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Innenansichten des "System Assad"

Allen Auflösungserscheinungen zum Trotz sind Syriens Machthaber Baschar al-Assad und seine Gefolgsleute offenbar fest entschlossen, bis zum Ende auszuharren. Denn die alawitische Minderheit um Assad weiß, was ihr droht, sollte die Opposition die Oberhand zu gewinnen.

Von Ulrich Leidhold | 21.07.2012
    Von außen ist es kaum nachzuvollziehen, warum Syriens Machthaber Baschar al-Assad und seine Gefolgsleute fest entschlossen scheinen, allen Auflösungserscheinungen zum Trotz bis zum Ende auszuharren. Doch die alawitische Minderheit um Assad weiß, was ihr droht, sollte die Opposition die Oberhand zu gewinnen.

    "Keiner kann uns stoppen – sollen die Hunde doch kläffen wie sie wollen."

    Syriens Außenminister Muallim enthüllt in vier Sekunden den Charakter seines Regimes. Im Zentrum: Baschar al-Assad, der Präsident.

    "Was hier passiert, hat nichts mit Reformen zu tun, das ist Sabotage."

    So sehen Assad und seine Eliten den Protest ihrer Bevölkerung, für sie bleibt es eine Verschwörung des Auslands. Sein System ist ein Geflecht aus autokratischer Führung, allgegenwärtigen Geheimdiensten, zu allem entschlossenen Spezialeinheiten und einer krakigen Staatsbürokratie - alle zusammen halten das Land fest im Griff. Dabei sah bei Assads Start alles nach einem Kurswechsel aus. Anders als Vater Hafez gab sich Baschar modern. Er lockerte die Fesseln der sozialistischen Staats-Ökonomie, gab Privaten eine Chance.

    "Viele hielten Assad für einen Reformer, auch Politiker im Westen. Tatsächlich heißen seine Reformen Kugeln und Maschinengewehre."

    Das Urteil von Syrien-Kenner Osama Mujajed hat eine Vorgeschichte. Politisch eiferte Baschar schnell seinem Vater nach. Oder musste es unter dem Druck seiner alter Garde. Die machte ihm schnell klar, dass der Damaszener Frühling 2005 ihnen gar nicht passt. Politische Debatten, Freiheit der Kunst – das endete für viele Intellektuelle rasch in einem der berüchtigten Staatsgefängnisse. Gleichwohl feierten Assad-Beobachter wie Samir Seifan in Damaskus ihn als arabische Lichtgestalt.

    "Er stand auf gegen die Besetzung Iraks und den Angriff Israels auf Gaza. Das bedeutet normalen Arabern sehr viel. Für sie ist Assad die Nummer 1. Dafür lieben sie ihn."

    Schon lange lieben ihn dafür nicht mehr alle Syrer. Vor allem ist Assads Umgebung weithin verhasst. Allen voran Baschars Bruder Maher. Ein Sadist sagt die Opposition. Maher halten sie für den wahren Oberbefehlshaber. Er führt die zum Machterhalt unverzichtbaren Einheiten: die Republikanische und die Präsidentschaftsgarde sowie die vierte Panzerdivision - alle mit eigenen Geheimdiensten. Sie sind auf ihren Führer und das Regime eingeschworen, exzellent trainiert und deutlich besser ausgerüstet als 600.000 Soldaten und Reservisten der regulären Armee.

    Vater Hafez hatte die Zukunft der seit 1970 herrschenden Assad-Dynastie frühzeitig geordnet – Baschar als zwar etwas schüchterner, aber mehrsprachig eloquenter politischer Führer, Maher als Mann für’s Grobe, als Vollstrecker.

    Umgeben sind sie von einer Clique aus Familien- und Freundschaftsbeziehungen. Ganz dicht dran am Präsidenten: Rami Makhlouf. Als Cousin Assads und wie der in den Vierzigern gilt Makhlouf als Banker der herrschenden Familie und wird hinter vorgehaltener Hand Mr. 5-Prozent genannt, weil er überall mitkassiert oder sich rüde neue Geschäfte unter den Nagel reißt. Sein Bruder ist passenderweise Geheimdienstchef von Damaskus.

    Die New York Times ließ der Tycoon wissen, was der syrischen Opposition längst klar ist – das Regime werde bis zum Ende um seine Macht kämpfen, selbst wenn das Chaos oder Krieg im Nahen Osten bedeute.
    Auf einen Seitenwechsel der Armee darf die syrische Opposition nicht hoffen. Das Militär gilt als williges Werkzeug der Spezialkräfte, die die eigentlichen Pfeiler des Assad-Regimes stellen. Für die Opposition habe das Auswirkungen meint Hilal Khashan von der Amerikanischen Universität Beirut.

    " Die politische Führung hat systematisch jede Zivilgesellschaft zerstört. Die Opposition hat keine Führung. Ich sehe deshalb nicht, dass sie das Land politisch übernehmen könnte. Undenkbar dass sich die Armee gegen die politische Führung erhebt. 70 Prozent des Offizierscorps sind Alawiten, die beherrschende Minderheit von Präsident Assad. Die kontrollieren alles."

    Die Alawiten: eine muslimische Religionsgemeinschaft, abgespalten vom schiitischen Islam. Nur zehn Prozent der Syrer gehören ihr an, eine drei Viertel-Mehrheit besitzen die Sunniten. Doch die Alawiten kontrollieren das Land. Die jahrzehntelang tonangebende Minderheit weiß, was ihr droht, sollte die Opposition die Oberhand gewinnen. Der Protest speist sich vor allem aus der verarmten sunnitischen Landbevölkerung. Drusen, Christen, Kurden, Intellektuelle oder Begünstigte der wirtschaftlichen Liberalisierung halten sich zurück weiß die arabische Publizistin Lamis Andoni.

    "Natürlich hat Assad Unterstützer. Assad warnt sie vor Chaos und Bürgerkrieg wie im Irak. Die Leute unterstützen ihn nicht wirklich, aber sie sehen ihn als Garanten für Stabilität."

    Angst und Einschüchterung sind Merkmale eines Regimes, in dem der Sohn die skrupellose Tradition des Vaters fortsetzt. Unvergessen die Niederschlagung des Aufstands von Muslimbrüdern 1982, als Hafez al-Assad bis zu 30.000 Menschen in der Stadt Hama zu Tode bombardieren ließ. Um frühzeitig jede Aufruhr aufspüren zu können, überzieht das Regime Syrien mit einem Netz aus Geheimdiensten – auf 150 Syrer kommt ein Staats-Spitzel.

    Die Macht verteidigen – koste es was es wolle. Syriens Führungs-Clique ginge gemeinsam unter, sollte sich die Protestbewegung durchsetzen. Diese Einsicht hält das System Assad zusammen – wenn die Führung leiden müsse, dann nicht allein.

    Die Arroganz der Macht darf sich auf die Gewissheit stützen, dass der Westen nichts gegen das embargoerprobte Land in der Hand hat – Sanktionen und Resolutionen kümmern Assad wenig, eine militärische Intervention wie in Libyen hat er nicht zu fürchten. Eine bedrückende Perspektive für die Opposition meint Menschenrechtler Walid Saffour.

    "Das ist sehr bedauerlich für die Syrer, die fünf Jahrzehnte sich selbst überlassen blieben. Später werden sie sich erinnern, dass dieses Verhalten zu ihrem Unheil beigetragen hat."

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