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Katalonien
"Wenn es keinen Dialog gibt, werden wir die Unabhängigkeitserklärung umsetzen"

Der katalanische Europaparlamentarier Jordi Solé betrachtet die umstrittene Rede des Regionalpräsidenten Puigdemont als Gesprächsangebot an Spanien: "Wir haben immer unsere Bereitschaft für einen Dialog gezeigt", sagte Solé im Dlf. Sollte die spanische Regierung nicht darauf reagieren, werde man die Unabhängigkeit erklären.

Jordi Solé im Gespräch mit Stephanie Rohde |
    Menschen versammeln sich am 10.10.2017 in Barcelona (Spanien) für eine Demonstration für die Unabhängigkeit Kataloniens am Arc de Triomf (Triumphbogen) und schwenken «Estelada» Flaggen.
    "Wir haben viele Leute, die daran glauben, dass wir Recht auf Selbstbestimmung haben", sagte der katalanische Europa-Abgeordnete Jordi Solé im Dlf. (dpa / AP / Francisco Seco)
    Stephanie Rohde: Spanien hat in dieser Woche so richtig gefeiert, und wie es der Zufall wollte, stand nämlich der Nationalfeiertag an, und das genau in der Woche, in der die Einheit des Landes auf dem Spiel steht. Anfang der Woche hatte ja der katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont den Versuch vorangetrieben, Katalonien vom Königreich Spanien abzuspalten, in einer Rede, die viele verwirrt hat.
    Deshalb hat der spanische Regierungschef, Mariano Rajoy, den Katalanen ein Ultimatum mit einer simplen Frage gestellt: Ja oder nein, hat er die Unabhängigkeit erklärt oder nicht? Wenn ja, will die spanische Regierung umgehend die Autonomie Kataloniens aufheben, die Regionalregierung entmachten. Wenn Puigdemont allerdings mit Nein antwortet, wird er seine Regierungsmehrheit verlieren, weil seine Regierung auf die Stimmen der Neomarxisten angewiesen ist, die die sofortige Unabhängigkeit fordern.
    Darüber habe ich vor der Sendung mit Jordi Solé gesprochen. Er sitzt für die republikanische Linke Kataloniens im Europäischen Parlament und ist gerade in Barcelona. Ich habe ihn vor der Sendung gefragt: Entweder Ihre Regionalregierung wird durch Spanien entmachtet oder sie verliert ihre Mehrheit, also Game over?
    Jordi Solé: Jetzt sollte der katalanische Präsident die Anforderungen von Rajoy beantworten, und meiner Meinung nach ist die Antwort ganz klar: Er hat im katalanischen Parlament am letzten Dienstag die Unabhängigkeit erklärt, aber gleichzeitig wurde sofort diese Unabhängigkeit suspendiert, weil wir nochmals um einen Dialog mit Madrid gebeten haben.
    Und das ist, was am Dienstag passiert ist. Wenn es keinen Dialog gibt, dann werden wir diese Unabhängigkeitserklärung wirklich in Wirklichkeit umsetzen, und das wird zumindest für uns gültig sein.
    "Wir haben immer unsere Bereitschaft für einen Dialog gezeigt"
    Rohde: Sie sagen also, Katalonien ist gerade nicht unabhängig, und Sie sind verhandlungsbereit. Warum waren Sie das vorher nicht, merken Sie jetzt, dass Sie Ihre Macht überschätzt haben und Spanien einfach der Stärkere ist?
    Solé: Nein, wir haben immer unsere Bereitschaft für einen Dialog gezeigt. Wir haben in den letzten Jahren mehrmals versucht, uns mit Madrid in Gespräche zu bringen, und wir sprechen über Verhandlungen, die hier in Katalonien das Recht auf Selbstbestimmung möglich machen. Aber Madrid hat immer Nein gesagt, Nein zu allen Ideen, zu allen Angeboten, die aus Barcelona gekommen sind.
    Rohde: Und das haben die Spanier ja auch gemacht, weil die spanische Verfassung eine Unabhängigkeit verbietet. Und jetzt sieht man, die spanische Regierung unterstützt inzwischen sogar Unternehmen mit einem Gesetz, dass sie Katalonien verlassen können, das heißt, Spanien hat rechtliche Mittel, zu sagen, es ist verfassungswidrig, und politische Mittel gegen Sie in der Hand.
    Was haben die Katalanen eigentlich in der Hand?
    Solé: Wir haben Demokratie, wir haben viele, viele Leute, die daran glauben, dass wir Recht auf Selbstbestimmung haben.
    Rohde: Aber selbst da haben Sie ja das Problem, dass die Stimmung in Katalonien gekippt ist, also am vergangenen Wochenende haben fast eine halbe Million Menschen auf den Straßen demonstriert gegen die Unabhängigkeit.
    Man muss sagen, bei dem Referendum sind 43 Prozent der Katalanen und Katalaninnen zur Wahl gegangen, die anderen nicht. Also wie sinnvoll ist es, eine Unabhängigkeit anzustreben, die eigentlich ein großer Teil der Bevölkerung nicht möchte?
