Archiv

Forschungsprojekt
Internet hat Verschwörungstheorien populär gemacht

Unzählige Verschwörungstheorien finden sich beispielsweise in sozialen Netzwerken. Unter anderem, dass der Putsch vor gut einem Monat von Erdogan und seiner Regierung selbst inszeniert war. Und es gibt es natürlich den Dauerbrenner der "Lügenpresse". Ein internationales und interdisziplinäres Projekt hat sich nun wissenschaftlich damit auseinandergesetzt.

Michael Butter im Corso-Gespräch mit Anja Buchmann |
    Astronaut Buzz Edwin Eugene Aldrin (USA) neben der amerikanischen Fahne auf dem Mond während der Mission Apollo 11.
    Wahr oder Fake? Um die Mondlandung der Apollo 11 Mission im Jahr 1969 ranken sich noch bis heute zahlreiche Verschwörungstheorien (Imago Stock & People)
    Anja Buchmann: Michael Butter ist Professor für Amerikanistik an der Universität Tübingen und forscht in einem internationalen und interdisziplinären Projekt zu Verschwörungstheorien. Schönen guten Tag Herr Butter.
    Michael Butter: Guten Tag Frau Buchmann.
    Buchmann: Herr Butter, könnte man zur aktuellen Meldung, die Bundesregierung rät Bürgerinnen und Bürgern zu Hamsterkäufen, auch eine schicke Verschwörungstheorie entwickeln?
    Butter: Die könne man natürlich entwickeln, weil das ja eigentlich genau das ist, was viele Verschwörungstheoretiker schon seit Jahren machen. Dass sie Vorräte anlegen, aber eben nicht, um im Grunde dann im Sinne der Regierung zu handeln, sondern weil sie oft die Idee haben, dass sie sich irgendwann gegen die Regierung werden verteidigen müssen, wenn dann die Kräfte der Politik, die eigentlich das Volk repräsentieren sollen, das ihrer Ansicht nach aber nicht machen und sich anderen Herren dienen, sich nämlich irgendwann offen gegen das Volk wenden werden. Also Verschwörungstheoretiker in den USA, wir beobachten das ja schon seit Jahrzehnten, in Deutschland jetzt seit ein paar Jahren, legen schon lange solche Vorräte an.
    Theorien gegen Realitätsprüfung
    Buchmann: Ab wann ist eine Theorie über eine Verschwörung eine richtig schicke Verschwörungstheorie?
    Butter: Also als Verschwörungstheorie bezeichnen wir gemeinhin eine Theorie, die nicht wahr ist. Also wenn das eine wirkliche Verschwörung gibt, dann würde man das nicht als Verschwörungstheorie bezeichnen.
    Buchmann: Sondern?
    Butter: Sondern man würde dann vielleicht sagen, dort gab es eine Verschwörung und das ist keine Theorie mehr, sondern wir wissen das. Der Begriff der Theorie wird in diesen Diskursen meistens so gebraucht als etwas disqualifizierendes, das ist ja nun irgend so eine seltsame Ansicht, wo jemand Beweise zusammengeschustert hat, aber das hält der Realitätsprüfung nicht stand.
    Buchmann: Also: Wir brauchen auf jeden Fall ein ganz klares Gut und ein ganz klares Böse?
    Butter: Das ist ganz klar. Man braucht Gut und Böse, und man braucht eben eine Gruppe von Bösen, die einen Plan verfolgt. Nur wenn es diesen Plan gibt, der Schritt für Schritt in die Tat umgesetzt wird oder schon lange umgesetzt worden ist, dann kann man wirklich von einer Verschwörung sprechen, davon, dass die Verschwörer über Jahrzehnte, manchmal Jahrhunderte hinweg im Hintergrund Geschichte geplant haben und alles was passiert von ihnen genau so vorhergesehen worden ist.
    Verschwörungstheorien und Mainstream
    Buchmann: Verschwörungstheorien können oft bedrohlich sein, können zu Gewalt führen, wie zum Beispiel die jüdisch-kommunistische Weltverschwörung in der Nazi-Zeit. Was kann aber auch das Positive an einer Verschwörungstheorie sein? Es gab ja wohl mal Zeiten, wo die geradezu Mainstream waren.
    Butter: Verschwörungstheorien waren über lange, lange Zeit totaler Mainstream. In der modernen Form entstehen die mit der Aufklärung und sind dann das gesamte 19. und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein absolutes Mainstreamwissen, das heißt: Sie werden von Eliten verbreitet, und es ist eher ungewöhnlich und man ist eher der "Irre", wenn man nicht an Verschwörungstheorien glaubt. Und da gibt es natürlich dann auch Beispiele für Verschwörungstheorien, die durchaus positive Effekte gehabt haben, wie zum Beispiel die Verschwörungstheorien, die zum Ausbruch des amerikanischen Bürgerkrieges geführt haben und damit letztendlich zur Abschaffung der Sklaverei, die ohne diese Theorien vielleicht noch mehrere Jahrzehnte bestanden hätte.
