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Hate-Speech-Gesetz
"Faktisch eine Einschränkung der Meinungsfreiheit"

Das "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" von Justizminister Heiko Maas sorgt für heftige Kontroversen. Es sei "faktisch eine Einschränkung der Meinungsfreiheit", sagte Johannes Baldauf von der Amadeo-Antonio-Stiftung im DLF. Sexismus, Homophobie und Antisemitismus ließen sich nicht per Gesetz verbieten. Es brauche andere Maßnahmen.

Johannes Baldauf im Gespräch mit Mario Dobovisek | 19.05.2017
    Identitäre Bewegung, Demo am 4.3.2017 in Berlin.
    Was im Netz sichtbar werde, sei das, was bei vielen Leuten los sei, sagte Johannes Baldauf von der Amadeo-Antonio-Stiftung im DLF. Um das Verhalten der Nutzer zu ändern, müsse auf das gesellschaftliche Klima eingewirkt werden. (imago / IPON)
    Mario Dobovisek: Kaum eine Diskussion im Netz, in den sozialen Medien kommt mehr ohne Polemik aus. Viel zu oft driften dann kritische Kommentare, Posts und Tweets ab in Beleidigungen und Hass bis hin zu Morddrohungen. Viele User halten dagegen in ihren eigenen Kommentaren, melden die auffälligen Postings auch, andere scrollen einfach weiter, sehen weg. Und die Betreiber wie Facebook reagieren oft langsam oder gar nicht. Justizminister Heiko Maas will das mit seinem Netzwerk-Durchsetzungsgesetz – so heißt das nämlich – ändern, die Betreiber in die Pflicht nehmen und mit hohen Geldstrafen belegen. Zensur befürchten die Kritiker und der Minister besserte nach, ein bisschen jedenfalls – Thema heute im Bundestag.
    Am Telefon begrüße ich Johannes Baldauf. Er beschäftigt sich mit menschenverachtenden Phänomenen im Netz, mit Hass und Rechtsextremismus, als Referent bei der Amadeo-Antonio-Stiftung, die die Zivilgesellschaft in Deutschland gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus stärken will. Guten Tag, Herr Baldauf.
    Johannes Baldauf: Hallo!
    Dobovisek: Ein Gesetz gegen Hass im Internet, kann das funktionieren?
    Baldauf: Nein, das kann nicht funktionieren, weil wir letztendlich ja über ein Problem reden, was zwar im digitalen Raum sichtbar ist, aber primär ein gesellschaftliches Problem ist. Menschenverachtende Einstellungen, Rechtsextremismus, aber auch sexistische Haltungen, Homophobie, Antisemitismus, das lässt sich nicht per Gesetz verbieten, sondern da braucht man andere Maßnahmen.
    Dobovisek: Aber wenn Heiko Maas über Bedrohung, Beleidigung, Volksverhetzung wie die Auschwitz-Lüge spricht und das ohnehin verboten ist, wie wollen Sie das dann besser durchsetzen?
    Baldauf: Na ja. Ich glaube, da muss man auch noch mal ein bisschen unterscheiden. Natürlich ist es selbstverständlich, dass Sachen wie Holocaust-Leugnung gelöscht werden müssen. Es ist natürlich auch selbstverständlich, dass das verfolgt werden muss. Aber wenn wir über dieses ganze Phänomen Hassrede im Netz sprechen, dann sind das ja auch viele Sachen, die sind vom Gesetz gar nicht genau erfasst. Das heißt, es geht eigentlich auch an dem vorbei, wofür es ursprünglich gedacht war. Schauen wir uns zum Beispiel nur an, was auf Twitter passiert in Sachen Sexismus, die ganzen Aktivistinnen, die da auch stark unterwegs sind. Denen ist damit nicht zwingend geholfen. Und wir haben es auch eben schon im Beitrag gehört: Es schützt auch nicht vor Missbrauch. Und natürlich ist das eine ganz, ganz gängige Taktik, dass man die wenigen Leute, denn wir haben einfach viel zu wenig, die sich im Netz dagegen stellen, dass man die Leute bloßstellt, dass man ihre privaten Informationen veröffentlicht etc., und das ist theoretisch mit so einem Gesetz noch viel leichter machbar. Und insofern: Das ist wirklich keine Hilfe.
