Empörung und Abgrenzung gegenüber diesen Vorschlägen gehört. Die SPD als Koalitionspartner im Bund macht da halt mit, ganz mit oder gar nicht mit?
    Högl: Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich gespannt bin, was Thomas de Maizière heute vorstellen wird. Denn wir kennen alle sein Programm noch nicht. Also, insofern können wir uns dann erst äußern, wenn wir die Details auch kennen. Wir müssen natürlich gemeinsam in der Großen Koalition – und dafür stehen wir auch und das haben wir auch in den letzten Jahren unter Beweis gestellt – dafür sorgen, dass Deutschland ein sicheres Land bleibt. Was uns jetzt aber überhaupt nicht weiterhilft – und deswegen haben wir uns kritisch gestern auch geäußert aus der SPD –, da ist purer Aktionismus. Wir brauchen keine Scheindebatten, wir brauchen auch nicht jeden Tag neue Gesetze, sondern wir müssen unsere Gesetze, die gut sind, die auch sehr scharf sind, was den Antiterror zum Beispiel angeht, die müssen wir konsequent umsetzen. Und wo ich mich sehr freue, ist, dass die Union jetzt ganz offensichtlich auch Auffassungen der SPD teilt, nämlich dass wir mehr Polizei brauchen und die Polizei auch besser ausstatten müssen. Denn da wurde in den letzten Jahren viel zu viel gespart.
    Klein: Das ist ja fast weitgehend unstrittig oder nicht so strittig wie andere Punkte. Aber Frau Högl, mit purem Aktionismus, da meinen Sie vor allen Dingen die Vorschläge, die jetzt aus den Ländern kommen? Denn die zumindest sind ja schon etwas konkreter.
    Högl: Ja, zum Beispiel die ärztliche Schweigepflicht, wenn ich das mal rausgreifen darf, das ist ja eben auch angesprochen worden. Wir brauchen bessere Betreuung von Menschen mit psychischen Problemen, auch von traumatisierten Personen, die zu uns geflüchtet sind. Und was wir jetzt gar nicht brauchen, ist ein Herumdoktern an der ärztlichen Schweigepflicht und eine Einschränkung. Das wird Menschen davon abhalten, zum Arzt zu gehen und sich zu offenbaren und das schafft meiner Meinung nach eher weniger Sicherheit als mehr.
    "Doppelte Staatsangehörigkeit ist ein ganz wichtiger Baustein für bessere Integration"
    Klein: Gut, Sie haben noch mal diesen einen Punkt jetzt herausgegriffen. Ich würde noch mal kurz allgemeiner fragen: Gestern wurde ein namentlich nicht genannter hochrangiger SPD-Politiker zitiert, der es so interpretiert hat, das sei ja einfach nur die Umsetzung des Neun-Punkte-Planes der Kanzlerin von vor wenigen Wochen. Da widersprechen Sie?
    Högl: Ja, also, ich sagte es ja eben schon, wir müssen jetzt mal abwarten, was de Maizière heute konkret vorlegt. Wir werden uns alle Vorschläge angucken, aber wenn es darauf hinausläuft, womit Jens Spahn zitiert wurde, dass zum Beispiel die doppelte Staatsangehörigkeit rückgängig gemacht wird. Wir haben im Koalitionsvertrag klare Vereinbarungen getroffen, wir haben da auch schon gemeinsam etwas vereinbart und für uns als SPD ist die doppelte Staatsangehörigkeit ein ganz wichtiger Baustein für bessere Integration und für ein friedliches Zusammenleben. Doppelte Staatsangehörigkeit schafft mehr Sicherheit und bessere Integration. Und das jetzt als einen Punkt zu nehmen, um in Deutschland mehr Sicherheit zu schaffen, das schürt nur Hass und Unsicherheit und bedient Vorurteile und ist meiner Meinung nach blanker Populismus.
    Klein: Ja, also, das ist jedenfalls nun ein Vorschlag, der aus den Ländern kam. Denn die Regierung, stellvertretende Regierungssprecherin in Berlin hatte gestern schon das dementiert und hat gesagt, es ist nicht die Absicht der Bundesregierung, an der doppelten Staatsbürgerschaft irgendetwas zu ändern. Also, das Thema scheint ja vom Tisch zu sein.
