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Großbritannien
Volle Auftragsbücher trotz Brexit

Nordenglische Zulieferfirmen sehen dem Brexit gelassen entgegen, denn aktuell können sie sich vor Aufträgen aus dem Ausland kaum retten. Dafür verursacht vielen britischen Unternehmen aber etwas anderes Bauchschmerzen.

Von Erik Albrecht | 23.02.2018
    Die Flagge Großbritanniens und der EU nebeneinander.
    Experten warnen: Die derzeit gute Konjunktur in Großbritannien trotz bevorstehendem Brexit könnte nur ein kurzfristiger Effekt sein. (imago / Ye Pingfan)
    Unter Wasserkühlung fräst sich die Maschine in einen dicken Klotz aus Metall. Eine Glasscheibe schützt den Arbeiter am Steuerungspult. Mit 25 Beschäftigten stellt die Firma Bronte in Yorkshire Maschinenteile für die Eisenbahn- und die Öl- und Gasindustrie in Hochpräzision her. Ihre Kunden sitzen in Großbritannien, aber auch in Deutschland und anderen Ländern der Europäischen Union. Die Auftragsbücher sind voll, erzählt Oliver Gwynne, der bei Bronte für den Verkauf zuständig ist. Die Firma expandiert. Derzeit baut das Unternehmen seine kleine Werkshalle um, um in Zukunft auch Aufträge aus der Atomwirtschaft annehmen zu können.
    "In unserer Nische machen wir jedes Jahr guten Profit. Und wir suchen nach neuen Branchen. In diesem Jahr ist es die Atomwirtschaft. Es läuft gut für uns."
    So gut, dass Bronte plant, 2018 neue Mitarbeiter einzustellen – trotz aller Unsicherheit aufgrund des Brexit. Die Firma ist kein Einzelfall: Die britische Wirtschaft ist im vergangenen Jahr mit 1,7 Prozent gewachsen. Das produzierende Gewerbe verzeichnete sein stärkstes Quartal seit dreieinhalb Jahren. Und trotz eines leichten Anstiegs in den letzten Monaten ist die Arbeitslosigkeit so niedrig wie seit 40 Jahren nicht mehr. Dabei hatten EU-Befürworter in der Referendumskampagne massiv vor den wirtschaftlichen Gefahren eines Austritts gewarnt. Neue Zollschranken seien Gift für den Handel.
    Deutlich mehr Aufträge aus dem Ausland
    Stattdessen profitieren exportorientierte Firmen wie Bronte derzeit vom Verfall des Pfundkurses seit dem Brexit-Referendum. Bronte erhalte deutlich mehr Aufträge aus dem Ausland, sagt Gwynne. Zudem strukturierten britische Firmen ihre Zulieferketten um:
    "Manche fragen sich vor dem Brexit, ob sie nicht alles im Vereinigten Königreich statt im Ausland herstellen lassen könnten. Das ist eine spannende Entwicklung, die uns zugute kommt."
    Umfragen zufolge denkt jedes dritte britische Unternehmen darüber nach, sich neue Zulieferer auf der Insel zu suchen, um sich gegen die Folgen des Brexit abzusichern. Dass Bronte im Gegenzug europäische Kunden verlieren könnte, sorgt Gwynne dabei kaum.
    "Unternehmen bestellen bei uns, weil wir das Know-how und die Fähigkeit haben. Und das wird sich auch nach dem Brexit nicht über Nacht ändern.
    Nur ein kurzfristiger Effekt
    Auch große Firmen hielten bislang an ihren britischen Standorten fest, beobachtet der Ökonom Jonathan Perraton von der Universität Sheffield. Doch das könnte nur ein kurzfristiger Effekt sein. Zudem täuschten die guten Wirtschaftsdaten darüber hinweg, dass Großbritannien schon jetzt langsamer als andere große europäische Volkswirtschaften wachse.
    "Wenn Firmen über ihre nächste Generation von Fabriken entscheiden, wird Großbritannien weniger attraktiv sein als andere europäische Länder. Statt eines plötzlichen Einbruchs werden wir also eher langsam über die nächsten 20 Jahre an Wirtschaftskraft verlieren."
    Angst vor steigenden Rohstoff-Kosten
    In der Durham Foundry fließt das rot glühende Eisen aus einem großen Bottich in eine Form aus Sand. Ein Teil für eine Baumaschine entsteht. Auch die Gießerei in Sheffield arbeitet derzeit am Limit. Ihre Auftragsbücher sind so voll wie schon lange nicht mehr. Bei vielen seiner britischen Kunden boome der Export, sagt auch Geschäftsführer Mike Naylor. Trotzdem bleibt er skeptisch:
    "Die Aufträge sind nicht das Problem. Wenn die Produktionskosten steigen, wird es umso teurer, je mehr wir zu tun haben. Für mich ist ein Albtraum, was mit den Kosten meiner Rohstoffe passiert."
    Vor allem für Roheisen zahlt Mike Naylor heute 30 bis 50 Prozent mehr als vor dem EU-Referendum. Das sei die Kehrseite des schwachen Pfunds.

    "Ich musste meine Preise schon um zehn Prozent anheben. Die Inflation steigt im Vereinigten Königreich, und ich heize sie noch an. Die Probleme sind also größer als der Nutzen. "
    Und, so ergänzt er noch: Die Probleme werden bleiben.