    "Zivilgesellschaft findet zu wenig im Netz statt"
    Dobovisek: Warum stellen sich so wenige dagegen? Warum scrollen so viele einfach weiter?
    Baldauf: Ich glaube, das ist letztendlich ein Versäumnis, wo wir tatsächlich viele Jahre zurückschauen müssen, wo wir auch feststellen müssen, Zivilgesellschaft findet zu wenig im Netz statt. Wir reden da jetzt seit zwei Jahren drüber, aber das tun wir auch erst, als wir gemerkt haben, das Problem ist jetzt ganz schön groß geworden. Das heißt, wir haben über viele, viele Jahre was versäumt, und jetzt soll ein Gesetz quasi da den Deckel draufmachen.
    Die Intention ist ja richtig. Wir müssen da dringend was tun. Und natürlich muss man auch schauen, wo können Betreiber da auch noch mal massiv was nachbessern. Das sagen die aber auch selber, dass sie hier nicht zufrieden sind mit dem Stand, wie es heute ist.
    Dobovisek: Aber ändern tun sie es trotzdem nicht.
    Baldauf: Ja! Da muss man natürlich noch eine Menge machen. Aber ich finde, der politische Druck, den wir eigentlich schon seit zwei Jahren hatten, der kann nicht in einem Gesetz münden, sondern da hätte man ganz anders auf die Betreiber einwirken müssen.
    Das gesellschaftliche Klima verändern und damit das Verhalten der User
    Dobovisek: Aber wenn ein Mitarbeiter zum Beispiel eines solchen Betreibers gerade mal zwei, drei Minuten Zeit hat, um über ein Posting zu entscheiden, noch nicht mal recherchieren kann, sich das gar nicht genau angucken kann, wie soll das dann funktionieren in der Selbstkontrolle?
    Baldauf: Na ja, das geht nur bis zu einem gewissen Punkt. Deswegen hat man das eigene Regelwerk und muss ab einem bestimmten Punkt einfach sagen, hey, das ist jetzt ein Fall für die Justiz, das ist ein Fall für die Polizei. Aber da müssen wir uns dann auch fragen, sind die überhaupt in der Breite, was das Personal angeht, aber auch, was das Fachwissen für bestimmte Phänomene im digitalen Raum angeht, gut genug aufgestellt. Aber das wird von dem Gesetz nicht abgedeckt.
    Natürlich ist es ein großes Problem, dass man extrem wenig Zeit hat, das zu bearbeiten. Aber selbst wenn ich noch 10.000 weitere Leute einstelle, wird es immer wieder an solche Punkte kommen, weil es einfach diese große Masse gibt, weil für viele Leute die sozialen Netzwerke der Ort sind, wo sie dann einfach alles rauslassen können. Dann kommen wir wieder zurück zum gesellschaftlichen Klima. Das ist am Ende das, worauf man einwirken muss, um genau das zu ändern.
    Dobovisek: Das Internet als Spiegelbild der Gesellschaft - immer wieder ein gern genutztes Bild für das Netz -, aber auch ein Katalysator. Es fallen die Hemmungen, es fallen die Schranken. Warum ist das so?
    Baldauf: Ich weiß jetzt nicht, wieviel Zeit wir dafür haben. Deswegen kann man das, glaube ich, nur kurz umreißen.
    Soziale Medien zeigten, was bei ganz vielen Leuten los sei
    Dobovisek: Aber wir brauchen ja genau diese Erkenntnis, um das große Rad, wie Sie es beschreiben, der gesamtgesellschaftlichen Diskussion führen zu können.
    Baldauf: Na ja. Es geht erst mal darum, irgendwie wieder mit vielen Menschen ins Gespräch zu kommen. Ich glaube, das ist schon ein großes Problem. Wir haben ja schon viele Programme und viele Menschen, die sich zum Beispiel um rechtsextreme Einstellungen kümmern. Aber natürlich müssen wir uns da fragen, wo erreichen wir auch die Leute, die erreicht werden müssen. Ist es nicht so, dass wir plötzlich durch soziale Medien zum ersten Mal auch wirklich die Gelegenheit haben zu sehen, was bei ganz vielen Leuten los ist? – Natürlich gibt es einfach Effekte im Netz, das muss man wissen, wo sich Leute gegenseitig in ihren Meinungen verstärken, und das schaukelt sich hoch. Aber es ist ja nicht so, dass ich irgendwie einen Rechner anschalte und dann radikalisiert werde, sondern ich muss ja eine bestimmte Grundhaltung einfach mitbringen, um mich überhaupt in bestimmte Kreise zu bewegen, und das ist doch der Punkt, über den wir sprechen müssen.
