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Jens Spahn (CDU) zu GroKo-Gesprächen
"Wir sind da nicht erpressbar"

Die CDU-Spitze strebt eine Große Koalition an, die umworbene SPD stellt Bedingungen. "Nach dem Motto, jetzt verlangen wir von der Union das, was wir immer schon mal wollten, das wird nicht gehen", sagte CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn im Dlf. Seine Partei sei auch bereit, in anderen Konstellationen Verantwortung zu übernehmen.

Jens Spahn im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jens Spahn ist Mitglied im Präsidium der CDU und Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.
    "Wenn die SPD Themen allerdings nimmt, die in der Vergangenheit sind und die der Gegenwart und nicht die der Zukunftsgestaltung, dann wird es halt schwieriger", sagt CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn. (Imago)
    Jasper Barenberg: Die Verantwortung der gewählten Parteien hat Frank-Walter Steinmeier schon vehement in Erinnerung gerufen. Und wenn der Bundespräsident die Vorsitzenden von Union und SPD für Donnerstag ins Schloss Bellevue einbestellt, dann ahnt man, wie er die Hängepartie bei der Regierungsbildung am liebsten beenden würde. Die SPD hat ihr kategorisches Nein zu dieser Option inzwischen ein Stück weit aufgegeben, stellt aber Bedingungen für eine Neuauflage der Großen Koalition. Ist die Union bereit, den Sozialdemokraten entgegenzukommen? - Am Telefon ist Jens Spahn, Mitglied im Präsidium der CDU, das gestern Abend die Lage ja beraten hat. Schönen guten Morgen, Herr Spahn.
    Jens Spahn: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    "Anscheinend wollen nur CDU und CSU wirklich regieren"
    Barenberg: Setzt die CDU jetzt klar auf Verhandlungen mit der SPD über eine dritte Große Koalition?
    Spahn: Wir sind bereit zu Gesprächen, zu Verhandlungen mit der SPD über eine mögliche Koalition. Das ist so. Das hängt natürlich auch davon ab, dass der andere Partner sprechen möchte. Man hat ja gerade schon gehört, das ist noch etwas unsortiert. Wissen Sie, was mich irritiert, Herr Barenberg, ist, dass anscheinend nur CDU und CSU wirklich regieren wollen in diesem Land und Verantwortung übernehmen wollen und alle anderen mehr oder weniger gute Gründe suchen, nicht zu regieren. Eigentlich bin ich mal in eine Partei eingetreten, um zu gestalten und um Verantwortung zu übernehmen.
    "Ich finde, wir sollten nach vorne schauen"
    Barenberg: Das will die SPD, denke ich mal, durchaus auch. Sie hat aber mit der Union, sie hat auch mit der CDU die Erfahrung gemacht, dass die Konservativen sich nicht an Verabredungen halten. So hat jedenfalls Matthias Miersch von der Parlamentarischen Linken heute früh hier im Deutschlandfunk vor einer guten Stunde argumentiert und eine Alternative ins Spiel gebracht, dieselbe, die auch Malu Dreyer erwähnt hat: eine Verabredung auf Zeit für bestimmte Politikfelder. Was spricht dagegen?
    Spahn: Zum ersten muss mir Herr Miersch mal die Dinge zeigen aus dem letzten Koalitionsvertrag, die nicht fast akribisch abgearbeitet worden sind.
    Barenberg: Solidarrente wird immer wieder genannt, Herr Spahn.
