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Innenansichten eines Sterns
Physiker haben das Herz der Sonne beobachtet

Heliophysik. - Die Sonne erzeugt in ihrem Inneren durch Kernfusion die Energie, die unter anderem Leben auf unserem Planeten ermöglicht. Wie diese Kernfusion im Detail ausschaut, darüber gibt es zwar plausible Theorien, aber der letzte Beweis stand noch aus – jedenfalls bislang. Heute stellt ein Physikerteam im Fachmagazin "Nature" Messdaten vor, die zweifelsfrei belegen, welcher Prozess für den Löwenanteil der Sonnenenergie verantwortlich ist.

Von Frank Grotelüschen | 28.08.2014
    Blick auf eine Sphäre aus dünnen Nylon, die mit einem Spezialöl gefüllt und von Sensoren umgeben ist. Im Borexino-Experiment befindet sich sich im Zentrum eines mit destilliertem Wasser gefüllten Tanks.
    Blick auf den Prototypen des Detektors, mit dem Borexino die Lichtblitze der Neutrinos misst. (Nature/Borexino Collaboration)
    Das Gran-Sasso-Labor in Italien, es liegt 1400 Meter tief in einem Berg mitten den Abruzzen. Mit seinem Wagen ist der Physiker Daniel Bick in einen zehn Kilometer langen Autobahntunnel gefahren und dann in einen Seitentunnel abgebogen – dem Eingang zum Labor. Jetzt, in einer der drei überraschend geräumigen Hallen, steuert er zu Fuß einen Stahltank an, hoch wie ein vierstöckiges Haus. In der Seitenwand mächtige Luken, fest verschraubt mit wuchtigen Muttern.
    "Ich rate niemandem, diese Luken aufzumachen. Denn sonst sprudelt einem alles entgegen und wir haben eine große Katastrophe."
    Denn Borexino, so heißt das Experiment, ist randvoll gefüllt mit destilliertem Wasser sowie einem Spezialöl, insgesamt rund 3000 Tonnen Flüssigkeit. Das meiste dient als Abschirmung vor störender Strahlung. Das eigentliche Herz des Detektors schlägt genau im Zentrum des Tanks – ein Nylonballon mit 300 Tonnen Mineralöl. Es kann schwache Lichtspuren nachweisen, verursacht von Neutrinos. Das sind ultraleichte, nahezu lichtschnelle Elementarteilchen, die direkt aus dem Sonneninneren kommen.
    "Unsere Sonne produziert Energie durch Fusion. Bei diesen Fusionsprozessen entstehen Neutrinos unterschiedlicher Energie. Dieses Energiespektrum zu vermessen, ist Aufgabe von Borexino. Wir können damit wirklich in Echtzeit ins Innere der Sonne gucken."
    Grundlegende Reaktion aufgespürt
    Seit 2007 liegt der unterirdische Öltank auf der Lauer. Die Neutrinos, die er bisher aufschnappen konnte, hatten eine relativ große Energie und stammten von eher seltenen Fusionsprozessen innerhalb der Sonne. Doch ausgerechnet jene Reaktion, die für den weitaus größten Teil der Energieproduktion sorgt, war den Forschern lange durch die Lappen gegangen. Denn die bei dieser Reaktion entstehenden Neutrinos haben eine niedrige Energie und sind nur schwer zu erkennen, weil sie nur ein sehr schwaches Leuchten im Öltank erzeugen. Doch nun vermelden die Physiker den lange erhofften Erfolg.
    "Was uns jetzt gelungen ist, ist tatsächlich die Messung der fundamentalsten dieser Reaktionen, bei der zwei Protonen verschmolzen werden",
    sagt Michael Wurm von der Universität Mainz, ebenso wie Daniel Bick Mitglied des internationalen Borexino-Teams.
    "Und die gibt eine sehr genaue Auskunft darüber, wie viel Energie der Sonne erzeugt wird."
    Bei Temperaturen von 15 Millionen Grad verschmelzen zwei Protonen, also zwei Wasserstoffkerne, zu einem einzigen, größeren Kern. Dieser Prozess ist für 99 Prozent jener Sonnenenergie verantwortlich, die das Leben auf unserem Planeten überhaupt erst möglich macht. Wie erwähnt haben die dabei entstehenden Neutrinos nur eine geringe Energie. Deshalb erzeugen sie im Tank nur ein schwaches Leuchten – so schwach, dass es leicht von radioaktiven Störungen überdeckt wird. Um die Signale dennoch zu beobachten, mussten die Forscher auf extreme Reinlichkeit achten.
    Wurm: "Borexino ist ein sehr sauberer Detektor mit wenig radioaktiver Strahlung im Inneren. Da ist viel Aufwand in die Reinigung gegangen. Seit der Zeit unserer letzten Messungen haben wir eine neue Reinigungs-Kampagne gestartet und den radioaktiven Untergrund noch mal um einen Faktor zehn reduziert. Wir sind so sauber, wie wir es noch nie vorher waren."
    Standardmodell der Sonne bestätigt
    Im Vergleich zu Meerwasser enthält das Öl im Detektortank weniger als ein Milliardstel an radioaktiven Verunreinigungen – ein Rekordwert, der die nun vorgestellten Messdaten überhaupt erst ermöglichte. Die Entstehung der Sonnenenergie – Borexino kann sie quasi live verfolgen. Und was bedeutet das Ergebnis für die Sonnenforschung?
    "Eine Bestätigung von dem Standard-Sonnenmodell, das die Astrophysiker erarbeitet haben."
    Die Physiker haben die Menge an Sonnenlicht, das die Erde erreicht, verglichen mit der Anzahl der von ihnen aufgefangenen Neutrinos. Ein aufschlussreicher Vergleich. Denn während die Neutrinos kaum mit Materie wechselwirken und deshalb sofort nach ihrer Geburt im Sonneninneren zu uns fliegen, braucht das Licht geschlagene 100.000 Jahre, um sich vom Kern der Sonne zu ihrer Oberfläche durchzukämpfen.
    Michael Wurm: "Neutrinos zeigen uns, wie die Energieproduktion in der Sonne gerade jetzt abläuft. Während das Licht, das wir sehen, praktisch 100.000 Jahre alt ist. Aus diesem Versatz kann man lernen, dass sich offensichtlich die Sonne nicht wesentlich verändert hat, also die Energieproduktion immer konstant geblieben ist."
    Eine beruhigende Nachricht, denn nun kann man noch sicherer als zuvor behaupten, dass die Sonne auch in Zukunft verlässlich scheinen wird.
    Wurm: "Ich glaube, die nächsten vier bis fünf Milliarden Jahre geben uns die Astronomen auf jeden Fall. Danach müssen wir weitergucken."