Dienstag, 19. März 2024

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Gesetz zur Lohntransparenz
"Was man verdient, ist immer noch tabuisiert"

Das jetzt beschlossene Gesetz für mehr Lohntransparenz werde nicht viel bringen, weil es in vielen größeren Betrieben das Problem der Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen nicht gebe, sagte der Sozialwissenschaftler Stefan Sell im DLF. Das Offenlegen von Gehältern habe aber eine kulturelle Dimension.

Stefan Sell im Gespräch mit Birgid Becker | 30.03.2017
    Eine Frau und ein Mann gehen einen Flur in einem Bürogebäude entlang
    Hat das Gesetz zu mehr Lohntransparenz durchgesetzt: Familienministerin Manuela Schwesig, SPD. (Imago)
    Birgid Becker: Im Bundestag ist die Debatte angelaufen über das Gesetz für mehr Lohntransparenz. Das Ziel ists , zu mehr Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen zu kommen. Diese Neuregelungen bringen den meisten Frauen nichts - das ist die Abfuhr, die die Opposition dem Gesetz erteilt. Damit begrüße ich den Koblenzer Sozialwissenschaftler Stefan Sell. Guten Tag.
    Stefan Sell: Guten Tag, Frau Becker.
    Becker: Diese rüde Abfuhr, das Gesetz bringt den meisten Frauen nichts, die stützt sich ja vor allem darauf, dass die Neuregelungen Firmen betrifft, die im einen Fall mindestens 200 Mitarbeiter haben sollen, im anderen Fall 500 Mitarbeiter. Klar: Da fallen viele Firmen raus. Aber trotzdem: Ist diese Abfuhr berechtigt?
    Sell: Na ja, das ist natürlich der wahrscheinlich notwendige oppositionelle Widerstandsreflex auf der einen Seite. Auf der anderen Seite, schauen wir auf die Zahlen, ist da natürlich was dran. Nur 33 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten arbeiten in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitern. Das heißt, der große Teil der Beschäftigten und damit auch der betroffenen Frauen, um die es hier geht mit dem Auskunftsanspruch, sind davon überhaupt nicht betroffen. Das ist der eine Punkt. Der andere Einwand, den man vorbringen muss, ist natürlich: Nur weil ich einen Auskunftsanspruch individuell habe, heißt das ja noch lange nicht, dass ich ihn dann auch in Anspruch nehmen werde beziehungsweise die dann spannende Frage würde sein, was passiert denn dann, wenn ich eine Auskunft bekomme.
    Becker: Immerhin würde dann zutage treten, wo vergleichbare Arbeit doch unterschiedlich bezahlt wird.
    "Kleinere Unternehmen werden vom Gesetz nicht tangiert"
    Sell: Na ja, so einfach ist es eben nicht, wie sich das anhört. Das ganze Gesetz wird ja auch eingeordnet von der Ministerin und anderen in die Herstellung von Lohngleichheit und Lohngerechtigkeit. Dem stimmen ja erst mal alle wahrscheinlich zu. Aber in der Praxis ist das gar nicht so einfach. Nehmen Sie nur als paralleles Beispiel die Frage der Leiharbeit. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist gerade dort nicht umgesetzt worden vom Gesetzgeber vor Kurzem. Und es gibt sogar gute Gründe dafür, Leiharbeitern mehr Geld zu bezahlen als Stammbeschäftigten, weil sie wesentlich flexibler sein müssen, also kein gleicher Lohn, währenddessen Stammbeschäftigte sagen, warum bekommen die den gleichen Lohn, wenn sie nicht so viel Erfahrung haben. Ich will an dem Beispiel zeigen, das ist gar nicht so einfach, das miteinander zu vergleichen in der Praxis. Das Problem ist doch: In den meisten, gerade in den großen Unternehmen, die jetzt davon betroffen sind, können wir davon ausgehen, dass wir Betriebsräte oder Personalräte haben, und dort ist eine, nur aufgrund des Geschlechts vorgegebene Lohndiskriminierung relativ unwahrscheinlich bis oftmals durch Tarifverträge gar nicht vorhanden. Wo es so etwas noch geben kann, ist oftmals in den kleineren Unternehmen, die aber überhaupt nicht tangiert werden von dem Gesetz.
    Becker: Das heißt, diese Regelung, wonach Unternehmen, die mehr als 500 Mitarbeiter haben, betriebliche Verfahren einführen sollen zur Überprüfung und Herstellung von Lohngleichheit, Sie meinen, diese Regelung läuft ins Leere, weil das Problem an diesen Adressen gar nicht besteht?