    Spahn: Na ja. Die ist im Einvernehmen von SPD und Union nicht umgesetzt worden. Die hatte auch nicht nur Freunde in der SPD. Aber ich will jetzt auch gar nicht nachkarten. Ich finde, wir sollten nach vorne schauen. Die eigentliche Frage ist doch, was sind die Zukunftsthemen für dieses Land, für Deutschland. Wir haben ein Wahlergebnis vom 24. September, das sehr klar macht, bei den Themen Migration, Integration, wie funktioniert der Rechtsstaat, haben wir Vertrauen verloren, und zwar alle, bis dahin im Bundestag vertretenen Parteien. Wenn ich Herrn Gabriel zuhöre, habe ich den Eindruck, das haben auch viele in der SPD mittlerweile verstanden. Deswegen müssen wir das Thema Kontrolle, Begrenzung von Migration, aber auch das Thema wie gelingt Integration besser in den nächsten Jahren angehen, die Frage wie bleiben wir wirtschaftlich erfolgreich, wie bleiben wir Industrieland, wie gestalten wir den demografischen Wandel und hinterlassen späteren Generationen nicht nur neue Schulden, wie lassen wir uns in Europa ein. Das sind die Themen, um die es geht, und wenn die SPD bereit ist, an diesen Themen mit uns Zukunft zu gestalten, dann werden wir eine gute, eine stabile Koalition miteinander bilden können. Wenn die SPD Themen allerdings nimmt, einmal mehr, wie in der letzten Koalition zu oft, die der Vergangenheit sind und die der Gegenwart und nicht die der Zukunftsgestaltung, dann wird es halt schwieriger.
    "Erst einmal ernsthaft über eine Regierung über vier Jahre reden"
    Barenberg: Jetzt haben Sie noch nicht gesagt, was dagegen spräche, es bei einer Tolerierung, einer Duldung, einer Verabredung, wie auch immer man sie dann nennt, zu belassen, sich auf einige Felder, wo man sich einig sein kann, zu verständigen und anzuerkennen, dass es andere gibt, wo man nicht zusammenkommt.
    Spahn: Ich finde, der erste Schritt ist, jetzt erst einmal ernsthaft, so wie auch der Bundespräsident es eingefordert hat, über eine Große Koalition, über eine Regierung, die dauerhaft Mehrheiten im Bundestag hat, über vier Jahre zu reden. Das ist der erste Schritt, und zwar wirklich ernsthaft. Das heißt dann aber auch, dass niemand Forderungen aufbaut, die der andere definitiv nicht erfüllen kann. Das ist ja irgendwie sich verweigern mit Ansage, wenn ich jetzt einige Meldungen vom Wochenende sehe aus SPD-Kreisen. Natürlich müssen wir uns aufeinander zubewegen. Natürlich müssen wir Kompromisse machen. Aber was da an Forderungen zum Teil erhoben wird, das wissen die Beteiligten von vornherein, das wird nicht möglich sein. – Das ist der erste Schritt.
    Barenberg: An welche Forderungen denken Sie denn da, die von der Union auf keinen Fall zu erfüllen sind?
    Spahn: Wenn ich da einiges sehe, Bürgerversicherung, in der Rentenpolitik, Themen, die sich auch viel mit Gegenwart und Konsum beschäftigen und nicht mit der Frage, was ist jetzt wirklich wichtig in Deutschland, wie schaffen wir Zusammenhalt, wie gewinnen wir Vertrauen zurück, wie gestalten wir das dritte Jahrzehnt im 21. Jahrhundert, denn das steht vor der Tür, dann wird es schwierig miteinander.
    Aber um zur eigentlichen Frage zurückzukommen, Herr Barenberg. Entscheidend finde ich es, der erste Schritt muss sein, eine Koalition zu versuchen zu bilden, und zwar in ernsthaften Gesprächen von beiden Seiten, die als solche auch vereinbart sind als Große Koalition. Wenn das nicht geht und gleichzeitig, ich denke, ziemlich klar ist, Neuwahlen ist jetzt auch nicht die richtige Option – wir können ja die Bürger nicht so lange wählen lassen, bis es passt; ich wüsste auch aus heutiger Sicht nicht, wie da ein total anderes Wahlergebnis herauskommen soll -, dann muss man natürlich auch über andere Optionen reden. Aber ich erwarte jetzt erst mal auch von der SPD, dass sie dem Bundespräsidenten da auch ein Stück weit folgt und jetzt erst mal zu ernsthaften Gesprächen bereit ist.
