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Mecklenburg-Vorpommern
Forscher sollen DDR-Doping aufarbeiten

Mecklenburg-Vorpommern stellt 150.000 Euro für drei Promotionsstipendien bereit. Damit sollen Dopingstrukturen in den drei Nordbezirken der DDR historisch und medizinisch aufgearbeitet werden. Das könnte unter anderem Betroffenen helfen, teils jahrzehntelange Arztodysseen abzukürzen.

Von Silke Hasselmann | 28.09.2016
    Zahlreiche Pillen und Tabletten liegen auf einem Tisch und auf einem Löffel.
    Vielen der rund 12.000 ehemaligen Hochleistungssportler, die nachweislich zwischen 1974 und 1989 gedopt wurden, wußten nichts davon. (dpa / Daniel Reinhardt)
    Immer wieder Aufschlag, Annahme, Zuspiel - Training der 12- und 13-jährigen Volleyballer des Schweriner Sportclubs. Die Jungs zählen zu den rund 650 Schülern des Schweriner Sportgymnasiums. Heute "Eliteschule des Sports", war dies zu DDR-Zeiten eine Kinder- und Jugendsportschule (KJS). Dort hat auch Katy Pohl einen Teil ihrer Kindheit und Jugend verbracht.
    "1979 kam ich an den Sportclub, absolvierte dort an der Kinder- und Jugendsportschule drei Jahre bis zur zehnten Klasse und trainierte fleißig bis ungefähr zum 17. Lebensjahr."
    "Sie wurden dann gedopt"
    Schon bald nach dem Ende ihrer Sportkarriere: teils unerklärliche Leiden: Zysten an allen Organen, mehrere Fehlgeburten, Knie-Tumor, eine seltene Stoffwechselkrankheit, schlechte Knochenheilung, unerklärlicher Kraftverlust. Doping als Ursache sei ihr lange Zeit nie in den Sinn gekommen, hatte sie doch nie Pillen vom Trainer erhalten, sagt Katy Pohl. Erst als sie 2012 die Erwerbsunfähigkeitsrente beantragte, habe ihr der medizinische Gutachter die Augen geöffnet.
    "Weil er nach den orthopädischen Befunden den Kopf schüttelte und sagte: 'Wo waren Sie sportlich aktiv'? Und da sagt ich: 'Ich war beim Volleyball, beim Sportclub Traktor Schwerin'. Und da sagt der Gutachter zu mir: 'Sie können sicher sein: Ich war an der Universitätsklinik Rostock beschäftigt. Wir waren für diesen Sportclub verantwortlich; Sie wurden dann gedopt'. Und er berentete mich unbegrenzt."
    Tägliche "Vitamindrinks" zum Training
    Die heute 50-Jährige verdächtigt die täglichen "Vitamindrinks" zum Training. Doch sie weiß nicht, wann sie was genau als Minderjährige geschluckt hat und in welcher Dosierung. Wüsste sie es, könnten die Ärzte ihr vielleicht besser helfen.
    So ergeht es inzwischen vielen der rund 12.000 ehemaligen Hochleistungssportler, die nachweislich zwischen 1974 und 1989 in das staatlich gelenkte DDR-Dopingsystem geraten waren und sogenannte "unterstützende Mittel" bekommen hatten – oft im Geheimen, ohne jede Aufklärung.
    Juristisch hat die vielfache Körperverletzung längst keine Konsequenzen mehr. Die zehnjährige Verjährungsfrist endete am 3. Oktober 2000. Umso wichtiger sei eine historische Aufarbeitung, meinte die grüne Landtagsabgeordnete Silke Gajek und beantragte voriges Jahr Landesmittel, mit denen die Dopingstrukturen in den ehemaligen DDR-Nordbezirken Schwerin, Rostock und Neubrandenburg erforscht werden sollen.
    "Denn viele Betroffene wissen bis heute nicht, was genau damals mit ihnen angestellt wurde. Aus den drei Nordbezirken sind zahlreiche erfolgreiche Sportlerinnen und Sportler gekommen. Aber wir wissen nur sehr wenig darüber, wie Doping und Zwangsdoping in den drei Nordbezirken der DDR organisiert war."
    150.000 Euro für drei entsprechende Promotionsstipendien
    Mittlerweile hat das Land 150.000 Euro für drei entsprechende Promotionsstipendien bereitgestellt. Fachlich verantwortlich: Prof. Dr. Andreas Büttner, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Rostock.
    "Zum einen geht es um den DDR-Staatsplan, wie der in den drei Nordbezirken umgesetzt wurde. Dann werden sportmedizinische und pharmakologische Aspekte der eingesetzten Substanzen untersucht. Und als Drittes sollen eben Folgeschäden aufgrund der Substanzen sowohl körperlicher als auch psychischer Art untersucht werden."
    Parallel dazu läuft seit diesem Juli in Greifswald und Schwerin die deutschlandweit größte Studie über körperliche wie seelische Langzeitfolgen des DDR-Dopings. Forschungsgegenstand hier: Die mittlerweile knapp über eintausend Betroffenen, die sich bei der Dopingopferhilfe in Berlin gemeldet haben. Im ersten Schritt werte man die beantworteten Fragebögen aus, die der Verein für seine Zwecke konzipiert hatte, erklärt Dr. Jochen Buhrmann, Leiter der Schweriner Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie.
    Cluster zu Doping- und Krankheitsgeschichten bilden
    "Da werden wir schon vieles erfahren über die Folgeschäden, die angegeben werden von den Betroffenen. Man wird Zuordnungen treffen können zu den Geschlechtern, zu den Sportarten, sodass da schon mal 'ne Menge anfängt sich zu differenzieren."
    Später werde man mit den Betroffenen vertieft arbeiten und vermutlich verschiedene Cluster mit typisch verlaufenden Doping- und Krankheitsgeschichten bilden können. Das könnte Betroffenen helfen, teils jahrzehntelange Arztodysseen abzukürzen. Die gedopte Ex-Volleyballerin Kathy Pohl begrüßt die Forschung über ein System, das noch lange nach seinem Untergang wirkt:
    "Wir waren Probanden. Wir waren Menschenmaterial. Die, die hochkamen - gut und schön. Die anderen wurden nach hinten fallengelassen."