Freitag, 29. März 2024

Archiv

Klimawandel
Die Hummel-Zungen schrumpfen

Blütenpflanzen und Hummeln, das gehört zusammen. Den einen verschafft die Partnerschaft eine sichere Bestäubung, den anderen eine exklusive Nahrungsquelle. Doch in den Rocky Mountains ist die Liebe brüchig geworden. Die Blüten machen sich rar und die Hummeln müssen nehmen, was sie kriegen.

Von Dagmar Röhrlich | 25.09.2015
    Auf einem Feld bei Rerik (Mecklenburg-Vorpommern) beginnt der Raps am 10.04.2014 zu blühen. Nach einem milden Winter und einem relativ warmen Frühlingsanfang beginnt die Rapsblüte in diesem Jahr einige Zeit früher. Foto: Bernd Wüstneck/dpa
    Im Laufe der Evolution haben sich zwischen vielen Arten Partnerschaften zu beiderseitigem Nutzen ergeben - zum Beispiel zwischen Blütenpflanzen und Hummeln. (picture alliance / ZB / Bernd Wüstneck)
    Rund um die Welt geht es Bienen und Hummeln schlecht. Betroffen sind vor allem Arten mit langen Zungen, die auf schmale, tiefe Blütenkelche spezialisiert sind. Diese Partnerschaft verschaffte bislang den Blüten eine sichere Bestäubung und den Hummeln eine exklusive Nahrungsquelle: Der traditionellen Theorie der Koevolution zufolge passen sich zwei Arten zum gegenseitigen Vorteil stark aneinander an, erklärt Nicole Miller-Struttmann von der State University of New York in Old Westbury. Sie forscht in den Höhenlagen der zentralen Rocky Mountains von Colorado an zwei Hummelarten. Dort scheint eine dieser Partnerschaften gerade zu zerbrechen.
    "Wir haben in gewisser Weise Glück, weil uns eine große historische Sammlung von Hummeln aus den alpinen Höhen der Rocky Mountains zur Verfügung steht. Wir haben die Zungenlängen gemessen und sind an die alten Sammelstellen zurückgekehrt, um die der heute lebenden Hummeln zu erfassen. Das Ergebnis: Die Zungen der beiden untersuchten Arten sind im Lauf von 40 Jahren um 24 Prozent kürzer geworden sind. Das ist bemerkenswert."
    Die Zungen werden kürzer
    Einmal wegen des Tempos, mit der die Hummel-Zungen von Generation zu Generation kürzer werden. Zum anderen fanden sich - anders als gedacht - bei diesem Prozess keine Hinweise auf Ko-Evolution:
    "Wir haben zunächst untersucht, ob die Kelche der Blütenpflanzen kürzer geworden sind, sie also die treibende Kraft waren. Aber genau das sahen wir nicht. Also haben wir uns auf die Funktion der Zunge besonnen. Hummeln mit langen Zungen sind meist auf lange Blütenkelche spezialisiert, während die mit den kürzeren eher Generalisten sind, die viele verschiedene Blüten besuchen. Weil andere Forschungen gezeigt haben, dass die Vielfalt der Blütenpflanzen sinkt, haben wir das für unser Gebiet überprüft und einen dramatischen Einbruch bei den Blütenpflanzen gefunden."
    Blütenpflanzen reagieren auf höhere Temperaturen
    Den Hummeln stand nicht einmal mehr die Hälfte der Blüten aus den 1970er-Jahren zur Verfügung. Der Grund:
    "Die Blütenpflanzen reagieren auf den Temperaturanstieg durch den Klimawandel. Die alpinen Ökosysteme sind an kalte Temperaturen angepasst. Wird es zu warm, produzieren die Pflanzen weniger Blüten."
    Die beiden spezialisierten Hummeln mit ihren langen Zungen fanden nicht mehr genügend tiefkelchige Blüten, um davon zu leben. Sie mussten nehmen, was sie kriegen konnten. Dann jedoch waren kürzere Zungen von Vorteil, weil sie bei vielen verschiedenen Blüten gut funktionieren. Außerdem spart die Hummel Energie beim Aufbau der Zunge.
    "Wir sehen hier indirekte Effekte des Klimawandels: Er verändert die Vielfalt der Pflanzen, nicht unbedingt ihre Merkmale - und die Hummeln reagieren. Es wirkt also ein etwas anderer Mechanismus, als wir ursprünglich angenommen haben."
    Dass sich die Hummeln schnell an die dramatischen Effekte des Klimawandels anpassen könnten, sei so etwas wie ein Silberstreif am Horizont, urteilt Nicole Miller-Struttmann.