    Solé: Ich glaube nicht, dass ein großer Teil der Bevölkerung gegen die Unabhängigkeit ist.
    Rohde: Aber auch nicht dafür.
    Solé: Wir wissen es nicht, weil wir wollten das wirklich durch dieses Referendum wissen, wo die Mehrheit liegt. Wir haben das Referendum durchgeführt und, wie Sie wissen, unter sehr schwierigen Umständen, vor allem mit Gewalt von der spanischen Polizei.
    Rohde: Für die sich ja auch entschuldigt wurde.
    Solé: Ich habe kein Wort der Entschuldigung gehört von der spanischen Regierung, nicht wirklich eine Entschuldigung. Auf jeden Fall, unter diesen Umständen sind rund 2,3 Millionen, sie haben gewählt unter diesem Druck, und ich glaube, die Summe von Leuten ist bemerkenswert.
    "Unsere Bewegung ist immer friedlich gewesen, und es wird immer so bleiben"
    Rohde: Herr Solé, jetzt ist es ja so, dass die Verhandlungen beziehungsweise dieser Konflikt in einer Sackgasse ist. Es gibt schon Leute, die davor warnen, dass ein Bürgerkrieg ausbrechen könnte. Würden Sie einen Bürgerkrieg in Kauf nehmen?
    Solé: Nein, nein, gar nicht. Kein Krieg ist hier vorgesehen. Unsere Bewegung ist immer friedlich gewesen, und es wird immer so bleiben. Wir haben Gewalt gesehen vor zwei Wochen in Katalonien, weil die spanische Polizei gegen friedliche Wähler Gewalt ausgeübt hat, aber von der Seite der Leute, die für das Recht auf Selbstbestimmung sind, werden wir niemals Gewalt benutzen.
    Rohde: Das heißt aber, Sie können Spanien nicht drohen, aber wenn Spanien nicht auf Ihre Verhandlungsmöglichkeiten eingeht, was machen Sie dann? Sie stehen eigentlich mit leeren Händen da, oder?
    Solé: Wir stützen uns auf die vielen, vielen Leute, die neben uns sind, ich meine viele, viele Leute, die jedes Jahr an unserem Nationaltag, das ist der 11. September, auf die Straße gehen, über eine Million. Wir stützen uns auf die Leute, die am vergangenen 1. Oktober in die Wahllokale gegangen sind, über zwei Millionen Leute, das ist unsere Stärke.
    Wir haben nichts anderes in Wirklichkeit, nichts anderes als die Stärke der Leute und das demokratische Engagement dieser Leute.
    Rohde: Ich würde gern noch mal auf die europäische Ebene gucken. Sie sitzen ja im Europaparlament und kämpfen dafür, dass Katalonien unabhängig wird. Haben Sie einfach keine Lust mehr, dass Katalonien in Zukunft im Europäischen Parlament ist?
    Solé: Doch, doch, wir wollen innerhalb der Europäischen Union bleiben. Wir sind bei der Europäischen Union seit vielen Jahren, und wir wollen weiterhin zur europäischen Integration beitragen.
    "Die Mehrheit der Katalanen will sich nicht von der Europäischen Union trennen"
    Rohde: Wie soll das gehen?
    Solé: Einfach wenn wir diese wirkliche Unabhängigkeit erklären, soll es eine politische Verhandlung geben, und wir sollen sehen, wie die Kontinuität von Katalonien innerhalb der Europäischen Union gesichert sein kann. Aber ich glaube, die Mehrheit von Katalanen will sich nicht von der Europäischen Union trennen.
    Rohde: Aber genau das ist ja der Punkt, also wenn Katalonien unabhängig ist, dann muss es aus der EU aussteigen, und dann müssten erst einmal wieder alle EU-Staaten zustimmen, dass Katalonien wieder aufgenommen wird. Würden Sie in so einer Situation damit rechnen, dass Spanien dazu Ja sagt?
    Solé: Ich habe niemals einen Artikel in den europäischen Verträgen gelesen, wo ganz klar steht, was passiert mit einer Region, die …
    Rohde: Sie würden einen Präzedenzfall schaffen, ja.
    Solé: Wenn man keinen Präzedenzfall hat und es keinen Artikel in den Verträgen gibt, der diese Situation ganz klar vorsieht, dann handelt es sich um – nochmals – eine politische Verhandlung, und es handelt sich um politischen Willen.
    Rohde: Und da glauben Sie, dass Spanien den politischen Willen hat, zu sagen, Katalonien kann in der EU bleiben?
    Solé: Wahrscheinlich nicht von Spanien ist dieser Wille zu erwarten, aber es gibt andere Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union, und ich glaube, es wäre im Interesse von keinem Mitgliedsstaat, auch nicht von Spanien, Katalonien außerhalb der Europäischen Union zu lassen.
    Rohde: Das sagt der Europaabgeordnete Jordi Solé. Vielen Dank für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.