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Hotelbranche in den Herbstferien
"Viele Gäste konnten kurzfristig keinen Test mehr bekommen"

Es sei eine Katastrophe, wie unkoordiniert in vielen Bundesländern auf das Infektionsgeschehen reagiert werde, sagte die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes, Ingrid Hartges, im Dlf. Es sei fraglich, ob das Beherbergungsverbot in dieser Geschwindigkeit verhältnismäßig sei.

Ingrid Hartges im Gespräch mit Peter Sawicki |
Immer mehr Gebiete in Deutschland werden zu Corona-Risikogebieten. Das macht es in den Herbstferien für Betreiber von Hotels und Ferienwohnungen kompliziert. Wer in einem Risikogebiet lebt und in Deutschland Urlaub machen will, muss einen frischen negativen Corona-Test vorliegen, aber das gilt nicht überall gleichermaßen. Ingrid Hartges, die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes, sieht das kritisch.
"Es hagelt Stornierungen"
Peter Sawicki: Wie schwer wiegen die neuen Maßnahmen für die Hotelbranche?
Ingrid Hartges: Ja, es ist eine Katastrophe, was wir wahrnehmen. Es hagelt Stornierungen, und es ist natürlich unglaublich bitter, dass das jetzt pünktlich zur Herbstsaison kommt und auch sehr unkoordiniert und in vielen Bundesländern über Nacht. Es steht ja völlig außer Frage, dass wir das Infektionsgeschehen beherrschen müssen, in den Griff bekommen müssen und im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung handeln müssen, aber eben auch im Interesse der Wirtschaft. Dieser Balanceakt, da habe ich erhebliche Zweifel, ob der diese Woche gelungen ist.
Es stellen sich schon Fragen, ob das Beherbergungsverbot auch ohne Vorlauf in dieser Geschwindigkeit – und es war ja für die Gäste eine Überforderung und auch für unsere Betriebe –, ob das wirklich verhältnismäßig ist.
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In der Kürze der Zeit einen Negativtest besorgen
Sawicki: Da können wir direkt da dranbleiben, beim Thema über Nacht beziehungsweise, wie Sie sagen, dass das jetzt kurzfristig passiert ist. Wenn man aber genau draufschaut, in Sachsen-Anhalt gilt dieses Einreiseverbot, was jetzt weitgehend flächendeckend gilt, seit Ende Juni schon. Kann man also wirklich sagen, dass man jetzt überrascht ist, dass das alles aus heiterem Himmel kommt?
Hartges: Es gab im Juli eine Verständigung, der Sachverhalt Gütersloh war ja da bekannt. Da ist es in der Tat so, dass einige Bundesländer dann auch schon ein Beherbergungsverbot vorgesehen haben, es sei denn, da lag ein negativen Test vor. Wir sind aber jetzt in der Situation, dass wir doch viele größere Risikogebiete haben, dass es für die Gäste auch gar nicht möglich ist, sich in der Kurzfristigkeit einen Negativtest zu besorgen, weil nachvollziehbar sind erst mal bevorrechtigt Menschen aus dem Gesundheitswesen, Bildungswesen, die sich testen lassen dürfen.
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Infektionszahlen relativ schnell wieder unter 50 gebracht
Sawicki: Aber wenn ich da kurz einhaken darf: Menschen beispielsweise in Köln, die hätten ja auch in den vergangenen ein, zwei Wochen ja die Entwicklung beobachten können, das heißt, man hätte ja das durchaus voraussehen können, miteinkalkulieren können.
Hartges: Ja, aber nicht überall. In Bremen und auch in manchen Berliner Bezirken kam es dann doch relativ schnell, und man hat ja auch die Erfahrung gehabt in München und Würzburg, dort sind die Infektionszahlen relativ schnell wieder unter 50 gebracht worden.
Einheitlicher Rahmen wichtig
Sawicki: Das heißt, was ist aus Ihrer Sicht jetzt der Weg da raus, aus dieser Situation?
Hartges: Die Debatte der ganzen Woche hat gezeigt, dass es wichtig ist, dass die Bundesländer sich auf einen einheitlichen Rahmen verständigen, und dann kann jedes Bundesland abhängig vom Infektionsgeschehen die Maßnahmen in Kraft treten lassen oder eben auch, wenn es mal wieder in die andere Richtung geht, Lockerungen vornehmen. Aber wir brauchen alles, was die Gäste betrifft, brauchen wir bundesweit einheitliche Regeln, das erhöht die Akzeptanz, ist auch viel einfacher zu kommunizieren und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass auch alle Bürger dann darüber informiert sind, was gilt.
Beherbergungsverbote für Bezirke, dann für ganz Berlin
Sawicki: Stichwort Einheitlichkeit beziehungsweise nicht vorhandene Einheitlichkeit: Gibt es da Bundesländer, die Sie da speziell in den Blick nehmen?
Hartges: Ach, das ist bei dem Sachverhalt Gästeregistrierung mal das Bundesland und jetzt beim Beherbergungsverbot, da gab es ja den Stress hier mit den Bezirken, wo zunächst Bayern gesagt hat, wir stellen auf die Bezirke in Berlin ab, Menschen aus diesen Risikogebieten dürfen bei uns nicht einreisen. Das ist Donnerstag nach Mitternacht per Ministerialerlass verkündet worden, und gestern im Laufe des Tages wurde dann ganz Berlin als Risikogebiet deklariert, also die ganzheitliche Betrachtung, die der Regierende Müller angemahnt hatte, ist dann auch von Bayern vorgenommen worden.