    "Ursprünglich sollte der Auskunftsanspruch ab sechs Beschäftigten bestehen"
    Sell: Das ist die Einführung einer weiteren Berichtspflicht, wie wir sie in vielen Fällen mittlerweile haben für größere Unternehmen, die – so pessimistisch bin ich – nicht wirklich viel bringen wird, weil in vielen der größeren Betriebe gibt es dieses Problem nicht. Und wenn, dann gibt es heute dort schon im Regelfall ordentliche Betriebsräte, die sich darum kümmern könnten und auch sollten. Nein, das Problem ist wenn, dann eher in den kleinen und Kleinstunternehmen, wo teilweise wirklich der Inhaber, weil er auch nicht tarifgebunden ist, frei Schnauze verhandeln kann und da möglicherweise dann Männer aus welchen Gründen auch immer etwas besser bezahlt. Das sind dann diese sieben Prozent, die da immer wieder als bereinigte Lohnlücke auftauchen. Aber im Öffentlichen Dienst oder in anderen, tarifvertraglich geregelten Bereichen haben Sie das eigentlich nicht. Man muss zu dem Eindruck kommen, es handelt sich ein bisschen hier umso diese typische symbolische Politik, dass man etwas tut. Das schafft jetzt wieder eine Menge Arbeit in diesen Unternehmen. Dass es eigentlich anders geplant war, sehen Sie daran, ursprünglich sollte dieser Auskunftsanspruch bereits ab sechs Beschäftigten in den Unternehmen gelten.
    Becker: Da hat sich die Familienministerin nicht durchsetzen können. Aber ein anderer Aspekt, der war eben auch im Beitrag zu hören: Manuela Schwesig fordert ja zum Tabubruch auf. Es müsse endlich über Geld geredet werden. Das ist schon weiterhin so, dass Kollegen nicht gern über Geld sprechen. Das tut man nicht?
    "Die Frage des Einkommens ist immer noch tabuisiert"
    Sell: Ja. Das ist aber eine fast schon kulturelle Dimension, die Sie ansprechen. Sie können das ja auch vergleichen beispielsweise mit der Steuerdiskussion. In skandinavischen Ländern könnten wir im Internet nachschauen, was unsere Nachbarn im vergangenen Jahr an Steuern bis auf den Cent genau gezahlt haben. Das könnten wir uns in Deutschland nicht vorstellen, oder noch nicht. Das verweist auf diese kulturelle Dimension, dass es tatsächlich so ist, dass die Frage des Einkommens, was man verdient, immer noch durchaus tabuisiert ist. Wenn Sie tarifvertraglich eingruppiert sind, ist es ja schon ein ordentliches Stück weit aufgehoben, aber auch die Arbeitgeber haben durchaus ein Interesse daran, zum Beispiel Zulagensysteme nicht besonders transparent zu machen innerhalb der Belegschaft. Aber genau da zeigt sich ja, wo fängt jetzt der Unterschied an, der nicht berechtigt ist, und wo ist ein Lohnunterschied, zum Beispiel durch Zulagen, Leistungszulagen oder was auch immer für welche Zulagen, der durchaus inhaltlich erklärbar ist. Das ist gar nicht so einfach in der Praxis.
    Becker: Weil wir eben schon ins Ausland geguckt haben: In Österreich wurde 2011 ein ähnliches Gesetz eingeführt, in Schweden gibt es eines. Dummerweise, wenn man auf die Statistik guckt: Beide Länder können nicht für sich reklamieren, dass der Lohnunterschied, die Lücke dort wesentlich kleiner ist. Die können es auch nicht besser?
    Politik müsste öffentlich finanzierte Jobs besser bezahlen
    Sell: Nein, natürlich nicht, weil der entscheidende Punkt für die Lohnlücke – und das wurde in dem Beitrag ja auch angesprochen – hängt nicht damit zusammen, dass jemand nur, weil er Frau ist, besonders schlechter bezahlt wird. Das sind eher seltene Ausnahmen. Nein, es sind strukturelle Faktoren wie der überdurchschnittliche Teilzeitanteil und der überdurchschnittliche Anteil von frauentypischen Berufen, die schlecht bezahlt werden. Aber das hat ja nichts mit diesem Thema heute zu tun, sondern da müsste die Politik dann zum Beispiel überlegen, warum gerade Berufe, die auch aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, wenn wir an Pflege und Kinderbetreuung denken, warum die so schlecht bezahlt werden. Das wäre dann vielleicht mal eine ganz handfeste Aufgabe.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.