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Familiennachzug
Leiden unter faulen GroKo-Kompromissen

2017 sind weniger als 100 Familienangehörige von subsidiär Schutzbedürftigen per Härtefallregelung nach Deutschland gekommen. In begrenztem Umfang sollen sie auch weiter nachholen dürfen. Näheres regelt erst ein Gesetz in der neuen Legislatur. Der ausgesetzte Nachzug zermürbt Flüchtlinge und Ehrenamtliche.

Von Anke Petermann |
    Die 19-jährige Syrerin Amal (l) umarmt ihre dreijährige Tochter Grufran neben ihrem Bruder Mohommad (M) und ihrem Vater Shihab Ahmad al-Abed (r) in einer Wohnung. Amal, ihre Tochter, ihr Vater und ihr Bruder überlebten die illegale Grenzüberquerung von Syrien in den Libanon, bei der mehrere andere Syrer erfroren. Der Libanon beheimatet derzeit mehr als eine Million vor dem Bürgerkrieg geflohene Syrer.
    Zermürbendes Warten: Syrische Flüchtlinge im Libanon (dpa / picture alliance / Marwan Naamani)
    Ahmed legt einen dicken blauen Plastikordner auf den Tisch des ehrenamtlichen Begegnungscafés. Hier in den Gemeinderäumen der evangelischen Stiftskirche Landau kommen Flüchtlinge vorbei, wenn sie Rat suchen. Der 43-Jährige hält den längst eingereichten Antrag zum Familiennachzug hoch. Seit einem Jahr ist der Nachzug ausgesetzt, im Frühjahr sollte er wieder möglich werden. Der Syrer war voller Hoffnung gewesen, seine Frau und seine beiden zehnjährigen Zwillingskinder bald wiederzusehen. Dass der Familiennachzug nun erneut bis Ende Juli ausgesetzt wird, kann Ahmed nicht begreifen. Immer wieder deutet der Flüchtling auf die Antrags-Kopie und schaut Magdalena Schwarzmüller vom Verein Café Asyl fragend an.
    "Ja, aber das ist die alte!"
    Seit August 2015 geht es mit dem Familiennachzug für subsidiär, also eingeschränkt Schutzberechtigte hin und her.
    "Ihm wurde ja schon mehrfach ausgesetzt. Damals durften ja die mit dem einjährigen Schutz die Familien nachholen. Das sind jetzt Menschen, die durften schon mal, dann wurde ihnen gesagt, ihr dürft nicht bis März, und jetzt dürfen sie wieder nicht."
    Keine Perspektive fürs Zusammenleben in Deutschland
    Ahmed heißt in Wirklichkeit anders, doch er hatte Konflikte sowohl mit der Freien Syrischen Armee als auch mit Regierungstruppen Assads und will seine Mutter im nordsyrischen Aleppo nicht gefährden. Seine palästinensisch-stämmige Frau lebt mit den Kindern im Westjordanland. Für sie alle gibt es derzeit keinen Weg zurück nach Aleppo. Aber auch keine Perspektive für ein Zusammenleben in Deutschland. Ahmed wirkt deprimiert. Ob Ausländerbehörde oder Verwaltungsgericht, er bekommt immer dieselbe Antwort:
    "Warten - wir müssen warten, warten, warten."
    Wenn er einen Termin hätte, an dem seine Familie kommt, sei das Warten zu ertragen, aber ohne Perspektive zermürbe es ihn. Und andere auch, beobachtet Magdalena Schwarzmüller. Die Alltagshelferin sitzt für die SPD im Stadtrat von Landau.
    "Wenn ich auf etwas warte, was kein Ende hat und immer wieder verzögert wird, dann verliere ich Vertrauen in dieses Land. Diese Hinhaltetaktik macht hier alle wirklich kaputt."
    Ahmed sagt: "Ich bin 43 Jahre alt - was ich machen kann, habe ich gemacht."
    Volle Punktzahl im Integrationskurs
    Er hat ein gutes Deutsch-Niveau erreicht, hat zudem den Gabelstapler-Führerschein. In Syrien war er Manager, in Deutschland arbeitet er in der Produktion eines Automobilzulieferers - genug, um die Familie zu ernähren, aber:
    "For nothing."