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Schnelltests: "In der Kurzfristigkeit schaffen wir das jetzt nicht"
Sawicki: Genau, das ist ja jetzt behoben worden. Aber Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise …
Hartges: Aber ich kenne viele Menschen, die waren noch in guter Hoffnung, dass sie eben aus Bezirken etwas außerhalb mit niedrigem Infektionsgeschehen heute nach Bayern einreisen können, und so kurzfristig kriegen sie dann eben auch keinen Test. Da frage ich mich wirklich, ist da die Verhältnismäßigkeit gewahrt, oder hätte man diese Regelung, hätte man nicht jetzt sagen müssen, okay, in fünf Tagen, in sieben Tagen gilt Beherbergungsverbot, aber in der Kurzfristigkeit schaffen wir das jetzt nicht. Und es muss unbedingt dafür gesorgt werden, dass in ausreichendem Umfang Schnelltests, belastbare Schnelltests natürlich fürs Gesundheitswesen, aber auch für unsere Branche zur Verfügung stehen.
Quarantäne in MVP: "Da wird ja kaum ein Gast anreisen"
Sawicki: Das haben wir ja jetzt im Beitrag unter anderem gehört, dass Nordrhein-Westfalen ja Tests zur Verfügung stellen will, möglichst kostenlose, für die vielen Reisenden. Ist das also schon mal ein Schritt in die richtige Richtung für Sie?
Hartges: Ja, auf jeden Fall. Es gibt ja auch viele ungeklärte Fragen, wir fühlen uns auch ziemlich alleine gelassen. In Mecklenburg-Vorpommern kommt ja noch Quarantäne hinzu, und das heißt, dort wird ja kaum ein Gast anreisen. Er muss einen Negativtest mitbringen, dann muss er fünf Tage aufs Zimmer, muss zwei Tests machen…
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Zehn Tage Urlaub, fünf Tage Quarantäne
Sawicki: Das wollte ich gerade noch ergänzen, also wie sinnvoll ist so eine Verschärfung?
Hartges: Das löst sehr, sehr viele Irritationen aus, und dann ist es ja faktisch ein Reiseverbot. Ich fahre ja nirgendwo hin mit einem Negativtest, wenn ich dann dort auch noch mal fünf Tage in Quarantäne muss und insgesamt nur zehn Tage Urlaub gebucht habe.
"Das Hotel ist ein sicherer Ort"
Sawicki: Was das Beherbergungsverbot an sich angeht: Markus Söder sagt ja beispielsweise, der Ministerpräsident von Bayern, dass es ja verhindert werden soll, dass der Tourismus überhaupt zu einem Infektionsherd wird. Sehen Sie da grundsätzlich diese Argumentation?
Hartges: Zunächst bleibt mal festzuhalten, dass im Sommer viele Menschen in unserem Land Urlaub gemacht haben, in der heimischen Hotellerie, und es ist überhaupt kein Infektionsgeschehen da aufgetreten. Also das Hotel ist ein sicherer Ort, und das vermisse ich in der ganzen Diskussion, dass das auch mal seitens der Politik herausgestellt wird.
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Corona-Maßnahmen in Großstädten - Individuell vor Ort reagieren
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"Es sind eben die wilden Partys, unkontrolliert in Parks"
Sawicki: Aber da waren ja auch die Infektionszahlen insgesamt noch niedriger. Deswegen sollte man jetzt nicht sozusagen darauf achten, dass die jetzt nicht noch höher werden.
Hartges: Ja, es ist nur die Frage, was sind die geeigneten Maßnahmen. Sie haben ja vorhin auch in dem Bericht, und das war ja auch gestern Gegenstand in der Schalte der Bundeskanzlerin mit den OBs der Großstädte, dass es eben die wilden Partys sind, unkontrolliert in den Parks und so weiter, die Infizierung junger Menschen ist da sehr dominant in den letzten Wochen. Ich glaube, da gibt es jetzt keine Kausalität zum Thema Herbsturlaub in Deutschland – ob es das Wandern ist oder ein Ausflug an die Nordsee oder Ostsee –, da gibt es zumindest erhebliche Zweifel, ob diese Maßnahme im Rechtssinne verhältnismäßig ist.
Praxistaugliche, rechtssichere Lösungen gefragt von Bund und Ländern
Sawicki: Der niedersächsische Wirtschaftsminister Bernd Althusmann hat jetzt schon mal kurzfristige Hilfsmaßnahmen angekündigt für die Hotelbranche. Werden Sie grundsätzlich finanzielle Forderungen stellen beziehungsweise Anträge auf finanzielle Unterstützung?
Hartges: Ja, ich glaube, das wird notwendig sein, weil wir haben ja die Situation, dass viele Gäste, weil sie kurzfristig keinen Test mehr bekommen können, gar nicht einreisen können. Wer ersetzt den Schaden? Es sind so viele juristische Fragen ungeklärt, also auch, ob überhaupt der Hotelier darauf bestehen kann, dass ihm ein Negativtest vorgelegt wird, und eigentlich müsste er aus haftungsrechtlichen Gründen eine Kopie des Negativtests fertigen. Ist das datenschutzrechtlich zulässig?
Also wir haben eine Vielzahl ungeklärter Sachverhalte, und es wäre wichtig, dass wir ab sofort da einen intensiveren Dialog auf allen Ebenen haben in den Ländern, die dafür zuständig sind, aber auch auf Bundesebene, um hier eine bessere Koordinierung zu bekommen, um praxistauglichere und rechtssichere Lösungen zu schaffen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.