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Johann G. Zaller
"Unser täglich Gift"

Ob beim Obstanbau oder in der Fischzucht, in Hotels, der Bahn, auf dem Kinderspielplatz oder dem Balkon - Pestizide werden überall eingesetzt. Ihnen zu entkommen, ist unmöglich. In seinem Buch "Unser täglich Gift" führt uns Johann G. Zaller eindringlich vor Augen, welche Gefahren von den Mitteln ausgehen.

Von Dagmar Röhrlich |
    Ein Landwirt fährt mit einer Dünger- und Pestizidspritze am 18.05.2015 über ein Feld mit jungem Getreide nahe Neuranft im Oderbruch (Brandenburg). Foto: Patrick Pleul/dpa
    In seinem neuen Buch warnt der Wiener Ökologe Johann G. Zaller vor dem gedankenlosen Umgang mit Pestiziden (dpa)
    In seinen 24 Wochen am Baum wird ein Apfel durchschnittlich 31 Mal gespritzt - und zwar meist mit hochmodernen Pestiziden. Die Folge:
    "Der elterliche Rat an Kinder, Obst vor dem Essen abzuwaschen, ist leider nicht mehr gültig, da es sich bei vielen Pestiziden um systemisch wirkende Substanzen handelt, die nicht nur außen an den Pflanzen anhaften, sondern in der gesamten Pflanze bis in die Früchte verteilt werden."
    Ironisch führt Autor Johann G. Zaller dann aus: In den Fachbüchern stehe ja glücklicherweise, dass die modernen Pestizide zu den am besten getesteten chemischen Substanzen überhaupt zählten - nur vergleichbar mit Arzneimitteln. Fest steht jedenfalls, dass für Firmen die Pestizidentwicklung zeitaufwendig und bis zu 200 Millionen Euro teuer ist. Etwa 70 Aktenordner pro neuem Pestizid legen die Hersteller der Zulassungsbehörde vor: Wirksamkeit, Giftigkeit, das Verhalten des Stoffs in der Umwelt, all' das müssen sie nachweisen. Der Haken:
    "Das meiste an Forschung wird von den Herstellern selbst gemacht. Und das geht dann auch soweit - man glaubt es fast gar nicht - , dass die Forschung zu den Pestiziden, die der Hersteller auf den Markt bringen will, bei den Registrierungsbehörden von den Herstellern selbst eingereicht wird und die Registrierungsbehörden sich auf diese hausgemachte Forschung verlassen."
    Gefährlicher Cocktail
    Der Wiener Ökologe fühlt sich an die Zeit erinnert, als die Forschungen zur Schädlichkeit des Rauchens von der Tabakindustrie gesponsert wurden.
    "Also ein Schelm, wer da jetzt Böses glaubt oder böse Hintergründe vermutet..."
    Außerdem - schreibt er in seinem Buch - werden bei der Zulassung keineswegs alle Bestandteile des Cocktails getestet, der im Endeffekt das anwendungsfertige Pestizid ausmacht: Die sogenannten Beistoffe bleiben außen vor - also die Substanzen, die dafür sorgen, dass das Gift länger an der Pflanze haftet oder besser in den Organismus eindringt:
    "Einige Beistoffe sind hormonell wirksam, andere beeinflussen die menschliche Reproduktion, wieder andere zeigen negative Auswirkungen auf das Nervensystem. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass in mehreren Studien nachgewiesen wurde, dass die Pestizid-Formulierungen wesentlich toxischer sind als die reinen aktiven Substanzen."
    Den meisten Verbrauchern sei das alles unbekannt. Auch, dass die Grenzwerte, auf deren Einhaltung so gerne verwiesen werde, nichts über die Gefährlichkeit der Pestizide aussagten, urteilt der Autor.
    "Untersuchungen der Lebensmittelüberwachung in Bayern haben (2008) in rund 80 Prozent der 44 untersuchten Feldsalate Pestizide gefunden. Neun Proben überschritten die gesetzlichen Höchstmengen. Sieben Jahre später wurden wieder 25 Feldsalatproben untersucht, die Proben lagen diesmal alle unter den zulässigen Grenzwerten."
    Wirtschaftliche Interessen im Vordergrund
    Doch nicht, weil weniger gespritzt würde: Vielmehr sind seit damals die Grenzwerte nach oben korrigiert worden. Ohne solche Anpassungen käme vieles gar nicht mehr auf den Markt. Die Folgen von so viel Nonchalance im Umgang mit Pestiziden - erläutert Zaller - bekämen wir inzwischen alle zu spüren: Pestizide stehen im Verdacht, für hormonelle Funktionsstörungen, Fehlgeburten, Krebs und chronische Krankheiten verantwortlich zu sein, und bei Landwirten gilt Parkinson als Berufskrankheit. Doch das scheine weder Politiker, noch Gesellschaft, noch die Berufsverbände wirklich zu interessieren.
    "Ich finde es einfach unglaublich zynisch und menschenverachtend, wie da die wirtschaftlichen Interessen so dominant sind und einfach alles, was Gesundheit betrifft: Ja gut, dann müssen wir halt leben damit. Und was soll's."
    Es stellt sich jedoch eine Kardinalfrage: Ist Landwirtschaft im großen Stil ohne Pestizide überhaupt möglich? Können wir ohne Pestizide neun oder gar zehn Milliarden Menschen ernähren? Ja, sagt Johann Zaller:
    "Die Weltbank und die Vereinten Nationen haben 2009 den Welt-Agrarbericht veröffentlicht. Der Welt-Agrarbericht hinterfragt nun die Intensivierung mit technischen Errungenschaften als Heilmittel für die Ernährungssicherheit. Gerade kleinbäuerliche und auf Vielfalt ausgerichtete Strukturen werden als die Landwirtschaft der Zukunft formuliert."
    Das aufrüttelnde, faktenreiche Buch "Unser täglich Gift" ist ein Augenöffner und wichtiger Beitrag zur laufenden Debatte um den Einsatz von Pestiziden. Und vielleicht, so schlägt der Autor vor, wäre auf europäischer Ebene die Einführung einer Pestizidsteuer nach Vorbild von Schweden und Dänemark ein Schritt in die richtige Richtung: Seitdem werden dort 70 Prozent weniger Pestizide eingesetzt als zuvor.
    Johann G. Zaller: Unser täglich Gift. Pestizide. Die unterschätzte Gefahr.
    Deuticke Verlag 2018, 240 Seiten, 20 Euro