    Vergeblich? Magdalena Schwarzmüller ermutigt ihn und andere, die verzweifelt warten, im Sommer erneut Familiennachzug zu beantragen. Auch wenn sie weiß, dass die Begrenzung des Kontingents auf 1000 Angehörige im Monat ein neues Hindernis auf dem ohnehin langwierigen Weg darstellt. Erstmal müssen die Familien-Angehörigen einen Termin in einer deutschen Botschaft im Ausland bekommen, schon das kann schwierig sein.
    "Und dann gehen die hin und müssen ihre Papiere vorweisen und die Botschaft informiert dann irgendwann, dass die Familie kommen kann und das Visum holen kann. Das Visum wird dann hierhin geschickt. Und die Ausländerbehörde muss dann noch zum Visum zustimmen."
    All das dauert oft Jahre. Das Kontingent von tausend Angehörigen monatlich abzuzählen, hält die Alltagshelferin nicht für praktikabel.
    "Da müssten alle Ausländerbehörden und alle Botschaften vernetzt sein. Denn irgendwo müsste dann jemand sagen: Heute sind Tausend genehmigt. Wo soll das sein? Soll das im Libanon sein? Soll das in Nairobi sein? Wer will das regeln?"
    Keine Antworten im Koalitionsvertrag
    Das Landauer Begegnungscafé hat sich inzwischen gefüllt. Helfer haben Obst und Plätzchen auf den Tisch gestellt. Junge Engagierte spielen mit den Flüchtlingskindern, erfahrene Alltagsbegleiter stecken die Köpfe mit Rat-Suchenden zusammen. Immer wieder werden Magdalena Schwarzmüller und ihre Mitstreiter vom Café Asyl mit der Enttäuschung über den erneut aufgeschobenen, begrenzten Familiennachzug konfrontiert. Die SPD-Stadträtin ist unzufrieden mit dem, was ihre Genossen als Koalitions-Unterhändler rausgeholt haben. Dass immerhin die Härtefälle nicht auf das 1000er-Kontingent angerechnet werden? Schwarzmüller verdreht die Augen.
    "Wer kümmert sich denn dann um den Härtefall?! Die hier arbeiten in den Behörden und Beratungsstellen, die sind doch schon an ihrer Kapazitätsgrenze! Und jetzt kommt zusätzlich Arbeit noch mal. Wer sich darum kümmert und wo das Personal dafür da ist, das hat ja auch wieder keiner erwähnt."
    Die SPD hätte den Rechtsanspruch subsidiär Geschützter auf Familiennachzug nicht preisgeben dürfen, findet Schwarzmüller. Die Sozialdemokratin treibt um, "...wie viele Familien getrennt sind und wie groß das Leid ist dieser Männer, die das einfach auch emotional und psychisch kaum aushalten können. Und auch diese Familien, die zerstört sind, weil die Kinder keine Beziehung zum Vater aufbauen können."
    Keine Zustimmung für die Große Koalition
    Ziya Yüksel schaut nach der Arbeit kurz im Begegnungscafé vorbei. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt der Rheinland-Pfalz-SPD. Das war die einzige sozialdemokratische Migrations-AG, die überhaupt offen war für Verhandlungen mit der CDU. Doch den Koalitions-Vertrag lehnt auch sie nun ab. Gerade weil er deutlich macht, wie wichtig die Große Koalition Familien nehmen will.
    "In diesem Kontext ist es für uns umso erschreckender, dass man Familien unterscheidet nach ihrer Herkunft, nach ihrem Pass, und das ist für uns einfach unerträglich. Und mit dem, was jetzt da steht, können wir einer Großen Koalition, kann ich einer Großen Koalition nicht zustimmen."
    Seine Genossin Magdalena Schwarzmüller überlegt noch. Wie Yüksel so sieht auch sie sozialdemokratische Grundwerte vom Koalitionsvertrag verletzt. Wenn sie dennoch erwägt, für die Große Koalition zu stimmen, dann nur, weil sie bei einer Neuwahl einen noch stärkeren Rechtsruck fürchtet.