    "Sorge, dass mit dem Gesetz die Debatte als abgeschlossen betrachtet wird"
    Dobovisek: Und trotzdem, wenn wir gesamtgesellschaftlich im Moment ganz offensichtlich nicht in der Lage sind, das in den Griff zu bekommen, entsprechende Hasskommentare zu stoppen und damit umzugehen, warum ist dann ein Gesetz ein Fehler?
    Baldauf: Na ja. Das Gesetz wird an dem Problem nichts ändern, und das ist letztendlich in dem Fall keine Hilfe, sondern wird das Ganze eher behindern. Unsere Sorge bei der ganzen Sache ist ja, dass mit dem Gesetz auch die Debatte als abgeschlossen betrachtet wird, und das kann es nicht sein, sondern wir sind jetzt erst gerade dabei, endlich mal über diese Dinge zu reden.
    Ich finde, der Vorstoß der Politik, dass wir da unbedingt was machen müssen, der ist großartig und das können wir auch wirklich nur unterstützen. Aber die Frage ist: Ist das, was in dem Gesetz formuliert wird, tatsächlich eine Hilfe, eine Lösung, ein Ansatz für das Problem, was wir eigentlich bearbeiten müssen? Und da müssen wir sagen: Nein, das ist leider keine Hilfe.
    "Wir haben faktisch eine Einschränkung der Meinungsfreiheit"
    Dobovisek: Sie sagen, das Gesetz behindert. Aber schadet es auch?
    Baldauf: Ja, definitiv! Es wird jetzt schon von vielen Seiten gesagt, dass es eine Konsequenz daraus sein kann, dass deutlich mehr Dinge gelöscht werden, als es angemessen wäre. Das heißt, wir haben faktisch eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Es kann dazu führen, dass es missbraucht wird, weil wer kontrolliert es schon, wenn jetzt Leute sagen, hey, ich wurde hier beleidigt, aber eigentlich wird es dann nur benutzt, um zum Beispiel von Aktivistinnen und Aktivisten dann private Informationen zu bekommen, um denen auch außerhalb des Netzes aufzulauern. Das sind ja alles Dinge, von denen wissen wir, und entsprechend ist das keine Hilfe.
    Der andere Punkt ist: Es wird gesagt, okay, Betroffenen soll damit irgendwie die Möglichkeit gegeben werden, einen Ansprechpartner zu haben. Aber letztendlich ist dieser Ansprechpartner, der in dem Gesetz benannt wird, eigentlich nur ein zahnloser Tiger, denn solange der Gerichtsstand nicht in Deutschland ist, ist das zwar eine Adresse, wo ich was hinschicken kann, aber das hat am Ende keine Konsequenz.
    Man müsste, glaube ich, auch erst über ganz andere Dinge nachdenken. Wenn wir schon über die Betroffenen sprechen, wo wir sagen, okay, denen wollen wir helfen, den Leuten ist doch viel mehr geholfen, wenn ich ihnen auch konkrete Unterstützung bieten kann, und nicht nur, wenn ich dafür sorge, dass dann ein bestimmter Inhalt nicht mehr sichtbar ist. Wer sorgt denn dafür, dass die Leute eine rechtliche Unterstützung haben? Wer sorgt da für eine psychologische Unterstützung und all diese Dinge?
    Dobovisek: Viele offene Fragen also.
    Baldauf: Ja! Und könnte man nicht eher den ganzen politischen Druck, den man hat, den man aufgebaut hat auch über die letzten Jahre, dafür benutzen, die Betreiber zum Beispiel dazu zu bewegen zu sagen, hey, lasst uns doch zusammen einen Fonds aufsetzen, wo wir uns genau um diese Dinge kümmern. Weil das Ziel muss ja auch sein, die Gesellschaft zu stärken.
    Dobovisek: Das, Herr Baldauf, nehmen wir mit in die Debatte.
    Baldauf: Ja, sehr schön!
    Dobovisek: Johannes Baldauf ist bei der Amadeo-Antonio-Stiftung. Vielen Dank für das Gespräch.
    Baldauf: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.