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Wohnungslose in der Corona-Pandemie
"Es gibt viel zu wenig Unterkünfte für obdachlose Menschen"

Ulrike Kostka von der Caritas Berlin wünscht sich einheitlichere Standards bei der Versorgung von Wohnungslosen. Es sei wichtig, dass obdachlose Menschen Zugang zu Wohnraum und zu Gesundheitsversorgung hätten, gerade in einer Pandemie. Immer nur mit Notsystemen zu arbeiten, sei nicht der richtige Weg.

Ulrike Kostka im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
Ein Obdachloser sammelt Flaschen in der Kölner Innenstadt, Ende März 2020 | Verwendung weltweit
Die Lage vieler Obdachloser ist verzweifelt. Corona verschärft die Situation zusätzlich. (picture alliance / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt)
"Bleiben Sie zuhause!" So lautete im Frühjahr der Appell der Bundesregierung. Da die Fallzahlen derzeit wieder steigen, sind auch heute die Menschen wieder angehalten, ihre Kontakte einzuschränken. Weitere Maßnahmen, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen, sind derzeit im Gespräch.
Besonders für Wohnungslose ist die Corona-Krise eine große Herausforderung. Denn die, die kein Dach über dem Kopf haben, können nicht zu Hause bleiben und auch der Zugang zu einer sanitären Versorgung ist oft nur eingeschränkt möglich. Angesichts des Winters könnte sich die Lage für sie weiter verschärfen.
Ulrike Kostka ist Direktorin des Caritas-Verbandes für das Erzbistum Berlin und Vorsitzende der Katholischen Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Auch wenn die Wohnungslosenhilfe sich mittlerweile vorbereitet hätte, fehle es immer noch an ausreichend Platz und Geld für Versorgung der Menschen, sagte sie im Dlf. Es sei wichtig, dass Obdachlose Zugang zu Wohnraum und zu Gesundheitsversorgung hätten, weil nur dies die Probleme langfristig löse.
Drei Obdachlose sitzen in Berlin mit großem Abstand auf Parkbänken auf einem Platz in Kreuzberg.
Obdachlose in der Coronakrise - Die Letzten auf der Straße
Obdachlose hat die Coronakrise bereits hart getroffen. Viele Notunterkünfte sind wegen der Pandemie geschlossen. Auf den Straßen gibt es kaum noch Menschen – also auch viel weniger Spenden. Gleichzeitig ist der politische Wille, den Menschen zu helfen, so groß wie lange nicht mehr.