    Buchmann: Was waren das für Verschwörungstheorien, die dazu geführt haben?
    Butter: Das sind Verschwörungstheorien auf beiden Seiten der Konfliktparteien. Also die Befürworter der Sklaverei dachten, dass die Gegner der Sklaverei nicht nur die Ausbreitung der Sklaverei verhindern wollten, wie sie das offen sagten, sondern, gesteuert von Großbritannien quasi überall im Land, auch in den Südstaaten, die Sklaverei abschaffen wollten. Und die Gegner der Sklaverei - unter anderem Präsident Abraham Lincoln - waren der festen Überzeugung, dass die Sklaverei-Befürworter diese überall in den Vereinigten Staaten einführen wollten, nicht nur im Süden verteidigen wollten, sondern auch in den Westen exportieren wollten, in die neuen Staaten und auch in die Nordstaaten exportieren wollten und eventuell sogar die weiße Arbeiterklasse versklaven wollten.
    Gründe für einen Statuswechsel
    Buchmann: Warum hat sich die Sicht zu Verschwörungstheorien gewandelt? Warum ist das nicht mehr Mainstream, sondern sind eher die Spinner, die das dann zitieren?
    Butter: Das wissen wir noch gar nicht genau. Da wird gerade erst dran geforscht, weil das ganz, ganz kurz erst her ist, dass wir überhaupt verstanden haben, dass dieser Statuswechsel stattgefunden hat. Es gibt aber vermutlich zwei große Einflüsse: Erstens, das Einsickern der Erkenntnisse der Sozialwissenschaften in dem alltäglichen Diskurs nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Einsicht, dass Individuen oft gar nicht wissen, was sie wollen und ihre Intentionen daher nicht eins zu eins in die Tat umsetzen können, zum anderen aber auch die Einsicht, dass in komplexen sozialen Systemen sich Dinge nicht einfach so planen lassen, sondern oft Effekte hervorgebracht werden, die niemand so geplant hat. Und zum anderen aber auch die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und der Vernichtung der europäischen Juden, die eben auf der jüdisch-bolschewistische Weltverschwörungstheorie fußte, die bei vielen Intellektuellen, zum Beispiel Emigranten der Frankfurter Schule, die dann in den USA geforscht haben nach 1945 das Bewusstsein für die Gefährlichkeit von Verschwörungstheorien geschafft hat.
    Buchmann: Wem nützen denn eigentlich Verschwörungstheorien? Wer setzt sie warum in die Welt? Gibt es wahrscheinlich ganz unterschiedliche Antworten dazu.
    Butter: Da gibt es ganz, ganz unterschiedliche Antworten. Für denjenigen, der an sie glaubt ist es erstmal so, dass Verschwörungstheorien natürlich ein Sinn- und Erklärungsangebot machen: Man versteht auf einmal, wie die Welt wirklich funktioniert, alles nimmt Bedeutung an, es gibt kein Chaos, kein Zufall, keine Kontingenz mehr. Und man hebt sich natürlich auch aus der Masse heraus, weil man jetzt einer der Wissenden ist, während die anderen blind quasi durch die Welt laufen. Diejenigen, die die Theorien verbreiten, tun das natürlich oft auch ganz strategisch, um gewisse Ziele zu erreichen. Man kann da dann natürlich auch an die Propaganda des Nationalsozialismus denken, man kann an viele Dinge denken, die heutzutage in Russland in die Welt gesetzt werden. Man denke an die Geschichte dieses russland-deutschen Mädchens, das angeblich vergewaltigt wurde von Flüchtlingen in Deutschland, was die Bundesregierung vertuscht hätte und so weiter und so fort. Oft ist es aber wirklich so, dass diese Theorien wirklich von Leuten in die Welt gesetzt werden, die einerseits davon strategisch profitieren, andererseits ganz fest daran glauben, dass das, was sie erzählen auch wirklich wahr ist. Zum Beispiel Donald Trump - der ganz viele Verschwörungstheorien verbreitet - glaubt, davon bin ich fest überzeugt, vollkommen an die meisten dieser Theorien.
    Unsicherheit als Nährboden
    Buchmann: Sind die Zeiten von Terror und Gewalt ein richtig guter Nährboden für neue Verschwörungstheorien?
    Butter: Das ist natürlich so.
    Buchmann: Also Zeiten von Unsicherheit?
    Butter: Genau, Zeiten von Unsicherheit, Zeiten von Umbrüchen, Zeiten von Revolutionen. Einfach Zeiten, wo sich Dinge ändern, wo die Welt, wie wir sie kennen, radikal anders wird, weil genau in diesen Momenten natürlich so ein Erklärungsdefizit entsteht, das man durch Verschwörungstheorien dann relativ leicht füllen kann.
