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Gentrifizierung in Lissabon
Wo Reichtum einzieht, ist für Ärmere kein Platz mehr

Lissabon ist schön: Touristen wollen in der Altstadt nächtigen, Wohlhabende aus aller Welt kaufen Wohnungen. Das heißt hier wie überall: Verdrängung der angestammten Bewohner. In Portugals Hauptstadt trifft es besonders bedürftige Menschen. Der sozialistischen Regierung fällt dazu nur wenig ein.

Von Tilo Wagner |
Blick vom Miradouro de Santa Luzia über das Viertel Alfama in der Altstadt von Lissabon
Blick vom Miradouro de Santa Luzia über das Viertel Alfama in der Altstadt von Lissabon (Imago/Westend61)
Zwei ältere Amerikanerinnen ziehen ihre Rollkoffer über die Pflastersteine des historischen Lissabonner Stadtteils Alfama. Das malerische Viertel zwischen dem Tejo-Ufer und der alten Burg ist bei Touristen sehr beliebt. In einer der engen Gassen bleiben die beiden Damen stehen, versuchen sich zu orientieren, und finden die Tür ihrer Ferienwohnung zunächst trotzdem nicht.
Eine Straße oberhalb führt eine steile Treppe in den dritten Stock eines Altbaus. Magarida Lopes öffnet die Tür. Die kleine stämmige Frau mit den langen, angegrauten Haaren gehört zu den wenigen verbliebenen ursprünglichen Mietern in der Nachbarschaft:
"Hier in meiner Straße wohnen nur noch neun von uns. Und davon gehen nur noch vier aus ihrer Wohnung raus, der Rest ist bettlägerig. Alle anderen Wohnungen in der Gegend werden an Touristen vermietet."
Margarida Lopes am Fenster ihrer Wohnung in Lissabon
Margarida Lopes wohnt seit frühester Kindheit in ihrer Dachwohnung in Lissabons Altstadtviertel Alfama (Deutschlandradio/ Tilo Wagner)
18.000 Ferienwohnungen in Lissabon
Zwischen 2011 und 2018 stieg die Zahl der registrierten Ferienwohnungen in Lissabon von rund 500 auf 18.000 an; in der Alfama und zwei weiteren angrenzenden alten Stadtvierteln liegen fast 10.000 davon. Die sozialistische Regierung hat fast nichts dagegen getan, um den Investitionsboom in der Lissabonner Altstadt zu regulieren: Mit sogenannten Goldenen Visa – also teuren Aufenthaltserlaubnissen für die EU – werden nicht-europäische Immobilien-Investoren ins Land gelockt. Tausende von vergleichsweise wohlhabenden Rentnern aus der EU, die sich in Portugal niederlassen, zahlen hier keine Steuern. Gebürtige Lissabonner wie Magarida Lopes haben gegen die Kaufkraft der reichen Neubürger keine Chance.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Portugal wählt - Mit der Klapperkiste in den Aufschwung".
An der Balustrade ihres winzigen Balkons flattert das Werbeposter einer Supermarktkette. Lopes bekommt Lebensmittelgutscheine, wenn sie die Poster aufhängt. Darauf ist sie angewiesen.
"Wegen meiner gesundheitlichen Probleme schaffe ich es nicht mehr, regelmäßig arbeiten zu gehen. Ich habe einen Antrag auf eine Frührente gestellt. Der wurde abgelehnt. Ich kriege 189 Euro Sozialhilfe im Monat. Die Miete beträgt 145 Euro. Überleben kann ich nur, weil mir die Gemeinde und ein Bürgerverein helfen."
Touristen gehen in der Altstadt ovn Lissabon an einer Wand vorbei, auf der in mehreren Sprachen "Lissabon zu verkaufen" steht
"Lissabon zu verkaufen": Der Ausverkauf der Altstadt an ausländische Immobilieninvestoren stößt in der Stadt auf Kritik (AFP/Patricia de Melo Moreira)
Kündigung nach 60 Jahren in derselben Wohnung
Lopes kam als Baby in die kleine Dachwohnung, in der sie noch heute wohnt. Sie hat mit ihrer Mutter hier gelebt und später mit ihren drei Kindern. Als ihr Mann todkrank war, musste sie ihn auf dem Rücken die steile Treppe hinunter und bis an eine öffentliche Waschstelle tragen. Denn die Wohnung hatte zu der Zeit noch kein Badezimmer. Der Mann verstarb, sie lebt nun alleine unter dem Dach.
