Montag, 29. April 2024

Archiv

Nach dem Zweiten Weltkrieg
Ein gutes, völkerverständigendes Ende

Als der Krieg im Mai 1949 endet, waren zwar die Kämpfe vorbei. Doch nicht für alle ging es direkt nach Hause. So auch Günter Halbach aus Remscheid. Bis zum Sommer 1948 war er in Frankreich. Als junger Mann musste Halbach nach der Kriegsgefangenschaft als sogenannter Freiarbeiter jenen Wein ernten, den er heute als Pensionär mit seinem kleinen Handel importiert.

Von Moritz Küpper | 08.05.2015
    Günter Halbach aus Remscheid steht in seinem Weinkeller und hält eine Weinflasche in der Hand.
    Günter Halbach aus Remscheid. Bis zum Sommer 1948 war er in Frankreich: Erst in Kriegsgefangenschaft, dann als sogenannter Freiarbeiter, bevor er zurück durfte. (Deutschlandradio / Moritz Küpper)
    "Wir gehen jetzt ... Das ist kein Keller, sondern eine ehemalige LKW-Garage von mir ..."
    Langsam steigt Günter Halbach, 88 Jahre alt, die Treppenstufen herunter. Er hat graue Haare, trägt eine Brille und eine beige Strickjacke über dem blau-weiß karierten Hemd. Er öffnet die Durchgangstür von seinem Haus zur Garage.
    "Zwei Stufen, drei Stufen."
    Nach ein paar Sekunden flackern geht das Licht an: Bis zur Decke ragen dunkelgrüne Stahlregale, in denen sich die Weinkartons stapeln. Auf Din A4-Blättern, die an den Regalen hängen, stehen die Namen: "Chateau Du Barry, 2012, 18 Euro" oder "Chateau Chevalier St. George, 2010, 12,50 Euro". Halbachs Weg führt direkt zur größten Flasche:
    "Die habe ich voriges Jahr von dem Chateau als guter Kunde geschenkt gekriegt. Das sind sechs Liter. Die wollte ich noch verwahren. Nächstes Jahr werde ich 90, so Gott will und ich lebe."
    Eine kleine Geschichte in der deutsch-französischen Verständigung
    Rund anderthalb Jahre sind es noch bis zu diesem Jubiläum eines wirklich bemerkenswerten Lebens. Denn die Weine in Halbachs Garage, sie sind für ihn nicht nur ein nettes Nebengeschäft als Rentner, mit dem er beispielsweise Restaurants beliefert oder die Weihnachtsgeschenke für eine Firma organisiert. Nein, der Wein ist Teil seines Lebens - und eine kleine Geschichte in der deutsch-französischen Verständigung nach dem 2. Weltkrieg. Wie zum Beweis kramt Halbach in einem der Kartons:
    "Das ist "Chateau Maison Blanche". Das ist da, wo ich 1948 gearbeitet habe. Der Enkel hat jetzt umgestellt auf biologische Weine."
    Halbachs Lebensgeschichte ist eng mit der Zeit der Nationalsozialisten, dem Zweiten Weltkrieg und eben dem Rotwein verknüpft. An Ostern 1933 - also kurz nach der Machtergreifung der Nazis - wurde er eingeschult. Rund zehn Jahr später, im Juli 1943 wurde er als Flakhelfer einberufen, ein Jahr später ging es an die Front. Die Kriegswirren treiben Halbach durch den Südwesten der Republik: Karlsruhe, Schwarzwald, Tübingen, Schwäbische Alp. Nachdem sich seine Truppe aufgelöst hat, versucht der damals 18-Jährige zurück in die Heimat zu kommen, doch französische Soldaten nehmen ihn gefangen. Nach einem Klinikaufenthalt in Tübingen landet Halbach in einem französischen Lager bei Straßburg. Drei Monate blieb Halbach, dann:
    "Anfang Juno nach St. Emilion gekommen. Die Chefin war eine Jüdin, ihr Mann Schweizer und sie bekam mit als erste Leute, um ihr Properitie, ihr Weingut, wieder auf Vordermann zu bringen."
    Er lernte viel über Wein - und auch Französisch
    Insgesamt acht Kriegsgefangene kamen auf das Chateau nahe Bordeaux. Der Hass der Bevölkerung dort war noch spürbar: "Sale Boche", Dreckschwein, rief die Menge. Die Zwangsarbeiter bekamen eine eigene Unterkunft, wurden um halb sechs Uhr morgens geweckt und arbeiteten bis 19 Uhr - mitunter in der sengenden Sonne Südfrankreichs.
    "Mit Ausnahme des Schneidens der Rebstöcke, das machten die Winzer selber. Aber alle anderen: Ob dass das Freihacken war, das Pflügen, das Abflügen mit Ochsen oder mit Pferden. Mit der Heckenschere. Heute machen sie das alles maschinell."
    Drei Jahre lang arbeitete Halbach als Kriegsgefangener, lernte viel über Wein - und auch Französisch:
    "Die Umgangssprache allerdings. Die ersten Worte, die darf man gar nicht sagen."
    Halbach lacht verschmitzt. Trotz der harten Zeit und der Ungewissheit damals, erinnert er sich gerne zurück:
    "Die Gefangenschaft, dadurch bin ich der schlechten Zeit in Deutschland entkommen."
    Wie viel er davon im Nachhinein verklärt, ist schwer zu sagen. In Briefen, die Halbach damals an seine Eltern schickte, und die heute im NS-Dokumentationszentrum Köln archiviert sind, schrieb er 1946: "Ja, meine Lieben, das müsstet ihr mal mit machen im Weinberg arbeiten und immer die reifen Trauben vor Augen und dem Mund. Aber auf all das wollte ich gerne verzichten, wenn wir nach Hause kämen." Und im Sommer 1948 bietet sich die Chance: Halbach lässt sich als Freiarbeiter in ein anderes Weingut versetzen - und kehrt nach der Weinernte nach Deutschland zurück.
    Gelebte Völkerverständigung
    Zurück in der Heimat baute Halbach eine Firma auf: Großhändler für Floristen-Bedarf. Den Kontakt nach Frankreich nimmt er 1955 wieder auf, als er eine Bescheinigung über seine Weingut-Zeit braucht: Es folgen gegenseitige Besuche, 1982/83 bauen die Halbachs ein Ferienhaus in Südfrankreich, seine Tochter arbeitet heute als Französisch-Lehrerin. Gelebte Völkerverständigung. Und als Halbachs Firma 1997 Insolvenz anmelden musste, da gab es für ihn nur einen Weg:
    "Da habe ich mich natürlich auf meine Passion, auf meine Liebhaberei besonnen und habe dann so mit dem Wein begonnen. Ja, es ist mein Leben."