    Högl: Genau. Aber zum Beispiel, wenn ich noch einen anderen Punkt rausgreifen darf, die Ausweisung von straffällig gewordenen Ausländern. Da haben wir ja gerade erst Anfang des Jahres nach den Ereignissen in Köln von der Silvesternacht das Ausweisungsrecht verschärft. Wir haben jetzt also wirklich sehr klare Regeln, mit denen straffällig gewordene Ausländer sehr schnell ausgewiesen werden können, Personen kann auch ihre Flüchtlingseigenschaft aberkannt werden. Diese Gesetze, die wir gemacht haben, die müssen wir jetzt natürlich konsequent umsetzen und da sind auch die Bundesländer gefragt, insbesondere auch diejenigen, die CDU-regiert sind oder auch einen CDU-Innenminister oder -Senator stellen.
    "Wir sehen erst mal keinen Verschärfungsbedarf"
    Klein: Genau. Und da wäre noch mal ein weiterer Punkt, der wird wohl auch von de Maizière heute vorgestellt, ist aber auch in diesem Maßnahmenkatalog aus diesen Ländern mit drin: Ausländische Gefährder – ich zitiere – und straffällige ausreisepflichtige Ausländer sollen schneller abgeschoben werden und die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit – das scheint ja neu zu sein – als neuer Haftgrund für eine Abschiebung erst noch eingeführt werden. Also, da sehen die Länder zumindest ja noch weiteren Verschärfungsbedarf.
    Högl: Ja, wir sehen erst mal keinen Verschärfungsbedarf, denn unsere Gesetze sind wirklich gut und auch sehr konsequent und eben gerade erst überarbeitet worden. Ich sehe eher ein Defizit beim Vollzug dieser Regelungen. Und da – ich betone es noch mal – sind natürlich auch die Bundesländer gefragt. Wenn Personen identifiziert werden, die die öffentliche Sicherheit gefährden oder die auch straffällig geworden sind, dann haben wir ausreichend gute Regeln, um da auch drauf zu reagieren. Und dann müssen diese Personen auch unser Land verlassen.
    Klein: Ein weiterer Punkt, Frau Högl, aus dem Katalog der Länder: Wir fordern – das ist ein Zitat – eine Extremismusklausel, mit der ausgeschlossen wird, dass Organisationen, die mit Extremisten zusammenarbeiten, staatlich gefördert werden. Zitat Ende. Da sehen Sie auch keinen Handlungsbedarf?
    Högl: Das ist ja ein ganz alter Hut, das gab es in der letzten Legislaturperiode und wir haben das gemeinsam in der Koalition abgeschafft. Natürlich wollen wir mit öffentlichen Geldern keine Organisationen fördern, die Extremismus noch unterstützen, sondern wir wollen ja gerade dagegenarbeiten mit öffentlichen Geldern. Und es gibt ausreichend Regeln, das auch zu überprüfen. Eine Extremismusklausel hindert eher und schafft nicht mehr Sicherheit, sondern wurde zu Recht abgeschafft. Wenn ich das noch mal betonen darf: Wir müssen die Maßnahmen alle daraufhin überprüfen, ob sie tatsächlich dazu beitragen, dass Deutschland ein sicheres Land bleibt oder noch sicherer wird. Aktionismus hilft nicht weiter.
    "Religionsfreiheit ist zu Recht im Grundgesetz geschützt"
    Klein: Meine Kollegin hat gestern Abend mit Joachim Krause von der Uni Kiel gesprochen, Politikwissenschaftler und Sicherheitsexperte. Und ich würde Ihnen ganz kurz noch mal einen O-Ton vorspielen, was der Experte sich wünscht:
    Joachim Krause: Wir müssen Regelungen finden, die auch politischen Salafismus als solchen verbieten. Und dazu ist Politik…

    Sarah Zerback: Das Grundgesetz also ändern?

    Krause: Ja, möglicherweise auch das Grundgesetz ändern, ja. Weil ich denke, es ist möglich. Man kann nicht einfach eine angebliche Religionsausübung privilegieren, die diesen Staat abschaffen will, die in diesem Land einen Bürgerkrieg anzetteln will.
    Klein: Und dafür das Grundgesetz ändern, um politischen Salafismus zu verbieten, das forderte Joachim Krause bei uns im Interview. Frau Högl, was sagen Sie?
