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Jahresbericht
Amnesty International kritisiert giftige politische Rhetorik

Die Organisation Amnesty International warnt in ihrem Jahresbericht vor einer Erosion der Menschenrechte weltweit. Es gebe zunehmend eine "Wir-gegen-die-Anderen"-Politik, die den Eindruck erwecke, dass manche Menschen weniger wert seien. Die Botschaft von Amnesty: "Wenn Politiker scheitern, müssen die Bürger übernehmen."

Von Anne Raith | 22.02.2017
    Aktuelle Ausgaben des Jahresberichts 2016/2017 von Amnesty International.
    Jahresbericht von Amnesty International (dpa-Bildfunk / Monika Skolimowska)
    Es ist das erste Mal, dass Amnesty International den Jahresbericht in Frankreich vorstellt. Das erste Mal überhaupt, dass die Menschenrechtsorganisation ihre Beobachtungen nicht in der Zentrale in London präsentiert.
    "Es gibt wenige Länder auf der Welt, in denen die Menschenrechte so mit der Identität des Landes verwoben sind, wie in Frankreich und das schon seit Jahrhunderten", erklärt Salil Shetty, Generalsekretär von Amnesty International, die Ortswahl in diesem Jahr.
    Doch in einem Land, in dem der Ausnahmezustand langsam zum Normalzustand werde, seien diese Bürgerrechte zunehmend in Gefahr. Hinzu kommt, dass in Frankreich in wenigen Wochen gewählt wird. Und wenn Wahlen anstehen, vergäßen Politiker gerne, was ihre Werte sind. Der Jahresbericht der Menschenrechtsorganisation solle sie daran erinnern.
    "2016 war ein Jahr, in dem sich die giftige politische Rhetorik von einem 'wir' gegen 'die' verbreitet hat. Und dieser Rhetorik liegt eine gefährliche Idee zugrunde: Dass manche weniger menschlich sind als andere".
    Kritik an "entmenschlichender" Rhetorik
    "Entmenschlichung" nennt Salil Shetty das und zählt auf, wo Amnesty International eine solche Rhetorik beobachtet hat: Im amerikanischen Wahlkampf, in der europäischen Flüchtlingsdebatte, in der Türkei nach dem Putschversuch oder im Drogenkrieg auf den Philippinen. Angst und Hass schüre diese Art zu reden und zu handeln. Und: sie stecke auch die politische Mitte an, etwa wenn der niederländische Ministerpräsident Einwanderer und Flüchtlinge in einem Brief dazu aufruft, sich "normal" zu verhalten, unterstreicht Europa-Direktor John Dalhuisen:
    "Flüchtlinge und Muslime werden dargestellt, als seien sie eine Gefahr für die Sicherheit, für die nationale Identität, als würden sie anderen Arbeitsplätze wegnehmen oder die Sozialsysteme betrügen."
    Das Dekret von US-Präsident Trump nennt Generalsekretär Shetty dann auch – für ihn folgerichtig - einen "Bann gegen Muslime".
    "Der Bann ist diskriminierend, illegal und dumm. Er macht die USA weniger sicher und weniger wohlhabend."
    Amnesty kritisiert Schließung der Balkanroute
    Statt für Menschenrechte einzutreten, prangert Amnesty International im neuen Jahresbericht an, kapitulierten die Regierenden. Zum Beispiel, indem sie Deals mit der Türkei schlössen oder die Balkanroute dicht machten. 36 Länder hätten internationales Recht verletzt, indem sie Flüchtlinge wieder zurück in ihre Heimatländer geschickt hätten, obwohl sie dort in Gefahr waren. Die Indifferenz gegenüber Kriegsverbrechen sei inzwischen der Normalzustand, prangert Salil Shetty an. Und so appelliert er am Ende seiner düsteren Bilanz, es sei an den Bürgern zu handeln, damit die Aussicht auf 2017 besser werde:
    "Where leaders fail, people must step up. Of course it is not as easy at it sounds. Yet across the world the spirit of justice is strong and will not be suppressed.”
    Der Sinn für Gerechtigkeit sei weltweit stark und werde sich nicht unterdrücken lassen.