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Minderheitsregierung
"Transaktionskosten steigen immens"

Die Sondierungsgespräche in Berlin kommen nicht wirklich voran und die mögliche Jamaika-Koalition verliert an Zustimmung in der Bevölkerung. Alternativen zu dem Bündnis sind sehr begrenzt. "Eine Minderheitsregierung erscheint mir als eine etwas romantische und weltfremde Betrachtung der Realität", sagte der Politikwissenschaftler Sven Jochem im Dlf.

Sven Jochem im Gespräch mit Kathrin Hondl | 12.11.2017
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) stehen am 26.10.2017 in einer Verhandlungspause der Sondierungsverhandlungen zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen auf dem Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft.
    Schwierige Sondierungsgespräche: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) reden in einer Verhandlungspause in Berlin. (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    "Man muss sich überlegen, was sind die Vorteile und die Nachteile einer Minderheitsregierung?", sagte Sven Jochem im Deutschlandfunk. Die Erfahrungen mit solchen Regierungen sind in Deutschland sehr begrenzt und meist seien es Notlösungen gewesen.
    Eine Hoffnung, die mit einer Minderheitsregierung verbunden sei, dass sich die politischen Akteure immer wieder neu um Partner bemühen müssten und eventuell das politische Parlament gestärkt werden könnte, betonte Jochem. "Der Parteienproporz müsste dann nicht eingehalten werden und es müsste aus der Sache heraus entschieden werden."
    Skandinavische Vorbilder taugen nur bedingt für Deutschland
    Allerdings würden die "Transaktionskosten", also die Kompromisse und Verhandlungen über Bund-Länder- und auch Europa-Ebene deutlich steigen. "Das erscheint mir eine etwas romantische und weltfremde Betrachtung der Realität", sagte der Politologe von der Uni Konstanz.
    Erfolgreiche Minderheitsregierungen in Skandinavien würden nur bedingt für Deutschland als Vorbild funktionieren. "Die Bündnisse in den Fünfziger Jahren waren meist sogar politisch gewollt, waren inoffizielle politische Koalitionen", sagte Jochem. Heute würde durch das Erstarken der nationalistischen und rechtspopulistischen Parteien, die auch teilweise an der Regierung beteiligt sind, das Zustandekommen solcher Bündnisse in Dänemark, Norwegen und Schweden deutlich schwieriger.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht am 18.10.2017 in der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin mit Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag und mit Grünen-Chef Cem Özdemir (r)) vor den Sondierungsgesprächen zwischen der Union und den Grünen auf dem Balkon. Union, FDP und Grüne beginnen mit Sondierungen für eine Jamaika-Koalition. Neben Merkel steht Peter Altmaier (CDU), Chef des Bundeskanzleramts.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (li.) muss sich für eine Jamaika-Koalition mit mehreren politischen Parteien einigen. (Kay Nietfeld/dpa)
    Die rechten Parteien nehmen Einfluss
    Ein Nachteil sei der Einfluss, den die rechtspopulistischen Parteien durch ihre Wichtigkeit dann auf die Gesetze nehmen konnten. "Bei der öffentlichen Arena, aber auch beim Gesetzgebungsprozess, wurden diese Regierungen von den Rechtspopulisten vor sich hergetrieben", berichte der Skandinavien-Experte im Deutschlandfunk.
    Was dazu geführt habe, dass die Migrations- und Sozialpolitik in Skandinavien ethnisch differenziert wurde. "Die einheimischen Dänen kriegen mehr, als die zugereisten Migranten." Minderheitsregierungen würde klar zu einer Aufwertung der Oppositionsparteien führen, da die Regierung sich bei ihnen immer wieder um Unterstützung für ihre Regierungsvorhaben bemühen müsse.
    "Die Kanzlerin wünscht sich eine andere Situation"
    Für Deutschland wäre solch eine Konstellation "auf alle Fälle ein Bruch", sagte Jochem. Aber mit Dänemark, mit nur fünf Millionen Einwohnern, sei die Situation in Deutschland auch nicht vergleichbar. Denn Deutschland sei eine der zentralen und treibenden Kräfte in Europa. "Die Kanzlerin würde sich eine andere Situation wünschen, das die Unsicherheit etwas reduziert", analysierte der Politologe.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.