Büüsker: Frau Kostka, vielleicht machen wir erst mal einen Blick zurück. Als im März die Straßen in Deutschland, in deutschen Städten plötzlich leer waren, was hat das für obdachlose Menschen bedeutet?
Kostka: Für obdachlose Menschen hat das bedeutet, dass für sie eigentlich das ganze Hilfesystem zunächst erst mal zusammengebrochen ist. Suppenküchen mussten schließen, Tagesstätten mussten schließen und alle mussten sich erst mal neu orientieren. Und es waren natürlich auch viel weniger Menschen unterwegs. Das heißt, sie konnten auch weniger Flaschen sammeln oder auch betteln.
Büüsker: Das heißt im Prinzip, die Einschränkungen öffentlichen Lebens hatten negative Auswirkungen auf das Leben Wohnungsloser?
Kostka: Ja! Wir haben richtig erlebt, dass obdachlose Menschen Hunger hatten, dass sie völlig orientierungslos waren. Aber Gott sei Dank wurde eigentlich in allen Städten sehr schnell versucht, dann auch zu reagieren, und das hat zum Teil ganz gut geklappt.
"Viel zu wenig Unterkünfte für Obdachlose"
Büüsker: Wie beurteilen Sie denn aktuell den Stand der Wohnungslosenhilfe in der Pandemie?
Kostka: Ich denke, alle haben sich darauf eingestellt. Aber gleichzeitig ist es total schwierig, weil es einfach viel zu wenig Unterkünfte für obdachlose Menschen gibt mit genügend Platz, und nach wie vor ist die Wohnungslosenhilfe auch nicht gut ausgestattet. Das heißt, es fehlt Platz, es fehlt Geld und es fehlen auch zum Teil Mindeststandards in der Versorgung und da muss sich ganz dringend etwas tun.
Büüsker: Wie steht es eigentlich um die Gesundheitsversorgung von Wohnungslosen, die ja auch teilweise überhaupt gar keine Krankenversicherung haben?
Kostka: Grundsätzlich ist es so, dass es viele niederschwellige Projekte gibt, Praxen. Wir haben zum Beispiel eine Ambulanz am Bahnhof Zoo und viele andere haben das auch. Aber es ist wirklich nur eine Erstversorgung, und da wäre es ganz dringend wichtig, dass wirklich deutschlandweit die Versorgung verbessert wird, weil Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht und gerade unter Pandemie-Bedingungen ist das so, so wichtig, dass obdachlose Menschen Zugang zu Gesundheitsversorgung haben.
"Immer nur Notsysteme, das ist nicht das richtige System"
Büüsker: Wen sehen Sie da konkret in der Pflicht?
Kostka: Grundsätzlich wünschen wir uns wirklich Standards für alle Wohnungslosen in ganz Deutschland, weil die Städte sehr unterschiedlich reagieren und auch die Bundesländer. Es ist wichtig, dass wirklich obdachlose Menschen Zugang zu Wohnraum und zu Gesundheitsversorgung haben, weil nur das löst die Probleme langfristig. Immer nur Notsysteme, das ist nicht das richtige System, sondern wir machen die Erfahrung: Wenn die Leute besser untergebracht sind, nehmen sie auch mehr Beratung oftmals in Anspruch und man findet dann auch neue Perspektiven für die Menschen mit ihnen gemeinsam.
Büüsker: Verlässt sich der Staat hier auch ein bisschen auf kirchliche Träger und das Engagement von Freiwilligen in der Wohnungslosenhilfe?
Kostka: Das ist ganz klar. Das machen wir natürlich auch gerne. Aber ich erlebe schon manche Städte, dass sie sich zu sehr darauf verlassen und nicht die Initiative selber ergreifen.
Berlin möchte ich da ausdrücklich hervorheben. Hier ist viel passiert. Wir haben da als Wohlfahrtsverbände mit Berlin, glaube ich, viel zusammen in die Wege bringen können. Aber gleichzeitig ist es immer noch oftmals ein Notsystem und das ganz, ganz Entscheidende ist der Zugang zu Wohnraum, weil wenn Menschen Wohnungen haben, dann haben sie natürlich auch eine ganz andere Ausgangssituation.
Wohnungslosikgkeit - Bezahlbarer Wohnraum als Mangelware
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe geht von über einer Million wohnungsloser Menschen in Deutschland aus. Gerade Menschen mit geringem Einkommen seien praktisch chancenlos auf dem Wohnungsmarkt in den Großstädten.
"Man braucht eine ganz umfassende Wohnungspolitik"
Büüsker: Was ja gerade in einer Stadt wie Berlin kompliziert ist, wo der Wohnungsmarkt ohnehin unter Druck ist. Was wünschen Sie sich hier tatsächlich von Berlin? Was sollte da passieren?
Kostka: Wir wünschen uns, dass bei allen Neubauten mindestens 30 Prozent der Wohnungen wirklich bezahlbarer Wohnraum und Sozialwohnungen sind, und wir wünschen uns, dass jeder Quadratmeter dafür genutzt wird, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Das heißt, wir brauchen Grundstücke. Auch wir freien Träger können bauen. Und wir brauchen auch einen Zugang für Menschen zu Wohnraum, die zum Beispiel eine schlechte Schufa haben oder andere Probleme, dass sie sich nicht ganz hinten anstellen müssen, oder auch psychisch Kranke. Das ist so wichtig.
Jede Wohnung, die zum Beispiel auch nicht verloren geht, indem man zum Beispiel Zwangsräumungen aussetzt – das ist auch ganz wichtig jetzt in der Pandemie -, ist eine erhaltene Wohnung. Man braucht eine ganz umfassende Wohnungspolitik, um Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit zu bekämpfen, und nicht nur Notsysteme. Das ist uns ein großes Anliegen.
Büüsker: Wie gehen Sie denn eigentlich aktuell damit um, wenn Sie es zu tun haben mit einem Corona-positiven Wohnungslosen? Quarantäne muss ja auch da irgendwie stattfinden. Aber wenn eine Person kein Zuhause hat, wo soll sie in Quarantäne gehen?
Kostka: Das eine ist, dass wir in Berlin eine Quarantäne-Station schaffen konnten. Wir haben auch eine Krankenstation für Obdachlose als Caritas. Da ist auch die Möglichkeit zu isolieren. In den Einrichtungen, wenn sie Einzelzimmer haben, ist das natürlich auch möglich. Es sind, glaube ich, ganz gute Hygienekonzepte entwickelt worden. Aber gleichzeitig ist es auch wichtig, dass wir nicht nur Großeinrichtungen haben, große Notunterkünfte, sondern auch viele kleine, und da erleben wir zum Beispiel, da das natürlich jetzt weniger Plätze sind, weil die Abstände größer sind – es ist sehr unbefriedigend -, dass die Kosten, die dadurch entstehen, nach wie vor noch nicht in allen Städten wirklich übernommen werden und damit viele kleine Einrichtungen, die jetzt gerade sehr sinnvoll sind, unheimlich gefährdet sind. Da müssen wir was tun.
Wir brauchen viele dezentrale Einrichtungen und natürlich auch Ehrenamtliche, die das machen wollen, weil wir haben auch ein Problem, dass viele Ehrenamtliche älter sind. Wer sich ehrenamtlich engagieren will – herzlich gerne! Sie sind herzlich eingeladen.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
"Wir erleben eine unheimliche Unterstützung"
Büüsker: Die Krise ist ja auch ein bisschen Herausforderung für unser soziales Miteinander, stellt gegenseitige Solidarität auch auf die Probe. Machen Sie sich ein bisschen Sorgen, dass das vielleicht auch was mit der Hilfsbereitschaft für Wohnungslose machen könnte, eher zum Negativen?
Kostka: Eigentlich genau das Gegenteil. Wir erleben eine unheimliche Unterstützung für wohnungslose Menschen wirklich in vielen Städten. Das ist wirklich prima. Viele spenden, viele fragen nach, wie sie helfen können. Ich glaube, gerade die Situation von wohnungslosen Menschen ist noch mal sehr in den Mittelpunkt geraten.
Die Frage ist, wie geht es weiter, weil wir erleben jetzt zum Beispiel schon die ersten Kürzungen, weil natürlich die öffentlichen Haushalte in Gefahr geraten, und dann ist die Frage, wie wird es langfristig mit der Wohnungslosenhilfe weitergehen. Die Bevölkerung ist sehr, sehr solidarisch. Das ist prima. Aber die Frage ist, wie sind die langfristigen Perspektiven, und damit setzen wir uns natürlich auch auseinander.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.