In der Wohnung sind überall Wasserschäden sichtbar. Die Stuckdecke ist teilweise heruntergebrochen; in den Ecken bröckelt der Putz; die Holzdielen sind an ein paar Stellen morsch. Im Juni 2018 hatte der Vermieter das Dach neu decken lassen, als ein Sturzregen fast alles zerstört hatte: Dokumente, Briefe, Haushaltsgeräte. Auf Schadenersatz wartet Margarida Lopes bis heute. Stattdessen erhielt sie vor gut einem Jahr, einen Tag vor ihrem 61. Geburtstag, Post von ihrem Vermieter: das Kündigungsschreiben.
Lopes zieht ein paar Dokumente aus einem braunen Umschlag und liest aus einem Briefwechsel mit dem Wohnungseigentümer vor. Es wird klar: Bereits vor sieben Jahren versuchte er, die Miete deutlich zu erhöhen. Damals hatte die konservative Regierung das Mietgesetz liberalisiert. Viele Mieten waren in Lissabon seit Jahrzehnten eingefroren, und das hatte dazu geführt, dass die Eigentümer nicht in ihre Gebäude investierten und die Stadt zunehmend zerfiel. Nach der Liberalisierung genoss Lopes aufgrund ihres sehr geringen Einkommens in einer Übergangszeit noch einen höheren Mieterschutz. Doch das ist jetzt vorbei. Lopes vermutet, dass der Vermieter die Wohnung für über 850 Euro anbieten wird – also fast sechs Mal so viel, wie er jetzt bekommt. Ende November muss Margarida Lopes aus ihrer Wohnung raus.
"Als würden sie uns in die Mülltonne schmeißen"
In ihrem Schlafzimmer öffnet sie die Türen ihres buddhistischen Hausaltars. Sie ist getaufte Katholikin, doch vor ein paar Jahren hat sie sich dem Buddhismus zugewandt. Sie betet um genügend Essen, Gesundheit, und für mehr Harmonie in der Nachbarschaft. Wie steht es denn mit der Nachbarschaft?
"Die Häuser in unserem Viertel stehen noch. Aber die Nachbarn verschwinden. Es ist, als würden die uns einfach in die Mülltonne schmeißen. Das Leben war so schön hier. Jetzt ist fast alles vorbei."
Alfama sei immer ein armes Wohnviertel gewesen, sagt Lopes, aber die Menschen hätten zusammen gehalten wie in einer großen Familie. Sie kann sich nicht vorstellen, irgendwo anders wohnen zu müssen:
"Hier bekomme ich mein Essen, hier geben sie mir meine Medikamente. Es gibt zwar nur noch wenige Leute hier in der Alfama, aber wenn die mich nicht auf der Straße sehen, dann rufen sie an, und wollen wissen, ob es mir gut geht, oder ob ich Hilfe brauche. Ich kann nicht irgendwo sonst in der Stadt leben."
Sozialer Wohnungsbau im Wahlprogramm
Die alleinstehende Frau hat sich bei der Stadt um eine neue Wohnung beworben. Laut Wahlprogramm wollen die Sozialisten in den kommenden Jahren rund 600 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau ausgeben. Aber ob und wann die ersten Gebäude fertig sind und zur Verfügung stehen, ist allerdings völlig unklar. Margarida Lopes hat ihre Hoffnung noch nicht aufgegeben:
"Ich brauche nicht viel. Nur einen Ort, wo ich würdig leben kann. Und ein Fenster, damit ich runter schauen kann, wenn ich mich mal wieder nicht richtig bewegen kann. Und bitte eine Wohnung in der Alfama. Denn das hier ist mein ganzes Leben."