    Högl: Nun weiß ich nicht ganz genau, was er damit meint, aber die Religionsfreiheit ist zu Recht im Grundgesetz geschützt und das bleibt auch so, das ist ein hohes Gut. Was wir natürlich machen müssen – und da stimme ich dem Experten zu –, ist, beim Thema Salafismus oder anderen extremen und extremistischen Bewegungen ganz genau hinschauen und mehr in Sachen Prävention machen, aber auch mehr in Sachen Kontrolle. Wir haben schon lange gefordert, dass Imame in Deutschland ausgebildet werden müssen, dass wir in die Moschen besser schauen, dass wir wissen, was dort vorgeht. Und wir haben jetzt auch in der Koalition mehr Geld für Präventionsmaßnahmen zur Verfügung gestellt. Wir stocken unsere Programme mit "Demokratie leben" auf 100 Millionen auf und das ist ein ganz wichtiger Beitrag dazu, dass wir besser vorbereitet sind und Menschen davon abhalten, extrem zu werden.
    "Unsere Freiheit ist ein hohes Gut und auch die Religionsfreiheit"
    Klein: Ich glaube, der Experte ging in die Richtung, dass er sagte, die Religionsfreiheit muss im Zweifel ein Stück zurückweichen oder eingeschränkt werden, wenn es darum geht, die Verfassung hier und die Grundgesetzordnung zu schützen, wenn die von diesen Gruppierungen eben bekämpft und abgeschafft werden sollen.
    Högl: Ja, aber das findet ja nur unter dem Deckmantel von Religion statt. In Wahrheit sind das terroristische Bewegungen und das hat mit Religion nichts zu tun. Und das ist mir auch ganz wichtig, das noch mal zu betonen: Das sind Terroristinnen und Terroristen oder es sind Einzelpersonen, die Anschläge verüben und Amokläufe machen und das ist natürlich eine Gefahr für unsere Sicherheit. Aber darauf zu reagieren, indem wir unsere Freiheit einschränken und unsere Grundrechte und die Bürgerrechte und auch die Religionsfreiheit, das wäre genau der falsche Weg. Und genau das wollen die Terroristen und Terroristinnen und das dürfen wir nicht zulassen. Unsere Freiheit ist ein hohes Gut und auch die Religionsfreiheit.
    Klein: Sie treten da ein, das zu unterscheiden und deutlich zu differenzieren, die Religion und die terroristischen Gruppierungen. Ich lese noch mal einen Punkt vor aus diesem Maßnahmenkatalog aus den Ländern: Verbot der Finanzierung von Moscheen durch extremistische Organisationen. Sie sagen, genauer hinschauen. Aber wie soll denn diese Kontrolle … und wie soll es umgesetzt werden, wenn man eben wirklich das verhindern möchte?
    Högl: Wir haben ja ein Instrumentarium in unserer Gesellschaft, wir sind ja nicht schutzlos. Wir haben den Verfassungsschutz, der muss natürlich ganz genau hinschauen – ich betone das noch mal mit dem Hinschauen – und dann auch tätig werden, überall da, wo Extremisten sich versammeln. Dann brauchen wir ein wirkliches Sensorium in der ganzen Gesellschaft. Alle Menschen, die mit anderen Menschen zu tun haben, Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiter, auch diejenigen, die in der Flüchtlingshilfe aktiv sind, alle, die ehrenamtlich in Verbänden und Vereinen sind. Die Menschen haben ja Kontakte, auch Extremisten haben Kontakte. Und das muss natürlich aufmerksam verfolgt werden, das hat man auch bei den Attentaten der letzten Zeit gesehen, dass es wichtig ist, aufeinander aufzupassen. Wir haben den Verfassungsschutz, wir haben die Polizei, wir haben die Staatsanwaltschaften und die Gerichte und die müssen wir alle, unsere Sicherheitsbehörden, sehr gut ausstatten, die müssen personell und was die sonstigen Rahmenbedingungen angeht, gut aufgestellt sein. Und dann glaube ich, dass wir viel dazu beitragen können, mehr Sicherheit in Deutschland zu schaffen.
    Klein: Sagt Eva Högl, die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke Ihnen, Frau Högl, für das Gespräch!
    Högl: Ich danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.