    Buchmann: Also Unsicherheit spielt eine ganz, ganz große Rolle.
    Butter: Unsicherheit spielt eine recht große Rolle. Das sehen wir auch schon bei der Entstehung von Verschwörungstheorien im Zeitalter der Aufklärung, wo einfach diese alten, religiösen Weltbilder, Gott lenkt die Geschicke der Welt, nicht mehr greifen und von daher die Verschwörer an die Stelle Gottes treten und deshalb als diejenigen angesehen werden, die nun die Geschicke der Welt lenken.
    Buchmann: Haben denn besonders Menschen, die sich in irgendeiner Form benachteiligt fühlen oder tatsächlich benachteiligt sind einen besonderen Hang zu solchen Verschwörungstheorien, zu solchen Ideen?
    Butter: Ganz genau. In der Gegenwart ist das absolut so, in der Vergangenheit, als die einen anderen Status hatten, war das anders, da glaubte es wie gesagt jeder. Mittlerweile ist es so, dass glaube ich die wichtigste Komponente für das Vorkommen von Verschwörungstheorien der Faktor Marginalisierung ist, also Menschen die sich marginalisiert fühlen, Menschen die Angst haben marginalisiert und abgehängt zu werden oder die es sogar schon sind. Die sind besonders empfänglich für Verschwörungstheorien, weil Verschwörungstheorien ihnen eben erklären, wer an ihrer Lage schuld ist, sie erlauben es ihnen dann eben Leute zu identifizieren, auf die sie mit dem Finger zeigen können. Das ist ganz besonders so, man sieht das an all den populistischen Bewegungen, die wir momentan in der westlichen Welt beobachten: die Anhänger Trumps in den USA, die Anhänger der AfD oder Pegida in Deutschland, ähnliche Bewegungen in anderen europäischen Staaten, wo oft weiße, nicht so wahnsinnig gut gebildete Männer die Träger dieser Bewegungen sind, und unter denen sind Verschwörungstheorien besonders weit verbreitet.
    Sichtbarkeit im Internet
    Buchmann: Das Internet macht ja viele Laien auch zu Möchtegern-Experten, auch das ist sicherlich zuträglich für wildeste Spekulationen und man ist mit wenigen Klicks von, sagen wir mal Angela Merkel bei, keine Ahnung, vielleicht bei Scientology oder wie auch immer. Welche Rolle spielt das Netz dabei? Verstärkt es sowas oder macht es einfach nur sichtbarer?
    Butter: Beides. Vor allem macht das Netz Verschwörungstheorien erstmal sichtbar. Denn vor dreißig Jahren sind uns die Verschwörungstheoretiker oft gar nicht so aufgefallen, weil die sich natürlich nur irgendwo getroffen haben, wo niemand dabei war, deren Ideen haben es nicht in die Mainstream-Presse geschafft. Heute ist das natürlich anders. Wenn man jeden Kommentar irgendwo im Internet, jeden Artikel irgendwie kommentieren kann und von daher dann die Verschwörungstheorien einfach sichtbarer werden. Gleichzeitig führt diese Sichtbarkeit natürlich einerseits zu einer größeren Vernetzung der Verschwörungstheoretiker, was dann die Sichtbarkeit wieder erhöht, und andererseits sind diese Theorien natürlich verfügbarer, also wenn man irgendeinen dumpfen Verdacht hat, hat man den vor dreißig Jahren vielleicht nie mit einer wirklichen Verschwörungstheorie füllen können. Heutzutage geht man einmal online und man findet viele, viele Angebote. Gleichzeitig ist, glaube ich, der wichtigste Effekt des Internets, dass es eine Tendenz verstärkt, die wir in den USA schon vor dem Anbruch des Internets gesehen haben, nämlich, dass letztendlich die Gesellschaft sich auflöst in Teilgesellschaften, in Teilöffentlichkeiten, wo man nur noch das wahrnimmt, was die eigene Meinung eigentlich bestärkt und das ignoriert, was der eigenen Meinung widerspricht.
    Buchmann: Sie sind Leiter des Projekts "Komparative Analyse der Verschwörungstheorie". Was erforschen Sie da genau, beziehungsweise, was ist Ihr Ziel?
    Butter: Das Ziel ist es letztlich, europäische Verschwörungstheorien besser zu verstehen und eventuell auch besser zu verstehen, wie man den manchmal doch gefährlichen Auswirkungen von Verschwörungstheorien entgegentreten kann.
    Buchmann: Michael Butter, Professor für Amerikanistik an der Universität Tübingen und Leiter des Projektes Komparative Analyse der Verschwörungstheorie, zu Hintergründen, Nutzen und Gefahren von Verschwörungstheorien. Herzlichen Dank Herr Butter.
    Butter: Danke Frau Buchmann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.