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Nach dem Anschlag in Kabul
"Die Regierung kümmert sich nicht genug um ihre Bürger"

Nach dem Anschlag in Kabul mit mindestens 80 Toten gilt in Afghanistan Staatstrauer. Die Attentäter hatten trotz massiver Sicherheitsvorkehrungen zwei Bomben während einer Demonstration zünden können. Die Menschen fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen.

Von Silke Diettrich | 24.07.2016
    Afghanen trauern um Opfer des Anschlags in Kabul mit mindestens 80 Toten.
    Afghanen trauern um Opfer des Anschlags in Kabul mit mindestens 80 Toten. (AFP / Shah Marai)
    Tausende Menschen liefen gestern friedlich durch Kabul. Zivilisten, Menschen der Bevölkerungsgruppe Hasara in Afghanistan. Sie fühlen sich benachteiligt von der Regierung, weil eine Stromleitung, die Arbeitsplätze und wirtschaftlichen Aufschwung für sie bedeutet, nicht mehr durch ihre Siedlungsgebiete führen soll. Für die Demonstration waren die Straßen in Kabul abgeriegelt worden, Sicherheitskräfte waren im Einsatz, um die Demonstranten zu schützen.
    Selbstmordattentäter haben es trotzdem geschafft, in die Menschenmenge zu gelangen. Doost Mohammad hat den schrecklichen Anschlag gestern miterlebt:
    "Es gab zwei Explosionen", sagt er, "kurz darauf haben die afghanischen Sicherheitskräfte den dritten Angreifer erschossen, der auch eine Bombe zünden wollte. Das ist alles ein riesiges Elend hier, und die Regierung kümmert sich nicht genug um ihre Bürger."
    Versammlungsverbot für zehn Tage
    Präsident Aschraf Ghani sagte gestern in einer Fernsehansprache, er verspreche, er werde an den Tätern Rache üben. Die Hasara gehören mit zu den ärmsten Menschen in Afghanistan und sie sind Schiiten. Die Mehrheit der Bevölkerung in Afghanistan gehört dem sunnitischen Glauben an, darunter auch die Taliban und die Kämpfer des sogenannten Islamischen Staates.
    Amerikanische Militärkreise gehen von bis zu 3.000 IS-Kämpfern im Land aus, die bisher vor allem im Osten Afghanistans aktiv sind. Kurz nach dem Anschlag hatte der IS über seine Nachrichtenagentur Amaq erklärt, er übernehme die Verantwortung für dieses verheerende Attentat. Das wäre der erste Anschlag des selbsterklärten Islamischen Staates in der afghanischen Hauptstadt. Und der blutigste, seit dem Sturz der Taliban. Die Krankenhäuser in Kabul mussten um Blutspenden bitten, Ali Mohammad ist einer der über 230 Opfer und zum Glück nur leicht verletzt:
    "Mich hat ein Metallsplitter getroffen. Ich habe so viele Menschen gestern blutüberströmt auf dem Boden liegen sehen, einige hatten keine Hände mehr, andere haben ihre Beine verloren. Ich habe Menschen gesehen, die waren zweigeteilt, Rumpf und Beine waren auseinander gebombt."
    Die Beerdigungen der Opfer werden heute im kleinen Kreise stattfinden müssen. Das afghanische Innenministerium hat für die nächsten zehn Tage ein Versammlungsverbot erteilt.
    Amnesty International: Der Konflikt eskaliert
    Der Konflikt in Afghanistan sei nicht zu Ende, mahnte Amnesty International, sondern eskaliere. Die Vereinten Nationen hatten für 2015 mehr als 11.000 Opfer dokumentiert. Es deutet sich an, dass in diesem Jahr noch mehr Zivilisten in Afghanistan sterben werden. Viele Menschen, wie der Ladenbesitzer Mohammad Asif, fühlen sich vom afghanischen Staat im Stich gelassen:
    "Wir bitten die Regierung darum, dass alle Menschen in unserem Land sicher leben können, damit wir hier ein normales Leben führen können und aus der Misere und der Armut endlich heraus kommen."