    "Die SPD muss sagen, will sie regieren oder nicht"
    Barenberg: Das signalisiert die SPD ja auch. Gehen Sie denn vonseiten der CDUvonseiten möglicherweise auch vonseiten der CSU in diese Gespräche in dem Bewusstsein, dass sich die Lage auch insofern geändert hat, als Sie jetzt darauf angewiesen sind, dass die SPD sich einspannen lässt für eine Koalition? Denn schließlich will ja Angela Merkel als Kanzlerin eine vierte Amtszeit bekommen, und dazu brauchen Sie die SPD, weil andere Optionen gibt es im Moment nicht mehr.
    Spahn: Das ist ja eigentlich anders herum, Herr Barenberg. Die Frage ist, will die SPD regieren, will sie Verantwortung übernehmen in diesem Land. Wir als CDU und CSU mit Angela Merkel an der Spitze, wir wollen das und wir werden dafür bereit stehen. Erste Option ist jetzt eine Große Koalition, aber ich habe schon gesagt, es muss auch klar sein, wir wollen dabei gemeinsam Zukunft gestalten, und das wird jetzt nicht irgendwie nach dem Motto, jetzt verlangen wir von der Union schon mal das, was wir immer schon mal wollten, nach der Methode wird das nicht gehen. Gleichzeitig ist klar, wir sind auch bereit, in anderen Konstellationen Verantwortung zu übernehmen. Wir sind da nicht erpressbar, wollen das und werden das auch nicht sein. Wenn CDU und CSU am Ende die Einzigen sind, die Verantwortung übernehmen wollen, dann wird sich auch das abbilden, möglicherweise in den nächsten vier Jahren, aber das ist nicht die erste Option. Jetzt ist die Option, dass die SPD sagen muss, will sie regieren oder nicht und will sie das vor allem mit dem Ziel, Deutschland und die Themen Deutschlands aktiv anzugehen. Ich sage noch mal: Migration, Demografie, wie verhalten wir uns in Europa, das sind alles Themen, die eine Lösung brauchen. Es geht ja nicht darum, irgendwie zu regieren, sondern auch das zu tun, was nötig ist. Da würde ich gerne mal was von der SPD zu hören.
    Vertrauensverlust: "Daraus ein gemeinsames Projekt machen"
    Barenberg: Ich würde gerne von Ihnen hören, wie Sie die SPD überzeugen wollen, welches inhaltliche Angebot. Sie kennen die Kernthemen der SPD, Sie kennen das Wahlprogramm. Auf welchen Feldern sind Sie denn bereit, der SPD entgegenzukommen? Denn das muss ja auch geschehen, haben Sie selber gesagt.
    Spahn: Wir machen jetzt keine Koalitions- oder Sondierungsgespräche übers Telefon und über den Deutschlandfunk. Das müssen Sie mir nachsehen. Aber ich habe den Eindruck, wenn es um die Frage geht, wie gewinnen wir Vertrauen zurück mit dem Wahlergebnis vom 24. September, wie senden wir Signale, dass wir Migration steuern wollen, dass wir irreguläre Migration unterbinden wollen und gleichzeitig natürlich Flüchtlingen helfen wollen, dann ist das auch ein Anliegen wenigstens weiter Teile der SPD, weil die haben genauso viel Vertrauen im Norden von Essen und Dortmund verloren wie andere an anderer Stelle, und daraus könnten wir ein gemeinsames Projekt machen. Oder die Frage, wie bleiben wir Industrieland, wie sind wir auch in zehn Jahren noch wirtschaftlich erfolgreich, die Frage ist vielleicht sogar in der Großen Koalition leichter anzugehen, als es in Jamaika der Fall war. Die entscheidende Frage vorneweg ist: Möchte man diese Zukunftsfragen Deutschlands gestalten? Möchte man darüber reden, was jetzt nötig ist, auch mit dem Wahlergebnis vom 24. September? Oder möchte man die alten Träumereien und zum Teil esoterischen Themen, die wir die letzten Tage gesehen haben, weiter verfolgen? Das ist die Gretchenfrage, die die SPD beantworten muss, und daran entscheidet sich, ob man koalieren kann oder nicht.
    Barenberg: … sagt Jens Spahn, Mitglied im Präsidium der CDU. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Spahn: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.